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Streit um mehr Transparenz
Verschlusssache Wissenschaftlicher Dienst

Wissenschaftliche Dienste erstellen für Parlamente Gutachten in juristischen Fragen. Diese Gutachten sollten stets öffentlich gemacht werden, darauf hat in Rheinland-Pfalz ein Journalist geklagt - und in erster Instanz Recht erhalten. Doch die Landesregierung wehrt sich dagegen.

Von Anke Petermann | 21.03.2018
    Blick in das Plenum des Landtags von Rheinland-Pfalz in Mainz
    "Der Landtag spielt jetzt auf Zeit" (picture alliance dpa Fredrik von Erichsen)
    Der Berliner Transparenz-Aktivist Arne Semsrott will nicht nur ein bestimmtes Gutachten einsehen. Er beharrt darauf, dass die gesamte juristische Expertise der wissenschaftlichen Dienste bundesweit der Öffentlichkeit und dem Journalismus zugänglich gemacht wird. So wie es in Brandenburg schon der Fall ist, sagt er am Telefon. "Einen enormen Wissensschatz", sieht der Bruder des Kabarettisten Nico Semsrott in den Rechtsgutachten der Landesparlamente. "Und auf der nächsten Ebene glaube ich, dass es sinnvoll ist, wenn sich Journalisten und Bürgerinitiativen solche Gutachten mit ansehen können, um sich dann im politischen Prozess weiter zu beteiligen, um informierte Entscheidungen treffen zu können, und ich glaube, das belebt die Demokratie."
    Das Gutachten zur gesetzlichen Grundlage von Livestream-Übertragungen aus kommunalen Rats- und Ausschusssitzungen war vor mehr als einem Jahr nur der Anlass für Semsrotts Klage. Vor allem hofft der Journalist und Betreiber des Portals fragdenstaat.de auf ein Signal, "dass gerade der Landtag, der so ein Informationsfreiheitsgesetz oder ein Transparenzgesetz verabschiedet, eben nicht nur sagen kann, alle anderen müssen transparenter werden, sondern das gilt eben für sie selbst auch."
    SPD: Es geht um Vertraulichkeit
    Also für die regierenden Ampel-Fraktionen und die Opposition aus CDU und AfD im Mainzer Landtag. Die Fraktionen geben zur Klärung rechtlicher Fragen im Vorfeld von Gesetzesinitiativen und anderen politischen Vorhaben Gutachten beim Wissenschaftlichen Dienst des Parlaments in Auftrag. Und entscheiden bislang frei, ob der Landtag diese online stellen darf. Bis die Frage obergerichtlich geklärt ist, gibt Landtagspräsident Hendrik Hering keine Interviews zum Thema. In einer Pressemitteilung begründete der SPD-Politiker seine Abwehr gegen eine Veröffentlichungspflicht so: "Die Gutachten haben immer einen unmittelbaren parlamentarischen Bezug. Daher ist Vertraulichkeit eine maßgebliche Geschäftsgrundlage der Gutachten-Erstellung für die Fraktionen."
    Herings Parteifreund Martin Haller stimmt zu und führt als fiktives Beispiel ein Gutachten zur Altersgrenze bei Beamten an, ein Gutachten, aus dem die SPD keinen Handlungsauftrag ableitet, die Altersgrenzen zu verschieben. Werde das in der Folge veröffentlicht, so der Parlamentarische Geschäftsführer der Mainzer Regierungsfraktion mit Blick auf sein Beispiel, "dann entsteht natürlich ein Rechtfertigungsdruck, 'ihr habt damals das und das vom wissenschaftlichen Dienst aufgeschrieben bekommen, warum habt ihr diese Empfehlung oder Faktenlage so und so interpretiert?' - und wir müssen im Nachklapp dann unsere Entscheidung in der Landtagsfraktion in der Öffentlichkeit noch mal darstellen".
    Nur die Grünen sind für eine Veröffentlichung
    Diesen Rechtfertigungsdruck wollen sich die Fraktionen im Mainzer Landtag ersparen, betonen aber unisono, dass am Ende die obergerichtliche Entscheidung gilt. Allein die Grünen sind dafür, die Gutachten als Grundlage der Meinungsbildung zu veröffentlichen. Es gebe aber eine Vertraulichkeitsfrist, schränkt die Parlamentarische Geschäftsführerin Pia Schellhammer ein: "Während die Willensbildung läuft, bis sie abgeschlossen ist, sind sozusagen die Dokumente geschützt, und danach sollten sie veröffentlicht werden."
    Wie lang die Schutzfristen sein sollten, darauf will sich Schellhammer nicht festlegen, das hänge unter anderem von der Komplexität der Materie ab. Auch die Grünen finden aber in Ordnung, dass der Landtag die Möglichkeit zur Berufung gegen das transparenzfreundliche Urteils des Mainzer Verwaltungsgerichts erstreiten will. "Für uns war klar, dass das Landestransparenzgesetz eine neue Rechtsmaterie ist, und deshalb ist es auch sinnvoll, dass bestimmte Fragen, die möglicherweise auch unterschiedlich im politischen Spektrum bewertet werden, vor Gericht geklärt werden können."
    "Der Landtag spielt jetzt auf Zeit"
    Die erste Instanz hat längst alle Fragen mit einer klaren Entscheidung pro Veröffentlichung beantwortet, findet der Berliner Kläger Arne Semsrott. Jetzt verstreichen weitere Monate mit dem Prüfen der Berufung. "Meine Einschätzung dazu ist, dass es ganz klar politisch nicht gewollt ist, diese Dokumente herauszugeben. Das heißt, der Landtag spielt jetzt auf Zeit, und so lange das Verfahren anhält, müssen diese Dokumente nicht herausgegeben werden, und das wissen die Fraktionen natürlich auch." Sie wollten nur Rechtssicherheit, halten die Fraktionen in seltener Einigkeit dagegen.