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Streit um nachhaltige Miesmuschel-Fischerei

Bei Fischen und Meeresfrüchten steht das MSC-Siegel für eine Herkunft aus nachhaltiger Fischerei beziehungsweise Aquakultur. Auch Miesmuscheln aus dem niedersächsischen Wattenmeer tragen das Gütezeichen. Damit sind Umweltschützer gar nicht einverstanden.

Von Maike Strietholt | 31.10.2013
    "Problematisch mit der Miesmuschel-Fischerei im niedersächsischen Nationalpark ist in erster Linie, dass es ein Nationalpark ist","

    sagt Heike Vesper, Meeresschutzbeauftragte des WWF Hamburg, und macht somit deutlich: Mit der Miesmuschel-Fischerei hat die Umweltorganisation zwar kein grundsätzliches Problem, wohl aber in besonders geschützten Gebieten. Denn diese seien ja eingerichtet, um der Natur eine möglichst ungestörte Entwicklung zu ermöglichen – was im Falle des Nationalparks Wattenmeer nicht gegeben sei. Hier stehe die Fischerei vielmehr in direkter Konkurrenz zur Natur:

    ""Weil die Fischerei Muscheln aus diesem System herausnimmt, und Muschelbänke sind wichtige Lebensräume und dienen eben auch dem Austernfischer als Futter. Und der Bestand des Austernfischers in diesem Bereich ist eben rückläufig."

    Und zwar in den vergangenen zehn Jahren um etwa die Hälfte, bestätigt auch Hans-Ulrich Rösner, Leiter des WWF-Wattenmeerbüros in Husum. Er bemängelt außerdem, dass wild lebende Muscheln aus trocken fallenden Wattenmeerflächen als "Saatmuscheln" für den Aufbau von Muschelkulturen in tieferen Wasserzonen genutzt werden – hier gebe es längst gute Erfolge mit Zuchtstationen, sodass auf Wildfänge verzichtet werden könne.

    Dass unter diesen Bedingungen die deutsche Miesmuschelfischerei das Zertifikat des Marine Stewardship Council (kurz: MSC) erhält, bezeichnen die Experten des WWF schlichtweg als Vertrauensbruch gegenüber dem Kunden – der sich beim Kauf schließlich auf den Nachhaltigkeitshinweis auf dem Produkt verlasse.

    Der MSC wollte sich vor dem Mikrofon hierzu nicht äußern, verweist aber in einer schriftlichen Stellungnahme auf bestehende Gesetze der niedersächsischen Landesregierung, die nach ausführlicher Prüfung für ausreichend befunden worden seien – so gilt beispielsweise ein generelles Fangverbot für ein Drittel der Nationalparkfläche oder eine Schonzeit während der Wintermonate. WWF und NABU halten diese Gesetze jedoch schlichtweg für unzureichend:

    "Es geht uns darum, dass keine neuen Miesmuschelbänke durch diese Art der Fischerei, wie sie jetzt auch zertifiziert worden ist, entstehen können."

    Weil zu den geschützten Muschelbänken lediglich solche mit "stabilen Beständen" zählten, nicht aber heranwachsende Muschelkulturen. Diese dürften unbegrenzt befischt werden – ebenso wie sämtliche Muschelbestände in nicht trocken fallenden Wattenmeerflächen, für die überhaupt kein Schutz besteht. Laut Heike Vesper hätte der MSC als globaler Zertifizierer aber auch unabhängig von diesen Gesetzen agieren können:

    "Wenn in der Zertifizierung diese Auflagen gemacht worden wären, und die Fischerei hätte das für sich akzeptiert, dann hätte man sich in einem Stufenplan über die nächsten zehn bis 15 Jahre dahin entwickeln können – aber diese Chance ist verpasst worden."

    Allerdings sieht die Zertifizierungsorganisation – ganz anders als die Umweltschützer – gar keine Notwendigkeit, bei einem Nationalpark strengere Regeln geltend zu machen als bei ungeschützten Gebieten. Auf Nachhaltigkeit müsse überall gleichsam geachtet werden, so heißt es in der Stellungnahme, und dass die Miesmuschelkulturen nicht in ihrem Bestand gefährdet seien, habe man ausführlich überprüft.

    Nun können WWF und NABU also nur noch auf eine nachträgliche Anpassung der MSC-Anforderungen für Miesmuscheln hoffen – vielleicht im Rahmen der allgemeinen Überarbeitung der MSC-Standards, die aktuell ansteht. Der MSC sieht hierzu in seiner schriftlichen Stellungnahme jedoch bislang keinen Handlungsbedarf.