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Streit um Pockenimpfung

Medizin. - Die Amerikaner tun es, die Franzosen, die Briten, die Schweizer und auch die Deutschen, sie decken sich derzeit mit Pockenimpfstoff ein. Der Grund: Es könnte schließlich ein Terrorist auf die Idee kommen, nicht nur Milzbrand, sondern, viel schlimmer, hochansteckende Pocken unters Volk zu bringen. Vier von fünf Bürgern sind aber mittlerweile nicht mehr gegen die Pocken geimpft, 1980 hatte nämlich die WHO die Pocken nach einer beispiellosen Vernichtungskampagne für ausgerottet erklärt. Jetzt aber gibt's Streit um den Impfstoff, den die Bundesregierung gekauft hat.

    Von Jutta Schmid-Glöckler

    Der 11.September saß tief, noch tiefer die Erfahrungen mit den Milzbrandattacken in den USA - dabei ist Milzbrand nicht einmal ansteckend, ganz im Gegensatz zu Pocken. Unvorstellbar also, was passiert, wenn ein Pockenangriff kommt - das sagte sich auch die Bundesregierung im Dezember letzten Jahres. Sie kaufte kurzerhand 6 Millionen Impfdosen aus Restbeständen in der Schweiz - veralteten Pockenimpfstoff sagt Deutschlands einziger Hersteller, die Bavarian Nordic in München. Dr.Andreas Hartmann:

    "Das sind Pockenimpfstoffe, die nach alter Methode hergestellt worden sind auf lebenden Tieren, die infiziert waren mit den entsprechenden Pocken, also Kuhpocken zum Beispiel da wurden die Impfstoffe kultiviert, abgekratzt, aufgereinigt und gefriergetrocknet gelagert"

    Was die Impfpocken ohne weiteres überstanden haben - sie sind auch heute noch voll einsatzfähig. Hartmann:

    "Die Pockenimpfstoffe sind dafür bekannt, dass sie lange haltbar sind, sie wurden früher bei der Ausrottungskampagne eingesetzt und nachdem die Pocken für ausgerottet erklärt worden waren Ende der 70er Jahre, gab es eine Empfehlung, die übriggebliebenen Impfstoffe zu vernichten auf grund der sehr starken Nebenwirkungen, die damals zu sehen waren"

    Aber noch nicht einmal die WHO folgte ihrer eigenen Empfehlung - und lies sie auch nicht kontrollieren. Also sind sie wieder auf dem Markt, die alten Pockenimpfstoffe, trotz ihrer Nebenwirkungen: Fieber und Ausschläge sind eher harmlos, Ekzeme, Tumore und Gehirnentzündung enden auch mal tödlich. Dennoch - das Paul Ehrlich Institut, das Bundesamt für Sera- und Impfstoffe, steht voll hinter dem Kauf der Bundesregierung. Zum Zeitpunkt des Kaufs gab es nämlich nur diesen Impfstoff auf dem Markt. Und Bedenken, ihn im Fall des Falles einzusetzen, auch die hat das Bundesamt nicht. Professor Johannes Löwer:

    "Ich denke im Fall des Falles sollten diese Impfstoffe eingesetzt werden, der Schutz ist weit größer als der Schaden, der ausgelöst werden kann, das hat die Ausrottung der Pocken gezeigt."

    Dennoch, besseres ist möglich, sagt die Pharmaindustrie und lässt nicht locker - Pockenimpfstoffe könnten heute schließlich auch nebenwirkungsarm und BSE-sicher auf Zellkultur gezüchtet werden und das in gleich 2 Varianten - einmal mit dem traditionellen Kuhpockenerreger und dann noch mit einem jüngeren, im Menschen nicht mehr vermehrbaren Nachkommen. Das Problem skizziert Löwer:

    "Von den alten Impfstoffen wissen wir, dass sie gewirkt haben, weil die Pocken ausgerottet worden sind. Die Wirksamkeit der neuen Impfstoffe kann direkt nicht mehr nachgewiesen werden, weil es das Pockenvirus nicht mehr gibt. Das kann man nur annähernd herausbekommen und diese Studien müssen noch gemacht werden."

    Unnötig sagt Bavarian Nordic zumindest für zellkulturgezogenen Impfstoff traditioneller Art. Er war nämlich schon mal im Einsatz als Vorimpfstoff in den 70er Jahren, also kurz vor Ende der Ausrottungskampagne. Er sollte entzündete Impfstellen vermeiden oder heftige Abwehrreaktionen abmildern. Und das gelang angeblich auch. Doch auch da reagiert das Paul Ehrlich Institut reserviert. Löwer:

    "Es gibt verschiedene Formen künftiger Impfstoffe: Eine Art der Impfstoffe wird in der Gewebekultur hergestellt, sie sind sicher steril, sie werden aber die Nebenwirkungen haben, die vom Impfvirus herkommen. Die nächste Generation wären Impfstoffe, die nicht mehr auf lebenden Viren oder auf nicht mehr so stark sich vermehrenden Viren beruhen. Dort würden diese Nebenwirkungen, die Infektion anderer Flächen der Haupt z.B., nicht mehr auftreten"

    Ein toter Impfstoff also wäre die Lösung - einer der sicher wirkt, aber durch Kratzen an der Impfstelle nicht mehr weitergetragen werden kann. Die gefährlichste Nebenwirkung allerdings ist auch durch neue Impfstoffe bislang nicht sicher auszuschließen - die Gehirnentzündung. Zellkulturgezüchteter Impfstoff kam aber gerade mal bei 150 000 Menschen zum Einsatz, viel zu wenige sind das für die Abschätzung des Risikos. Also doch besser die Finger vom Pockenimpfstoff lassen? Professor Löwer hat eine ganz andere Idee, er will dem Angreifer lieber das Ziel wegnehmen, aber anders als die Bundesregierung das bisher machte. Löwer:

    "Meine Überlegung geht dahin, dass das Problem erst dann wirksam beherrscht wird, wenn wieder eine allgemeine Impfung möglich ist. Dazu muss ein akzeptierbarer, nebenwirkungsarmer Impfstoff entwickelt werden. Das wird einige Zeit dauern, wahrscheinlich mehrere Jahre und diese Zeit muss für den Notfall überbrückt werden und hier sind moderne auf Zellkultur hergestellte Impfstoffe die geeignete Möglichkeit."