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Streit um rätselhafte Fossilien

Paläontologie. - Vor 575 Millionen Jahren brach die Zeit der rätselhaften Ediacara-Lebewesen an, eine Zeit, die immerhin 20 Millionen Jahre währen sollte. Diese Zeit ist so wichtig, dass die Internationale Geowissenschaftliche Union 2004 zum ersten Mal nach 120 Jahren eine neue Periode in die Einteilung der Erdgeschichte einführte: das Ediacarium. Namensgebend war dabei eine Hügelkette in den Flinders Ranges, einer Landschaft, etwa 500 Kilometer nördlich von Adelaide in Australien. Die Fossilien, die dort gefunden werden, sind rätselhaft, aber sie stehen für die ersten großen Lebewesen auf der Erde überhaupt. Ihre Einordnung ist notorisch schwierig und umstritten. In der aktuellen "Nature" wird dazu eine fast 20 Jahre alte Idee wieder hervorgeholt.

Von Dagmar Röhrlich |
    Die Ediacara-Lebewesen erscheinen uns fremdartig: Manche sahen aus wie Federn, andere wie Palmwedel, Knöpfe, Knoblauchknollen oder wie eine Pizza. Kaum einmal lässt sich so etwas wie ein Kopf erkennen, Mund oder Verdauungstrakt scheinen zu fehlen. Deshalb diskutieren Geologen, was die Ediacara-Fossilien gewesen sein könnten: Tiere, gigantische Einzeller, Kolonien… Sicher scheint eigentlich nur, dass es sich um marine Lebewesen handelt. Gregory Retallack von der University of Oregon in Eugene verfolgt jedoch seit 1994 eine andere Hypothese: Für ihn handelt es sich bei den Ediacara-Wesen um so etwas wie Flechten oder Mikrobengemeinschaften, die in Meeresnähe lebten:

    "Ich bin Experte für fossile Böden und habe meine Kenntnisse in viel jüngeren Schichten erworben. Ich entdeckte, dass die Ediacara-Schichten kein Ozeangrund sind, sondern Böden, in denen diese Fossilien mit mikroskopisch kleinen, fadenförmigen Strukturen 'verwurzelt' waren. Sie waren also keine Meerestiere, sondern Landlebewesen, die in einer Art Tundra lebten, waren also eine Vegetation in einem kalten, sehr trockenen Klima."

    So alte Böden sind notorisch schwer zu erkennen, denn es gab damals noch keine tiefwurzelnden Pflanzen, die ihre charakteristischen Spuren hinterlassen hätten. So diente Retallack die rötliche Farbe der Gesteine in Südaustralien als diagnostisches Zeichen:

    "Die Ediacara-Schichten zeigen außerdem recht gut entwickelte Bodenstrukturen inklusive Sandkristallen aus Gips und kalkigen Knötchen. Außerdem gibt es typische Bodenhorizonte: Wenn Sie das Profil von oben nach unten untersuchen, erkennen Sie graduelle Veränderungen in der Verwitterung."

    Diese Beweise seien jedoch zweifelhaft, urteilt der Paläontologe James Gehling vom South Australian Museum. Retallack habe ignoriert, dass die Verwitterungsfarben eines Gesteins von seinen chemischen Eigenschaften abhingen: Rote Farbe allein sei kein Beleg für Bodenbildung. Außerdem seien Kalkknöllchen und Gipskristalle auch in Meeressedimenten verbreitet:

    "Wenn Retallack recht hätte, bestünde die geologische Überlieferung aus der Ediacara-Zeit großteils aus Bodenhorizonten. Das wäre ganz untypisch, denn normalerweise sind Böden das Erste, was bei einem Meeresspiegelanstieg verloren geht. Außerdem legt Retallack nahe, dass es in diesen Schichten viel Ton und feines Material gibt. Das ist falsch: Sie bestehen aus Sand."

    Selektive Wahrnehmung werfen Gehling und andere Ediacara-Spezialisten Gregory Retallack bei seinem "Lieblingsfossil" Dickinsonia vor. Dieses Lebewesen sieht aus wie eine flache elliptische Scheibe, die entlang der Mittelachse in viele Segmente eingeteilt ist. Wo Kopf und Schwanz von Dickinsonia gewesen sein könnten, läuft diese Segmentierung wie ein Strahlenkranz um die Mittelachse herum. Für Retallack ist Dickinsonia, die rund um die Welt in den entsprechenden Schichten gefunden wird und überall gleich komplex aufgebaut ist, eine Flechte, die über den Boden wächst. Dem widerspricht Gehling:

    "Es gibt sehr gute Hinweise darauf, dass sich Dickinsonia über den Boden bewegt hat. Außerdem gehört sie nicht nur zu den verbreitetsten Fossilien in Südaustralien, sondern auch in einer anderen berühmten Fundstelle in Nordwestrussland: Dort sind die Gesteine grau, und haben noch nicht einmal einen roten Anflug, der an einen Bodenhorizont erinnern könnte."

    Es sei zwar durchaus möglich, dass viele der Ediacara-Organismen keine Tiere seien, so James Gehling, aber eines seien sie ganz sicher nicht gewesen: Landlebewesen.

    "Retallacks Ideen wurden in den vergangenen zehn Jahren an vielen Fundstellen und von unterschiedlichen Wissenschaftlern überprüft und immer widerlegt. Das große Problem mit Retallacks Forschungen ist, dass er nur wahrnimmt, was er will, und sich nicht um das schert, was gegen seine Hypothese spricht."

    Dass mit Retallacks Arbeiten der Stammbaum des Lebens umgeschrieben werden müsse, halten James Gehling und seine Kollegen für absurd. Sie wundern sich, dass "Nature" die Arbeit veröffentlicht hat. Dabei hatte das britische Magazin nach dem Zweiten Weltkrieg den Aufsatz des Ediacara-Entdeckers Reginald Sprigg abgelehnt: Er sei auf anorganische Spuren hereingefallen, hieß es damals.