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Streit um Standort der Batteriezellenfertigung
"Ziemliches Durcheinander der Entscheidungsabläufe"

Die Kriterien, die zur Entscheidung für Münster als Standort für die Batteriezellenfertigung geführt haben, müssten offengelegt werden, sagte die Grünen-Politikerin Anna Christmann im Dlf. Es habe "Ungereimtheiten" gegeben - Bundesforschungsministerin Anja Karliczek müsse Verantwortung für ein sauberes Verfahren übernehmen.

Anna Christmann im Gespräch mit Ralf Krauter | 24.07.2019
Eine Lithium-Ionen-Batterie aus 35-Zell-Modulen. In Bitterfeld will ein amerikanisches Unternehmen künftig Batterien für Elektroautos produzieren.
Wegen der Standortentscheidung für die Batteriezellenfertigung steht Bundesforschungsministerin Anja Karliczek seit Wochen in der Kritik (imago images / Sebastian Geisler)
Ralf Krauter: "Forschungsfertigung Batteriezelle", so heißt das Großprojekt, wegen dessen Standortentscheidung Bundesforschungsministerin Anja Karliczek seit Wochen in der Kritik steht. Die einen werfen ihr mangelnde Transparenz vor. Die anderen Vetternwirtschaft, weil die 500 Millionen vom Bund ausgerechnet dorthin fließen sollen, wo die Ministerin und einer ihrer Staatsekretäre ihre Wahlkreise haben. Sind die anderen Bewerber um dieses Filetstück vom Fördermittelkuchen nun einfach nur schlechte Verlierer? Oder ist an der Kritik was dran?
Eine Sondersitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im Bundestag sollte heute Antworten liefern. Beantragt wurde sie von der grünen Bundestagsabgeordneten Dr. Anna Christmann, gemeinsam mit Kollegen von der FDP und den Linken. Sie ist jetzt am Telefon: Frau Dr. Christmann, sehen Sie jetzt klarer, warum die Standortentscheidung für Münster gefallen ist?
Anna Christmann: Nein, wir sehen leider nicht viel klarer. Wir sehen höchstens klarer, dass der Prozess insgesamt sehr undurchschaubar war und nur sehr schwer nachzuvollziehen ist, wie er in den einzelnen Schritten erfolgt ist. Wir haben erfahren, dass es neben den Kriterien am Anfang für die Gründungskommission im weiteren Verfahren zusätzliche Kriterien gab und dass manche Entscheidungen von der Fraunhofer-Gesellschaft getroffen worden sind, andere von den Ministerien - also es hat sich uns ein ziemliches Durcheinander der Entscheidungsabläufe geboten. Und ich halte es jetzt für umso dringender, dass sehr schnell jetzt alle Dokumente auch offengelegt werden, damit man daraus noch mal mehr Klarheit gewinnen kann als heute.
"Gründungskommission hat keinerlei Empfehlung abgegeben"
Krauter: Sprechen wir über die Rolle dieser Gründungskommission, die ja die Weichen stellen sollte für dieses neue Batterieforschungszentrum. Da waren Vertreter aus Forschung und Industrie beteiligt. Wurde denn jetzt bekannt, welchen Standort die tatsächlich am Ende favorisiert haben? Das ist ja bislang nicht offen kommuniziert worden.
Christmann: Also die Ministerin hat heute dargestellt, dass die Gründungskommission keinerlei Empfehlung abgegeben hat, sondern - aufgrund der Befangenheit der Industrievertreter quasi für ihre jeweiligen eigenen Standorte - am Ende gar keine Empfehlungen abgegeben worden sei, sondern nur vier Standorte herauskamen, die grundsätzlich geeignet gewesen seien. Und dass an dieser Stelle das Ministerium zusammen mit Fraunhofer dann übernommen hätte, zur weiteren Bewertung dieser verbliebenen Standorte. Da fangen aber dann die Ungereimtheiten an. Zum einen stellt sich die Frage: Warum setzt denn das Ministerium überhaupt so eine Kommission ein, wenn von Anfang an klar ist, dass natürlich Industrievertreter für ihre eigenen Standorte sprechen werden? Und dann ist die Frage: Wenn das Ministerium eine solche Entscheidung an sich zieht, warum holt es sich dann nicht noch mal externe Expertise, sondern entscheidet das dann einfach auf Abteilungsleiterebene? Da wird die Ministerin ihrer Verantwortung ein stückweit auch nicht gerecht, denn eine Entscheidung über 500 Millionen kann man aus meiner Sicht nicht einer Abteilungsleitung überlassen.
"Wir fordern eine Offenlegung der Bewertungen"
Krauter: Nun ist unstrittig, dass es in Münster renommierte Batterieforscher gibt. Ein Argument gegen den Standort war und ist aber, dass man dort noch nicht das Know-how zur Zellenfertigung hat und auch nicht die in der Ausschreibung geforderten Gebäude - wie hat die Ministerin erklärt, dass diese Defizite am Ende gar nicht ausschlaggebend waren?
Christmann: Über die Defizite von Münster wurde heute nicht viel geredet. Auch über die Bewertung der anderen Standorte durch das Ministerium wurde heute nicht viel gesagt, sondern es hieß am Ende einfach nur, dass Münster aufgrund der Kompetenzen und bestimmter Forscher, die da ansässig sind, am Ende den Zuschlag bekommen hätte von Seiten des Ministeriums. Gerade das ist aber das Problem, dass wir keinerlei Tabellenübersichten, Bewertungen dazu wirklich kennen und das so von außen überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Das heißt, ich kann schlecht bewerten, ob Münster jetzt zurecht ausgewählt worden ist oder eben nicht, weil ich einfach die Dokumente überhaupt nicht kenne. Und deswegen fordern wir hier auch eine Offenlegung genau dieser Bewertungen.
"Eine zusätzliche Bewertung könnte den Prozess befrieden"
Krauter: Sie fordern Transparenz. Die Frage ist: Wie könnte denn nun eine Lösung aussehen, die die Wogen um dieses strategisch ja sehr wichtige Zukunftsprojekt für den Innovationsstandort Deutschland wieder glättet? Fördermittel einfach an alle verteilen, damit alle wieder zufrieden sind?
Christmann: Na, ich glaube, es deutet sich an, dass eine zusätzliche Bewertung noch mal hilfreich sein könnte - durch eben dann unabhängig zusammengesetzte Expertengremien. Hier müsste die Ministerin ihrer Verantwortung eben gerecht werden und einen neuen Prozess aufsetzen und sich nicht hinter ihrem Haus verstecken, das bisher offenbar sehr freihändig diesen Prozess geleitet hat. Und mit einer neuen Bewertung könnte vielleicht eine Chance bestehen, dass man dann diesen Prozess befriedet und auch wirklich das erreicht, was wir ja alle im Interesse haben sollten: Nämlich dass wir einen neuen Schub für die Batteriezellenfertigung in Deutschland dann tatsächlich auch bekommen.
"Ich sehe die Ministerin in der Verantwortung für ein transparentes Verfahren"
Krauter: Der Abgeordnete Andreas Steier von der CDU hat die Ausschusssitzung ganz anders kommentiert als Sie. Der sagte, es sei klar geworden, dass die Entscheidung für den Standort aus rein fachlichen Gesichtspunkten gefallen ist. Sie sehen es anders und sagen: Da bleibt ein Geschmäckle?
Christmann: Na, ich sehe vor allem die Ministerin, die sich vor ihrer Verantwortung drückt. Sie hat in der Ausschusssitzung sehr ausführlich beschrieben, dass sie das alles ihrem Abteilungsleiter und dem Unterabteilungsleiter überlassen hätte und am Ende die Entscheidung für Münster zur Kenntnis genommen hätte. Das ist nicht das, wie ich die Verantwortung einer Ministerin verstehe. Denn gerade wenn am Ende die Entscheidung auf einen Standort in ihrer Heimat fällt, wäre sie aus meiner Sicht in der Pflicht, sich die Kriterien und den Entscheidungsprozess sehr genau darlegen zu lassen und auch eben während des Prozesses zu entscheiden, ob man nicht noch mal neue Expertise einholen muss und nicht einfach zu sagen: Na gut, dann entscheiden wir einfach im Haus. Und da sehe ich die Ministerin absolut in der Verantwortung, für eine halbe Milliarde Euro dafür Sorge zu tragen, dass das Verfahren transparent und sauber nachvollziehbar ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.