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Streit um Stasi-Spitzel

In etlichen Ländern Osteuropas ist der Umgang mit den Stasi-Akten wieder ins Gerede gekommen Denn nicht überall blieben nach der Wende die Archive der Geheimdienste geöffnet – zum Teil wurden sie schnell wieder geschlossen. Die Kritik daran wird jetzt immer lauter, zum Beispiel in Polen, in der Slowakei und in Ungarn. Aus Budapest berichtet Jan Pallokat.

    Sara Troscanyi arbeitet beim ungarischen Parlaments-Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. Und um das eine als auch das andere unter einen Hut zu bringen, ist selbst für eine promovierte Kommunikationsexpertin eine verzwickte Aufgabe, zumal beides nach der ungarischen Verfassung bürgerliche Grundrechte sind. Nehmen wir zum Beispiel die Frage der Geheimdienstakten aus kommunistischer Zeit, der ungarischen Stasi: Wo endet hier der Datenschutz der einstigen Spitzel, und wo beginnt die Informationsfreiheit der Opfer? Sara Troscanyi sagt, jeder habe das Recht zu erfahren, wer ihn selbst bespitzelt hat.

    "Aber ich kann und darf nicht wissen, wer Ihr Spion war."

    Wenn also einer seiner Opferakte sichtet, gilt:

    "Sie können Kopien bekommen von der Behörde, aber das darf man nicht weitergeben oder veröffentlichen."

    Es könnte also alles geregelt sein, wenn nicht auch der Gebrauch der Akten zu Forschungszwecken gestattet wäre. Diese Möglichkeit nutzten nun einige Ungarn, und zwar gerade nicht, um zu forschen. Krisztian Szabados ist so jemand: Er habe Daten über 1300 Spitzel gesammelt, sagt er. Und er droht damit, sie im Internet zu veröffentlichen, wenn das ungarische Parlament nicht von sich aus per Gesetz die Öffnung der Archive beschließt. Zwei Gründe sprächen für sein Anliegen:

    "Jeder sollte wissen, was in jüngster Zeit geschah. Die ungarische Öffentlichkeit hat ein Recht auf Aktenöffnung. Erst dann nämlich kann man die Grausamkeit des Systems erkennen, das ist besonders wichtig für die Jüngeren, die neigen nämlich zum Vergessen. Der zweite ist ein moralischer Grund: Die Akten liegen im Archiv. Sie werden in vielleicht 50 Jahren geöffnet. Stellen Sie sich vor: Jemand ist fälschlich verdächtigt worden, und in 50 Jahren ist er tot. Er kann sich nicht schützen. So aber kann jeder seine Geschichte erzählen, warum er es tat oder warum nicht."

    Szabados, der eine Budapester PR-Agentur und Beratungsfirma namens "Political Capital" leitet, war noch nicht volljährig, als das kommunistische Regime in Ungarn zusammen brach. Heute will der erst 32jährige die Revolution von damals vollenden und wählt dafür zeitgemäße Methoden.

    Als Anfang des Jahres auf der Internet-Seite von "Political Capital" die ersten 19 Namen von ungarischen Stasi-Agenten aufgelistet wurden, war das Echo enorm. Die Liste stieg im Nu zu einer der am stärksten aufgerufenen ungarischen Internet-Seiten auf. Zwar waren diese ersten Namen ganz bewusst allesamt bekannte, abgesicherte Fälle.

    Aber der Geist ist aus der Flasche: Wenig später veröffentlichte eine Wochenzeitung eine eigene Liste, ebenfalls eine Zusammenfassung weitgehend bekannter Namen. Doch dann erschien auf einer US-Webseite plötzlich eine Liste mit Namen von bislang unbekannten angeblichen Stasi-Zuträgern. Initiator Szabados gibt das Unschuldslamm:

    "Das ist nicht in unserem Sinn und ruiniert unsere Bemühungen. Wir wollten keinen Skandal. Wir jagen keine Köpfe."

    Ziel sei es, das Parlament dazu zu bewegen, endlich per Gesetzesänderung die Enttarnung der Kollaborateure zu legalisieren.

    "In den letzten 15 Jahren hat diese Agentengeschichte unsere Gesellschaft und das politische Leben vergiftet. 1990 haben einflußreiche Geheimdienstleute Akten gesammelt und mit nach Hause genommen. Es gibt also Listen von Leuten, die erpresst werden können. Mit der Öffnung der Archive kann niemand mehr erpresst werden."

    Ob nach bisherigem Recht die Veröffentlichung bereits bekannter Agenten-Namen gegen bestehende Regeln verstieß, ist derweil auch im Büro des parlamentarischen Datenschutzbeauftragten umstritten. Der Datenschutz gehört zu den bürgerlichen Grundrechten in Ungarn. Auf ihn pochen können heute auch die, die seinerzeit intimste Daten und Informationen Anderer an ihre Führungsoffiziere weiterreichten, betont die Mitarbeiterin des Datenschutzbeauftragten Sara Troscanyi:

    "Es gibt bei uns mehr Anträge, die für eine Schließung sind. Ich weiß es nicht, aber ich glaube, es sind die ehemaligen so genannte Täter des Staatssicherheitsdienstes. Sie sagen: Es war ein anderes Regime, eine andere Zeit, ich musste das machen. Das war meine Pflicht, und so weiter. Niemand schreibt in den Anträgen: Ich habe das ganz ernst genommen."

    Doch die Kraft, sich zu organisieren und eine Gegenkampagne zu starten, haben diese Leute trotz bestehender Seilschaften offenbar nicht mehr.