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Streit um Störfall im Atomkraftwerk

Bekannt wurde die Angelegenheit erst durch eine Routineüberprüfung der hessischen Atomaufsichtsbehörde Ende Januar: Wochenlang waren im Atomkraftwerk Biblis Armaturen des Notkühlsystems kaputt gewesen. Der Betreiber RWE hielt die Sache nicht für reparaturbedürftig und meldete deshalb den Störfall zunächst auch nicht den Aufsichtsbehörden. Nachdem nun das hessische Umweltministerium davon erfahren hatte, schaltete es umgehend den TÜV ein. Und der bewertete die undichten Armaturen im Notsystem des Reaktorblocks Biblis A ganz anders als der Betreiber - und überprüft nun das Sicherheitskonzept grundlegend.

Von Ludger Fittkau |
    Wir kritisieren das mangelnde Sicherheitsverständnis des Betreibers des Atomkraftwerkes in Biblis, sprich RWE. Wir müssen feststellen, dass über mehrere Wochen hinweg ein Überdruck im Not- und Nachkühlsystem akzeptiert wurde, ohne dass repariert wurde. Und das halten wir für untragbar, denn es ist ein sicherheitsrelevanter Bereich.

    In diesem Punkt ist sich Ursula Hamman, die umweltpolitische Sprecherin der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im hessischen Landtag mit der hessischen Atomaufsicht einig. Doch die Gefahr, die vom Störfall ausging, bewertet Guntram Finke, der für Biblis zuständige Abteilungsleiter für Strahlenschutz und Atomaufsicht des Hessischen Umweltministeriums, anders als die Grünen:

    Das Handling des Störfalls war nie in Frage gestellt. Das Not- und Nachkühlsystem ist vierfach vorhanden, zwei Systemteile reichen aus, wir hatten hier einen diskussionsbedürftigen Zustand in einem dieser Teile. Also – die Sicherheit war nie tangiert von dieser Angelegenheit.

    Trotzdem hat die hessische Atomaufsicht im Umweltministerium nach dem zunächst verschwiegenen Störfall den TÜV damit beauftragt, dass Sicherheitskonzept des Atomkraftwerks Biblis grundlegend zu überprüfen. Die ersten Fehler seien schon gefunden worden, so Guntram Finke:

    Das praktische Ergebnis dieses Vorfalls ist, dass der TÜV Nord und der TÜV Süd die Betriebshandbücher des Kernkraftwerkes Biblis – beider Blöcke dahingehend überprüfen wird, ob nicht bei der Abarbeitung von Störfallmeldungen Ergänzungsbedarf an diesen Büchern besteht und hier konkrete Hinweise für die Betriebsmannschaften eingefügt werden, wie besondere Störfallereignisse zu behandeln sind.

    Die Zentrale von RWE-Power in Essen räumt auf Nachfrage ein, dass man zur Zeit mit dem TÜV darüber diskutiere, ob die Sicherheitsmaßnahmen in Biblis ausreichen oder nicht. Darüber hinaus will der Konzern zu dem Vorgang aber nicht Stellung nehmen.

    Den Störfall im Notkühlsystem des Atomkraftwerks zwischen den Ballungsräumen Rhein-Main und Rhein-Neckar nehmen die hessischen Grünen zum Anlass, die sofortige Stilllegung von Biblis zu fordern. Und dies, obwohl das Kraftwerk nach dem Atomkompromiss eigentlich noch einige Jahre laufen könnte. Ursula Hamman, die Sprecherin der grünen Landtagsfraktion in Wiesbaden:

    Diese Anlagen bestehen schon 30 Jahre. Das heißt also, wir müssen heute feststellen, dass die Betriebsbücher immer noch unsicher sind. das immer noch Fehler in diesem Werksablauf erfolgen können und deshalb heißt es für uns, diese Atomkraftwerke müssen vom Netz und daher ist der Atomausstieg absolut wichtig.

    Der für die Reaktorsicherheit in Hessen zuständige Umweltminister Wilhelm Dietzel (CDU) habe überdies schon vor einem Jahr versprochen, eine Liste aller bisherigen Störfälle in Biblis vorzulegen. Dietzel nehme die Risiken im südhessischen Atomkraftwerk nicht ernst genug, lautet der Vorwurf der Grünen Ursula Hamman:

    Wir haben über siebenhundert Betriebsstörungen seit Inbetriebnahme der beiden Kraftwerksblöcke feststellen müssen. Und bis heute ist uns Minister Dietzel trotz seiner Zusage immer noch die Auskunft schuldig über Art und Umfang der Störfälle und dies auch im Vergleich zu anderen Kraftwerken. Und das zeigt für mich, das dieser Atomminister kein Interesse hat an einem sicheren Betrieb dieser Anlage vor Ort, denn er setzt weiter auf den Weiterbetrieb.

    Das hessische Umweltministerium weist diese Kritik der Grünen zurück. Die Störfälle von Biblis seien für jeden nachvollziehbar, so Guntram Finke von der Atomaufsicht des Ministeriums:

    Die Vorkommnismeldungen sind alle öffentlich. Die werden von uns sofort nach Bekannt werden an die Presse gegeben. Es werden Jahresberichte herausgegeben, hier ist eine absolute Transparenz gegeben und wir sehen da keine Nachlieferpflicht gegeben.

    Klar ist: Trotz der mangelhaften Betriebshandbücher läuft die Stromproduktion in den beiden südhessischen Atomreaktoren zunächst weiter. Und bis der TÜV endgültige Ergebnisse der erneuten Überprüfung von Biblis A und B vorlegen wird, werden Monate ins Land gehen.