Ganze fünf Fachlehrerverbände haben den offenen Brief an die Berliner Schulsenatorin Sandra Scheeres unterzeichnet: Geschichte, Geographie, Ethik, Philosophie und Philologie sind vertreten. Was die Lehrer eint, ist die Sorge, die Fächer Erdkunde, Geschichte und Politische Bildung könnten ab dem nächsten Schuljahr in einem Topf landen, einem Kontingent, über das die Schulen selbst verfügen: wann was davon in der siebten bis zehnten Klasse unterrichtet wird. Klemens Rinklake vom Verband der Schulgeographen sieht den Schulfrieden in Gefahr:
"Es geht darum, dass dieses Problem dann – die Aufteilung des Kontingentes auf die einzelnen Fächer –, dass dieses Problem in den Schulkonferenzen gelöst werden müsste. Und das würde mit Sicherheit mit Hauen und Stechen verbunden sein. Die Schulkonferenz besteht paritätisch aus Lehrern, Eltern und Schülern und ist für die entscheidenden Weichenstellungen in der Schule verantwortlich."
Eine weitere negative Nebenwirkung einer Kontingentlösung seien noch mehr Schwierigkeiten für Schulwechsler, ergänzt Peter Stolz vom Verband der Geschichtslehrer:
"Wir haben große Sorge dass dann der individuelle Bildungsweg, der nach dem Schulgesetz ja für jeden Schüler garantiert ist, dass diese individuelle Förderung sehr stark eingeschränkt ist und man dann sozusagen in dieser Schule bleiben muss, weil die anderen Schüler doppelt so viel Unterricht hatten."
Hört die Schulsenatorin nicht auf die Fachlehrer?
Den öffentlichkeitswirksamen Lehrer-Brief hat sich die Berliner Schulsenatorin Sandra Scheeres selbst eingebrockt. Schon vor Monaten lud ihr Staatssekretär die Lehrerverbände, Schüler- und Elternvertreter zum Gespräch. Dabei ging es vor allem um das neue Fach Politische Bildung, das zum nächsten Schuljahr eingeführt werden soll. Eine Kontingentlösung wurde nur am Rande besprochen, treibt aber seither die Lehrerverbände um, weil sie sofort Ablehnung formulierten, sich aber nicht sicher sind, dass die Schulsenatorin auch auf sie hört.
Die hätten wir gerne selbst zu den Zielen und Motiven der Kontingentlösung befragt, ihre Senatsverwaltung lehnte ein Interview zum Thema aber gänzlich ab unter Verweis auf noch laufende Gespräche.
Derweil positionieren sich immer mehr andere Akteure öffentlich zum Thema. Der Vorsitzende des Verbandes der Oberstudiendirektoren Ralf Treptow, Leiter eines Gymnasiums in Berlin-Pankow, lehnt die angedachte Kontingent-Lösung ab, jedoch aus anderen Gründen als die Fachverbände:
"Diese Kontingentlösung basiert darauf, dass die Stundentafel erhöht wird, die Stundentafel kann am Gymnasium nicht mehr erhöht werden, wir sind am Ende der Fahnenstange mit 34 Unterrichtsstunden in den Jahrgangsstufen 9 und 10, zweitens sie basiert darauf, dass das Fach Ethik in die Kontingentlösung überhaupt gar nicht einbezogen wird. Das ist absolut unsinnig, natürlich muss Ethik bei einer Lösung für die Fächer des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes mit einbezogen werden."
Schulleiter: Unterschiedliche Profile gibt es schon jetzt
Das Argument der Briefschreiber, besonders Schulwechsler kämen in Schwierigkeiten, teilt Ralf Treptow nicht.
"Das ist überhaupt gar kein Argument, schon derzeit haben wir unterschiedliche Stundentafeln an den Schulen, je nach Profil – mathematisch oder musikalisch orientierte Schulen haben zusätzliche Mathematik bzw. Musik-Stunden an den Schulen, und auch von dort gibt es Schulwechsel, dieses Argument wird von den Fachverbänden nur genutzt, um praktisch ihre Forderungen – und die gehen einseitig in die Richtung der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer im Prinzip – zu begründen."
Am Donnerstag wollen die Berliner Oberstudiendirektoren das Thema auf einer Mitgliederversammlung ihrer Vereinigung diskutieren. Ralf Treptow rechnet damit, dass die meisten seine Einschätzung teilen.
Ziemlich entspannt sieht der Landeselternausschuss Berlin das Thema. Dessen Vorsitzender Normann Heise sagte uns, man sei nicht grundsätzlich gegen eine Kontingentlösung. Aber die Gespräche dazu liefen ja noch, außerdem sei ein Schulwechsel sowieso immer eine Herausforderung.
Schülervertreter sind für Kontingentlösung
Der Landesschülerausschuss hat sich gestern Abend auf eine Position verständigt: Er ist für die Kontingentlösung, weil er darin alle eigenen Forderungen erfüllt sieht, vor allem die Etablierung des Fachs Politische Bildung. Die Schülervertreter drücken aber auch Verständnis für die Sorgen der Fachlehrerverbände aus und betonen, fachfremder Unterricht müsse "in jedem Falle verhindert werden". In einer Pressemitteilung wünschen sich die Schüler außerdem, dass der Ethik-Unterricht als viertes Kontingent-Fach dazu kommen soll:
"Des Weiteren sollen alle Fächer in der zehnten Klasse mindestens einstündig unterrichtet werden, um die Schüler*innen […] z.B. für eine Leistungskurswahl in dem jeweiligen Fach vorzubereiten."
Die Autoren des offenen Briefes haben von Sandra Scheeres derweil noch keine Antwort bekommen.
Die Berliner Politiklehrer, organisiert im Verband DVPB, haben den Brief übrigens bewußt nicht unterschrieben. Als eigenständiges Fach ist die politische Bildung hier ja gerade quasi erst im Geburtskanal. Der Verband befand einen offenen Brief für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für nicht sinnvoll.