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Streiter für die Gerechtigkeit

Nelson Mandela schickte einen Sonderbotschafter nach Nigeria, Vertreter des Commonwealth drohten mit dem Ausschluss Nigerias, die USA und die Europäische Union forderten einen Boykott der nigerianischen Ölimporte. Aber der Diktator Sani Abacha ließ sich nicht umstimmen, Ken Saro-Wiwa hatte am Lebensnerv seines Regimes gerührt: die reibungslose Ausbeutung der gewaltigen Ölreserven im Niger-Delta um buchstäblich jeden Preis.

Von Stefan Fuchs | 10.11.2005
    "Shell weigert sich mit dem Ogoni-Volk zu verhandeln. Wann immer der Konzern unter Druck gerät, läuft er zur nigerianischen Regierung und macht klar, dass das Erdöl 90 Prozent des Außenhandels ausmacht, jede Behinderung die Zerstörung der nigerianischen Wirtschaft bedeutete. Die Regierung geht dann mit großer Gewalt gegen die Menschen vor, die doch nur friedlich protestiert haben. Die Ölgesellschaften aber lehnen jede Verantwortung dafür ab, weil sie angeblich keinerlei Einfluss auf das Ausmaß der Gewalt haben, mit der die Regierung gegen das eigene Volk vorgeht."

    Unermüdlich prangerte der Schriftsteller, Journalist und Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa die perverse Arbeitsteilung zwischen den transnationalen Öl-Konzernen und den Machteliten in seiner Heimat Nigeria an. Saro-Wiwa sollte dieses System schließlich das Leben kosten. Nach einem von unabhängigen Beobachtern als juristische Farce beschriebenen Prozess werden er und acht weitere Aktivisten des Ogoni-Stammes vom Regime des nigerianischen Diktators Sani Abacha zum Tode verurteilt. Am 10. November 1995 wird trotz internationaler Proteste die Hinrichtung vollstreckt.

    Wie ein Fluch lastet der Ölreichtum auf dem Stammesgebiet des Ogoni-Volkes im Niger-Delta. Seit über dreißig Jahren fördert dort der niederländisch-britische Shellkonzern. Rohöl im Gegenwert von mehr als dreißig Milliarden Dollar hat das Unternehmen aus der von Mangrovensümpfen geprägten Landschaft herausgeholt. Für die Bewohner aber blieb nur Zerstörung: Ein Gewirr verrotteter Ölpipelines überzieht das Land, Leckagen vergiften Boden und Wasser. Das Abfackeln des Gases erleuchtet die Nächte taghell. Das Trinkwasser ist mit einem Ölfilm überzogen, die Luft voller Rußschwaden. Es gibt keine Schulen, nicht einmal Arbeitsplätze, keine nennenswerte medizinische Versorgung.

    "Eine alte Frau humpelte ihm entgegen. "Mein Sohn, heute Morgen sind sie gekommen, haben meinen ganzen Acker zerwühlt, meinen einzigen Acker, all meine Mühe einfach weggemäht." - Er verfluchte die Götter, weil sie die Ölquellen nicht versiegen ließen. Was konnte er tun? Konnte er Ersatzland beschaffen? Würde der Gesetzgeber etwa die Gesetze ändern, nur um ihnen ein bisschen Glück zurückzugeben, diesen armen Teufeln, die durch die Suche nach dem Öl ein Hundeleben führen mussten?"

    Das Leiden der "armen Teufel" steht auch im Zentrum der Literatur Ken Saro-Wiwas. Schutzlos sind vor allem die Angehörigen der über 200 Minderheitenvölker Nigerias den Machteliten der dominierenden Stämme des Nordens ausgeliefert. So beschreibt Saro-Wiwas berühmtester Text "Soza-Boy" das Trauma des nigerianischen Bürgerkriegs in den sechziger Jahren aus der Perspektive eines halbwüchsigen Soldaten aus dem Ogoni-Volk. Saro-Wiwas Schreiben stemmt sich bewusst, gegen den verschleiernden Effekt des von Kolonialherrn wie einheimischen Eliten gleichermaßen gebrauchten Standard-Englisch. Er experimentiert mit einem kreolisierten Englisch, das die Erfahrungen der Entwurzelten unverstellter spiegelt.

    "Das Radio hat gebrüllt wie noch nie. Große Wörter, lange Sätze, viel Grammatik. Vorher waren die Wörter nicht so kompiliziert (sic) und alle waren froh und zufrieden. Aber jetzt wurden die Wörter immer größer und kompilizierter (sic) und die Leute waren gar nicht mehr froh und zufrieden. Große Grammatik – viel Palava. Und viel Palava – viel Tod."

    10 Jahre nach Ken Saro-Wiwas Ermordung ist seine Vision von einem Nigeria, in dem alle ethnischen Gruppen gleichberechtigt zusammenleben, immer noch ein unerreichbarer Traum. Mehr denn je ist das Niger-Delta zum gesellschaftlichen und ökologischen Niemandsland geworden. Der Zusammenhalt der traditionellen Kulturen zerfällt, kriminelle Banden haben sich auf Öldiebstahl aus den nach wie vor maroden Pipelines und Entführungen des technischen Personals spezialisiert. Flackert irgendwo Protest auf, sorgen Shell, Chevron und ihre Subunternehmen auch heute noch dafür, dass die Regierung ihre "Kill-and-Go" Kommandos in Marsch setzt.