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"Streitfähigkeit ist verloren gegangen"

Der Journalist und Publizist Jürgen Busche hat eine mangelnde Streitkultur in der politischen Debatte konstatiert. In Bezug auf die Diskussion um das Verhalten des SPD-Politikers Wolfgang Clement sagte Busche, der Streit solle zwischen den Parteien, nicht innerhalb der Parteien ausgetragen werden. Streiten bedeute Diskussion, ohne dass man aufeinander böse sein müsse, sagte Busche.

Jürgen Busche im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig |
    Rainer Berthold Schossig: Das aus der nordrhein-westfälischen Landes-SPD ausgeschlossene Urgestein Wolfgang Clement, einst Ministerpräsident des Landes, dann Super-Minister in Berlin, einer der profiliertesten Sozialdemokraten der Republik, macht heute Schlagzeilen. Strapazierte der streitbare Politiker die innerparteiliche Meinungsfreiheit allzu sehr? Eine Partei, die sich ja gerade ob ihrer Streitkultur etwas zugute hält? Aber auch die Union hat ja ihre Ausgrenzungsfälle gehabt. Warum trennte sie sich von so kompetenten Steuerpolitikexperten wie Friedrich Merz oder Paul Kirchhof?

    Ein Anlass für uns, ein wenig über Streitkultur nachzudenken. Ich habe gesprochen mit Jürgen Busche. Er war lange Journalist bzw. zum Beispiel bei der "FAZ" und der "Hamburger Morgenpost". Er hat Reden unter anderem für Bundespräsident Richard von Weizsäcker geschrieben und arbeitet heute als freier Publizist für "Cicero". Als die Mauer vor rund zwei Jahrzehnten fiel, so habe ich Jürgen Busche gefragt, schien das demokratische Modell der politischen Offenheit den strategischen Sieg errungen zu haben. Im Wettstreit der Systeme hatte die Meinungsfreiheit anscheinend gesiegt. Und heute, wo sehen Sie noch Streitkultur, Herr Busche?

    Jürgen Busche: Die Streitkultur sollte sein zwischen den Parteien und weniger in den Parteien. Nur zwischen den Parteien ist so viel nicht mehr strittig, dass sich dort so etwas wie eine Kultur behaupten oder bewähren könnte, denn die großen Fragen der Deutschlandpolitik, wie sie uns in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg begleitet haben, die sind oder die scheinen geklärt zu sein. Darüber streitet man nicht mehr.

    Schossig: Früher wurde ja immer nur über große Richtungen diskutiert, ich sage mal Freiheit oder Sozialismus. Und heute fragt man sich, ob es sich überhaupt noch lohnt, über Kleinigkeiten diesseits der Grenzzäune von Political Correctness zu streiten.

    Busche: Ja, man muss schon streiten, man muss schon streiten zum Beispiel darüber, was der Staat seinen Bürgern zumuten kann und ob er es allen zumuten kann und wie er da Unterschiede macht. Und darüber wird ja auch gestritten, wenn Sie die ganzen Auseinandersetzungen über die Hartz-IV-Gesetze sich angucken, nur das zieht sich hin. Streitigkeiten, die nicht zu dem Bild von Politikern passen, die wir aus der Geschichte der Bundesrepublik zumal gewonnen haben: Willy Brandt, Franz Josef Strauß, Herbert Wehner. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Tage damit verbracht hatten, sich über den Milchpreis zu streiten.

    Schossig: Das Interesse an politischer Auseinandersetzung sinkt im Volk. Liegt das, wie Sie jetzt eben andeuteten, vielleicht am mangelnden oder gesunkenen Profil der Vertreter der großen Volksparteien? Zumal der SPD laufen ja die Mitglieder davon. Haben wir das Streiten verlernt?

    Busche: Nein, ich glaube nicht, dass wir das verlernt haben, nur der Streit muss sich den Themen anpassen, über die gestritten wird. Der SPD laufen ja die Wähler davon, weil sie nicht imstande ist, den Streit mit der Linkspartei so zu führen, dass er die Leute fasziniert und zur Parteinahme veranlasst, und die Linkspartei kann versprechen, was sie will, und ein Teil der Leute laufen zu ihr und die SPD hat kein Mittel dagegen. Hier ist Streitkultur verloren gegangen, aber man sollte vielleicht besser sagen, Streitfähigkeit ist verloren gegangen.

    Schossig: Wäre das mehr als rhetorische Fähigkeit?

    Busche: Nein, das ist schon, die Dinge in den Mittelpunkt zu rücken, um die es geht, das wäre die Aufgabe der Politiker. Und das haben sie zum Teil nicht gelernt, zum Teil weil sie da auch in der Bundesrepublik die falschen Vorbilder hatten, denn mit den Mitteln eines Herbert Wehner oder eines Franz Josef Strauß lassen sich diese Auseinandersetzungen nicht gewinnen.

    Schossig: Anscheinend geht gutes Regieren ohne Debattenkultur besser, denkt man.

    Busche: Nein, das glaube ich nicht. Aber das eine steht dem anderen natürlich gegenüber. Und bei uns verschmilzt es zu oft. Also wir haben, glaube ich, kein Parlament, das in der Bevölkerung wahrgenommen wird als den Ort der Kritik und der Überprüfung der Regierenden.

    Schossig: Ist es vielleicht so, dass viele heute denken, gerade von den jüngeren Managern oder Politikmanagern, dass das Streiten ein alter Zopf aus der Spätaufklärung sei? Sie sind ja jemand, der sich immer gern gestritten hat und noch streitet, wenn man also auch kleine Debatten mit Herrn Karasek im Literarischen Quartett denkt oder so.

    Busche: Na ja, ich würde sogar sagen, alles Lernen oder alle geistige Bewegung ist Diskussion. Und Diskussion ist eben in der einen oder anderen Form Streit. Und das sollte man schon ernst nehmen. Im Augenblick, wenn Sie die Schlagzeilen heute der Presse entnehmen, das ist ja auch schon merkwürdig. Wolfgang Clement ist ein ganz bestimmt kompetenter und wer ihn kennt, weiß auch charmanter und zuverlässiger, freundlicher Mann. Also man kann mit ihm streiten, ohne dass das bedeutet, dass man ihm böse sein muss. Und jetzt ist er plötzlich, nachdem er ja auch noch vorgestern der Buhmann war, ist er plötzlich, steht in der Öffentlichkeit als ein Mensch, den man bedauern muss, und man beschimpft dieses Schiedsgericht, was auch natürlich wieder falsch ist. Dieses Schiedsgericht besteht aus Leuten, die ihre Arbeit tun und wahrscheinlich nach bestem Wissen und Gewissen. Das sind zwei hochrangige, beamtete Juristen und eine Ärztin, also auch nicht gerade der Kumpel-Anton-Typ, von dem man glaubt, dass ihm das Temperament durchgeht. Die Art und Weise, wie jetzt auf das Schiedsgericht eingehämmert wird, zeigt auch wieder, dass wir auch an diesem Punkt in der Öffentlichkeit und auch bei den journalistischen Kollegen an vernünftiger Streitkultur verloren haben.

    Schossig: Der Historikerstreit ist lange vorbei, die Goldhagen-Debatte auch, der von Ihnen angezettelte Habermas-Zwist. Hat die Streitkultur denn noch eine Zukunft?

    Busche: Ja, sicher hat sie das. In dem Augenblick, wo es ernsthaften Streit gibt, der die Leute auch bewegt und umtreibt.

    Schossig: Der Publizist Jürgen Busche über Streitkultur heute.