Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Streitgespräch auf dem Diwan

Ein wenig sozialistische Völkerfreundschaft, ein Quentchen interreligiöser Dialog, eine Kelle voll weltenrettendem Humanismus und als Würze eine gute Prise Kampf der Kulturen - so könnte ein Zyniker die Schriftstellerlandverschickung nennen, die unter dem Titel "West-östlicher Diwan" zwischen 2002 und 2007 deutsche und orientalische Schriftsteller einander näher bringen und die kulturellen Differenzen erfahren und überwinden lassen wollte.

Von Stefan Weidner | 20.12.2007
    Nun muss ein solches Projekt, selbst wenn es ein wenig zu offensichtlich gut gemeint war, deswegen nicht gleich schlecht sein, und es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die nun publizierten literarischen Erträge zu richten.

    So unterschiedlich die zweiundzwanzig beteiligten Autoren auf ihr Gastland und ihren literarischen Partner reagieren, bei allen ist das Bemühen zu spüren, die klassischen Orient-Okzident Klischees früherer Reiseschriftsteller zu überwinden. Natürlich gelingt das nicht immer. Wenn Albert Ostermeier auf seiner Iranreise der Angst vor dem Mullahstaat frönt oder Ulrike Draesner die Verlogenheit der marokkanischen Gesellschaft aufdecken will, während sie das muslimische Schlachtopferfest beobachtet, erscheint der gepflegte kritische Impetus der Deutschen ziemlich selbstgerecht.

    Zugegeben, wer für den Tierschutz eintritt, der wird das große Hammelschlachten zum Opferfest barbarisch finden. Ob aber das industrialisierte Massenschlachten in unseren Breiten weniger verlogen ist? Und wenn Joachim Helfer seinem Kollegen Raschid Al-Daif und mit ihm dem ganzen Nahen Osten vorhält, dass dort die Errungenschaften der westlichen Homosexuellenbewegungen noch nicht übernommen worden seien, gerät die eigene moralische Fortschrittlichkeit in gefährliche Nähe zu dem bekannten Spruch von Kaiser Wilhelm dem II.: "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen".

    Für die abendländischen Leser ist naturgemäß der Okzidentalismus, also die Klischees der orientalischen Schriftsteller über den Westen, leichter zu erspüren, etwa wenn Joachim Helfers Diwanpartner Raschid al-Daif im Westen vor lauter sexueller Freiheit nur noch Dekadenz erblickt. Und geradezu rührend ist es, nachzuverfolgen, wie der Dichter Qassim Haddad aus Bahrein sich zu der Erkenntnis durchringt, dass die Deutschen vielleicht gar nicht so griesgrämig sind, wie man ihnen immer nachsagt:

    In Berlin gab es Menschen, durch die ich mit dem deutschen Kosmos kommunizieren konnte. Es ergab sich für mich sogar noch etwas Wichtigeres und Schöneres: Ich entdeckte die Widerlegung der These von der deutschen Griesgrämigkeit. In München berichtete ich dem Publikum unserer letzten Lesung davon. Ich sagte, ich sei in der Erwartung nach Deutschland gekommen, mürrische Deutsche anzutreffen, hätte aber das Gegenteil davon vorgefunden. Der Saal brach in Lachen aus, und mir wurde klar, dass eben jene Griesgrämigkeit immer dann weicht, wenn man sie anspricht und fragt: Na, wie geht es, Griesgrämigkeit?

    Das Buch ist etwas künstlich nach Textgattungen unterteilt, und so gibt es Kapitel mit "Reportagen", "Gedichten" und "Dialogen". Je literarischer aber die Verarbeitung des Auslandsaufenthaltes wird, desto lesenswerter sind die Texte, desto deutlicher wird, was eine literarische Arbeit tatsächlich dem Journalismus voraushaben kann. So betören etwa die marokkanischen Gedichte Ulrike Draesners durch eine Empfindsamkeit in der Wahrnehmung, die ihrer Reportage abgeht. Auch die Lyrik des Libanesen Abbas Beydoun gehört zu den Texten des Bandes, die bleiben werden.

    Der Schrecken ist ein Engel auf dem Potsdamer Platz
    Glückseligkeit ist ein Händler am Potsdamer Platz
    Hass hat keine Dornen am Potsdamer Platz
    Liebe verletzt nicht am Potsdamer Platz
    Höllenhunde bellen nicht am Potsdamer Platz
    Nicht von Müttern geboren werden Helden am Potsdamer Platz
    Der Schrecken ist ein Engel auf dem Potsdamer Platz.

    Herausragend sind auch Martin Mosebachs Prosaminiaturen über seine Begegnungen in Kairo. Es gelingt ihm, das Typische zu finden und zu schildern, ohne auch nur einen Satz lang ins Klischee zu verfallen:

    Der junge Rechtsanwalt stammt aus einem Dorf im Nildelta. Seit er fünf Jahre war, hat er mit den Eltern täglich zwölf Stunden auf dem Feld gearbeitet. Nachts hat er gelesen; vergeblich hat der Vater ihn geschlagen, um ihn von den Büchern wegzubringen. Er schwärmt vom Rechtsstaat, vom Recht für die Armen, von Freiheit und Bildung für alle. "Meine Idole, die größten Menschen, die je gelebt haben: Adolf Hitler, Karl Marx und der Prophet Mohammed."

    Auch wenn nicht alle Texte diese Qualität haben, ist das Buch dank seiner Stimmenvielfalt abwechslungsreich und vermittelt den Lesern das Gefühl, selbst im Orient unterwegs zu sein.

    Vor allem aber wird uns durch die orientalischen Autoren erstmals der fremde Blick auf uns nahe gebracht - ein Blick, der uns vermutlich ebenso verzerrt vorkommt wie den Orientalen unser Blick auf sie. Das Projekt West-östlicher Diwan zeigt damit auf, was noch alles geleistet werden muss, bis wir uns mit den orientalischen Autoren eines Tages so selbstverständlich und unbelastet verständigen können, wie mit ihren Kollegen aus der westlichen Hemisphäre.

    Joachim Sartorius (Hg.): Zwischen Berlin und Beirut. West-östliche Geschichten. Verlag C. H. Beck, München 2007. 288 S., geb., 24,90 Euro.