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Streitgespräch: Das geplante Leistungsschutzrecht im Internet

Suchmaschinenbetreiber sollen nicht mehr ohne Erlaubnis auf Presseartikel zugreifen, um sie in Auszügen öffentlich zu machen, so plant es die Bundesregierung. Google hat dagegen eine Onlinekampagne gestartet, die bei Verlegern schlecht ankommt: ein Streitgespräch der Kontrahenten.

Das Gespräch moderierte Tobias Armbrüster | 29.11.2012
    Tobias Armbrüster: Wer soll daran verdienen, wenn Suchmaschinen Geld mit Zeitungsartikeln verdienen? Stehen zum Beispiel die Werbeeinnahmen nur den Suchmaschinen selbst zu, oder sollen sie den Zeitungsverlagen etwas davon abgeben? Das ist eine der zentralen Fragen, um die es in der Reform des deutschen Urheberrechts gehen soll. Heute wird sich der Bundestag damit befassen. Ein sogenanntes Leistungsschutzgesetz soll regeln, wie viel Geld die Verlage von den Suchmaschinen erhalten können.
    Am Telefon ist jetzt Kay Oberbeck, Sprecher für Google in Deutschland. Schönen guten Morgen!

    Kay Oberbeck: Ja schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Und außerdem begrüße ich Christoph Keese, Leitender Manager bei der Axel Springer AG und außerdem ehrenamtlich als urheberrechtspolitischer Sprecher beim Bundesverband deutscher Zeitungsverleger tätig. Guten Morgen auch an Sie.

    Christoph Keese: Ja guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Oberbeck, bleiben wir zunächst mal bei Ihnen. Sie vertreten Google. Warum will Ihr Unternehmen nicht ein kleines Stück abgeben von den Einnahmen, die Sie mithilfe der Tageszeitungen machen?

    Oberbeck: Generell – das hat auch schon Ihr einführendes Stück klar gemacht – geht es uns darum, klarzumachen und auch jedermann hier in Deutschland verständlich zu machen, dass ein Leistungsschutzrecht dem Internet generell schadet. Es bedeutet weniger Information für alle Bürger, höhere Kosten für Unternehmen. Und wenn dieses Gesetz tatsächlich Realität werden sollte, könnten Nutzer im Netz nicht mehr jederzeit das finden, was sie suchen. Mit unserer Kampagne möchten wir wie gesagt die Bürger über dieses geplante Netzgesetz und die Folgen informieren, da es bislang nur einer Elite, nur einem kleinen Kreis bekannt ist und jetzt sozusagen auch in einer schnellen Art und Weise hier im Bundestag durchgeboxt werden soll, und davor möchten wir eine Debatte anstoßen, was, glaube ich, auch gelungen ist, um über die Folgen des Gesetzes zu diskutieren.

    Armbrüster: Herr Keese, was sagen Sie dazu?

    Keese: Nun, die Vorwürfe, die in der Kampagne erhoben werden, sind einfach schlicht nicht zutreffend. Es geht – und da war auch Ihr einführender Beitrag leider nicht ganz korrekt – nicht darum, dass das Gesetz festlegen würde, wie viel Geld bezahlt werden soll, sondern das Gesetz sagt einfach sehr simpel, dass Verlage vorher gefragt werden müssen, bevor man Texte, Fotos und Videos gewerblich kopiert. Es geht nur um gewerblich. Das war es auch schon. Es wird keine Gebühr festgelegt, es wird kein Geldrahmen festgelegt. Es heißt einfach nur, bitte vorher fragen, bevor etwas gewerblich genutzt wird. Das sollte eigentlich das Natürlichste der Welt sein. Das wird in keiner Weise den Aufbau des Internets und die Entwicklung des Internets in Deutschland beeinflussen, ganz im Gegenteil. Da wird Innovation befördert. Das fördert vor allen Dingen Investitionen in Inhalte, in guten Journalismus, weil eines ist klar: Wenn man gewerblich kopieren darf, ohne dafür zu bezahlen, dann investiert am Ende auch keiner in wirklich gute Qualität.

    Armbrüster: Herr Oberbeck, warum hält sich Google nicht einfach an solche sehr einfachen Spielregeln?

    Oberbeck: Nun, die Darstellung, Google würde hier Inhalte kopieren, ohne Einverständnis der Verlage, ist natürlich völlig unsinnig. Es ist so, dass Angebote wie zum Beispiel Welt.de aus dem Axel Springer Verlag fast die Hälfte ihres gesamten Traffics, der ganzen Zugriffe auf ihre Seite, durch Plattformen wie Google generieren.

    Armbrüster: Und da fragen Sie erst um Erlaubnis?

    Oberbeck: Das ist letzten Endes die Infrastruktur des Internets, Links und kleine Textausrisse anzuzeigen, um überhaupt erst solche Inhalte bekannt zu machen, die von der Tageszeitung "Die Welt" oder von der "Bild" oder von "Focus" oder von "Spiegel" freiwillig ins Internet gestellt werden. Sie selber können selbst bestimmen, ob sie entweder durch Google initiiert werden wollen, ob sie gefunden werden wollen oder nicht. Sie können selber festlegen, welche Teile von Seiten, welche Teile ihres Angebotes überhaupt auffindbar gemacht werden sollen oder gar nicht. Also insofern haben hier die Verlage schon jetzt sämtliche Hebel in der Hand, um selber festzulegen, was hier im Internet von ihren Angeboten sichtbar ist oder was auch nicht. Die Verlage argumentieren natürlich immer, sie hätten eine Schutzlücke und bräuchten ein neues Recht, um gegen vermeintliche Piratenseiten besser vorzugehen. Die deutschen Verlage möchten letzten Endes mit Hilfe eines solchen Leistungsschutzrechtes gegen solche Online-Dienste vorgehen, und das ist auch ihr gutes Recht, die in illegaler Art und Weise hier Inhalte kopieren und anbieten. Aber gerade das machen Anbieter wie Suchmaschinen oder Google in keinster Weise.
    Wir sorgen dafür, dass pro Monat mehrere Milliarden, mehrere Milliarden Klicks auf die Seiten von Verlagsangeboten kommen. Allein im letzten Jahr haben wir über unser Werbemodell AdSense über sieben Milliarden US-Dollar an unsere Publishing-Partner – und darunter sind sehr, sehr viele Verlage wie unter anderem auch der Axel Springer Verlag – überwiesen. Insofern hier uns vorzuwerfen, wir würden quasi schmarotzerhaft Inhalte illegal kopieren, ist absolut Quatsch und auch etwas, was wir so auch nicht stehen lassen können.

    Armbrüster: Herr Keese?

    Keese: Es wäre schön, wenn es so wäre, wie Herr Oberbeck das schildert. Das trifft aber leider wirklich nicht zu. Die sieben Milliarden, die ausgeschüttet werden, von denen Herr Oberbeck spricht, die gehen an alle, die im Internet irgendetwas veröffentlichen und Werbung dann eben einbinden mit diesem AdSense-Programm. Das sind im weit überwiegenden Teil keine Verlage.

    Oberbeck: ... darunter auch ganz, ganz viele Verlage!

    Keese: Darf ich das noch eben zu Ende bringen, was Herr Oberbeck auch gerade sagt, dass man angeblich frei die Möglichkeit hätte einzustellen, was man veröffentlicht sehen möchte. Genau das Gegenteil ist der Fall, und da liegt sozusagen der Kern des Problems. Google bietet einen einfachen Lichtschalter an, und diesen Lichtschalter kann man auf "An" oder "Aus" setzen. wenn man ihn auf "An" setzt, ist man im Internet sichtbar, erteilt damit nach Interpretation von Google aber die Einwilligung, dass alles kopiert werden darf was man macht. Umgekehrt kann man sagen, ich möchte den auf null setzen, ausschalten, diesen Lichtschalter; dann bin ich mit nichts, was ich mache, im Internet sichtbar. Ich bin gar nicht mehr auffindbar, ich bin für niemanden mehr auffindbar, selbst für Google nicht. Es wäre schön, wenn es solche differenzierten Möglichkeiten gäbe, wie Herr Oberbeck sie gerade schildert, aber die gibt es im Augenblick nicht. Und deswegen – und darauf zielt das Gesetz ab – muss es jetzt darum gehen, dass differenzierte Möglichkeiten der Rechtevergabe eingeräumt werden, und nichts anderes schlägt dieses Gesetz vor. Das ist die mildeste Lösung. Das ist übrigens nicht nur ein Gesetz, das in Deutschland diskutiert wird, sondern in vielen europäischen Ländern wird darüber diskutiert. Frankreich hat gerade in einem Gespräch mit einem hochrangigen Vertreter von Google auch angekündigt, der Präsident persönlich, Präsident Hollande mit Eric Schmidt von Google, dass man in Frankreich auch darüber nachdenkt und von Google verlangt, dass jetzt schnell eine einvernehmliche Einigung mit den Verlagen in Frankreich gefunden wird, weil es sonst zu einem solchen Gesetz auch in Frankreich kommen wird. In Italien, Spanien, in Portugal ...

    Oberbeck: Aber vielleicht bleiben wir doch erst mal in Deutschland, Herr Keese. Vielleicht bleiben wir erst mal in Deutschland. Hier ist es ja so, dass sich das Max-Planck-Institut mit 16 der wirklich renommiertesten Urheberrechtsexperten gestern zu Wort gemeldet hat und ein Leistungsschutzrecht in vollkommener Art und Weise ablehnt. Und Sie können ja jetzt nicht so tun, als ob ein solches Gesetz tatsächlich von allen hier einhellig befürwortet würde. Es geht ein tiefer Riss durch das gesamte Parlament. Die Junge Union ist dagegen, die Liberalen sind dagegen, die SPD ist dagegen, die Grünen sind dagegen.

    Keese: Die Liberalen sind nicht dagegen, wenn ich das noch eben sagen darf. Die Gesetze werden vom Bundestag gemacht und da werden eben mehr Argumente auch mit einbezogen als nur die juristischen Argumente. Man darf eine solche große Debatte über die Zukunft von Qualitätsjournalismus und die Zukunft von Medien nicht vereinfachen und herunterbrechen nur auf legalistische urheberrechtliche Argumente. Und wenn ich das einfach noch mal einflechten darf: Google macht in Deutschland geschätzt zwischen zweieinhalb Milliarden und drei Milliarden Euro Umsatz und bezahlt nur fünf Millionen Steuern, das ist sehr, sehr wenig Geld, beschäftigt nur 500 Mitarbeiter in Deutschland. Zum Vergleich: Unsere Firma Axel Springer, um etwa den gleichen Umsatz zu erzielen, benötigt dafür etwa 12.000 Mitarbeiter. Google ist eine Organisation, die viel Geld aus Europa absaugt und in die USA bringt, und es ist überhaupt nicht einsichtig, warum das möglich sein soll, ohne denjenigen, die die Inhalte erzeugen, die bei Google im Internet angezeigt werden, in irgendeiner Weise und in einer bescheidenen Weise daran zu beteiligen.

    Armbrüster: Herr Keese, ich glaube, die Frage, die bei vielen Hörern jetzt bleibt, ist: profitieren die Zeitungen nicht eigentlich heute schon massiv von Suchmaschinen so wie Google, denn ohne diese Suchmaschinen hätten sie ja online viel weniger Leser?

    Keese: Das ist sicher richtig und das bestreitet auch niemand, das sagt auch niemand. Was wir nur hervorstreichen möchten – und das kann jeder Nutzer sich, glaube ich, auch sehr gut selber vorstellen aufgrund seines eigenen Verhaltens -, dass viele auf die Nachrichtenüberblicke, die es im Internet gibt, gar nicht mehr draufklicken, weil ihnen die Nachrichtenüberblicke als solche schon reichen. Es wäre ja toll, wenn jeder draufklicken würde und dann bei uns landen würde, aber die Nachrichtenüberblicke, die man im Internet findet, sind oft schon so umfangreich und so vielfältig, dass viele Leute, gerade wenn sie es eilig haben, gar keine Veranlassung mehr sehen, auch die Geschichte durchzuklicken, und da entsteht für die Verlage sozusagen der Schaden. Ich darf aber auch darauf hinweisen, ...

    Oberbeck: Wie erklären Sie sich denn dann, dass die Hälfte aller ...

    Armbrüster: Moment, Moment. Moment, Herr Oberbeck, einen Augenblick. Lassen Sie kurz Herrn Keese aussprechen.

    Keese: Lassen Sie mich den Punkt noch eben zu Ende bringen. Es geht eben nicht nur um Google und es geht nicht nur um diese kleinen kurzen Textausschnitte, "Snippets", wie man sie nennt, die bei Google erscheinen, sondern es geht überhaupt insgesamt um gewerbliche Kopien, und wir wissen alle, dass es weitaus mehr Aggregatoren gibt, also Unternehmen, die Inhalte zusammenfassen, als nur Google. Es gibt eine riesige, mittlerweile Hunderte von Millionen Dollar schwere Branche, die Informationen von Verlags-Webseiten bündelt und ihrerseits weiterverkauft an gewerbliche Kunden. Das sind sogenannte Business to Business Aggregatoren. Dieses Gesetz umfasst eben nicht nur Google, sondern greift einen sehr wichtigen Markt ab, dem im Augenblick eine wirklich existenzielle, für die Verlage sehr wichtige Regelung dafür fehlt.

    Armbrüster: Herr Oberbeck!

    Oberbeck: Ja da würde ich doch mal gerne fragen, wie sich Herr Keese erklärt, dass fast die Hälfte aller Zugriffe auf Angebote wie Welt.de oder auf Focus.de durch eine Suchmaschine wie Google getriggert wird. Also hier jetzt so zu tun, als ob alle Nutzer hier auf Seiten wie Google.de oder Google News verhaftet blieben, ist natürlich absolut Unsinn, auch der Versuch der Darstellung, dass wir hier mit solchen Textausschnitten und Links immens viele Milliarden Umsätze generieren würden. Auf Google News gibt es keinerlei Werbung. Wir verdienen mit Google News keine müde Mark beziehungsweise noch nicht mal einen einzigen Euro, dadurch, dass wir hier diese Textausrisse von Verlagsangeboten darstellen. Uns geht es darum, hier sehr, sehr klar zu verdeutlichen, welche immensen Folgen dieses unsinnige Gesetz auf die gesamte Bevölkerung in Deutschland haben könnte. Uns geht es darum, hier auch klar zu machen, auf www.google.de/deinnetz hier diese Fakten auch mal darzulegen, und auf vermeintliche Hetze sozusagen gegen auch uns hier ein bisschen Sachlichkeit und ein bisschen Fakten reinzubringen.

    Keese: Herr Oberbeck, wenn ich das noch eben einfügen darf. Es ist ja so, dass Google in dieser Angelegenheit wirklich auch in dem Markt der Aggregatoren vollkommen isoliert ist. Die Kritik, die man an dem Gesetz hört, kommt nur von Google. Die kleinen deutschen Aggregatoren, die es zum Glück gibt und die sehr innovativ sind, befinden sich längst in Gesprächen und Verhandlungen mit Verlagen darüber, wie eine vertragliche Einigung aussehen kann, wenn es Gesetze gibt. Große internationale Aggregatoren haben bereits auch schweigend, ruhig, vernünftig sich auf die Suche nach einer wirtschaftlichen Lösung über ein mögliches Leistungsschutzrecht begeben. Google steht mit seiner Kritik völlig alleine da und es geht nur darum, Monopolgewinne zu verteidigen, die in Deutschland in enormer Weise abgeschöpft werden und in allen anderen europäischen Ländern auch. Hier geht es, das darf man nicht vergessen, um das Abschöpfen von Monopolgewinnen.

    Armbrüster: Herr Keese, Herr Oberbeck, vielen Dank. Wir sind hier an das Ende unseres Gesprächs gekommen. Wir brauchen noch Zeit für ein weiteres Thema. Ich danke Ihnen auf jeden Fall vielmals, dass Sie Zeit hatten, heute Morgen diese Kontroverse hier für uns auszutragen. Das war Kay Oberbeck, Sprecher für Google Deutschland, und Christoph Keese, urheberrechtspolitischer Sprecher beim Bundesverband deutscher Zeitungsverleger. Noch mal vielen Dank an Sie beide.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema:
    Gesetzentwurf des Bundestages zum Leistungsschutzrecht