Juliane Vieregge wünscht sich mehr Kommunikation über Sterben und Tod. Unsterblichkeit wäre für Sie "das Ende des guten Lebens". Volker Demuth plädiert für Bioperfektion und technologische Optimierung des Menschen. Die Deutschlandfunk-Sendung "Streitkultur" konfrontiert beide Positionen.
Eine zugespitzte Frage, zwei Gäste, zwei konträre Positionen – dazu eine Moderatorin oder ein Moderator und ein weites Themenspektrum, jeden Samstag um 17.05 Uhr. Das ist das Konzept der neuen Sendung. Sind wir zu politisch korrekt? Passen Religion und Aufklärung zusammen? BER und Stuttgart 21 – hat Deutschland das Bauen verlernt? Den Streit wert sind Kunst und Musik, Glaube und Wissenschaft, Lebensstil und politische Kultur. Eine gleich bleibende Debattendramaturgie sorgt für klare Standpunkte, dann folgen echter Austausch, Abwägen und gemeinsames Nachdenken. Im besten Fall wird der Titel so eingelöst, dass wir genau das vorführen: Streit-Kultur.
Unsterblichkeit als Menschheitstraum (Lorraine Steriopol auf Unsplash)
Die Journalistin C. Juliane Vieregge argumentiert: "Unsterblichkeit ist der älteste Menschheitstraum. Ihn wahr zu machen, wäre das Ende des guten Lebens. Der Mensch ist ein schöpferisches, vernunft- und phantasiebegabtes Wesen. Ein Leben ohne Sterben wäre das Ende menschlicher Kreativität, da ein Ziel immer der temporären Orientierung bedarf. Erst durch den Tod gewinnt das Leben seinen Sinn. Es ist nicht die Aufgabe unserer Gesellschaft, den Tod technisch zu verdrängen und zu leugnen durch Vorspiegelung eines perfektionierten Lebens, sondern ihn durch eine Kultur des Sterbens und der Trauer sinnvoll in unser Leben zu integrieren. Die Kränkung des Todes anzunehmen gerade als das Unperfekte, ist eine nicht nur subjektive, sondern auch gesellschaftliche Aufgabe."
Der Berliner Philosoph Volker Demuth formuliert Entgegengesetztes: "Als Menschen sind wir Lebewesen, die ihre Optimierung betreiben. Wir möchten uns stets selbst überwinden. Längst geht es heute um biomediale und biomedizinische Verbesserungen unbekannten Ausmaßes. Die Frage unserer Epoche lautet: Zu was kann der Mensch umgeformt werden? Dieses humantechnologische Projekt, bei dem ein nächster Mensch entstehen soll, wird mit viel Nachdruck und Kapitaleinsatz betrieben. Die gesteigerte Bioperfektion soll uns zu mehr Glück, Vitalität, Gesundheit und Lebensdauer verhelfen. Die Überwindung des Todes ist da gewiss die spektakuläre Pointe. Das Optimum ist erreicht, wenn wir über unsere Sterblichkeit hinausgelangen, zum Ende des biologischen Endes."
C. Juliane Vieregge Autorin, Bloggerin und Online-Journalistin aus Nordrhein-Westfalen. Studierte evangelische Theologie, Germanistik und Kunstgeschichte in Münster, Hamburg und Tübingen. Unterrichtet in Tübingen Creative Writing. 2019 erschien im Berliner Ch. Links-Verlag ihr erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden". Literarisches Blog: www.tage-und-begegnungen.julianevieregge.de
Volker Demuth Lebt als Autor und Medienwissenschaftler in Berlin. Produzierte Radio-Features und Hörspiele und wirkte bis 2004 als Professor für Medientheorie. Neben Romanen und kulturtheoretischen Essays beschäftigt er sich in seinen Büchern "Fleisch" (2016) und "Der nächste Mensch" (2018) mit Fragen humantechnologischer Verbesserung und Bioutopie. www.volkerdemuth.de