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Streitpunkt Lech Walesa

Das polnische Institut für Nationales Gedenken, einer Art Gauck-Birthler-Behörde, hat Lech Walesa den Status eines Opfers des Kommunistischen Regimes verweigert. Hintergrund ist nach Ansicht von Martin Sander ein tiefer Riss, der zwischen den national-konservativen Kräften und den liberalen Kräften in Polen besteht. Diese beiden Lager stritten sich um die Sichtweise der polnischen Geschichte im Kommunismus.

Martin Sander im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Erst vor Kurzem gab es in Polen einen Streit um ein Buch, das zum Zeitpunkt des Streits noch nicht einmal erschienen war. "Angst" lautete der Titel und der Politologe Jan Thomas Gross hat darin über antijüdische Gewalt im Nachkriegspolen geschrieben. Es gab Proteste gegen die Veröffentlichung, doch das Buch ist inzwischen trotzdem auf dem Markt.

    Nun haben zwei weitere Publikationen in Polen Debatten unter Intellektuellen und Historikern ausgelöst. Zum einen hat Czeslaw Kiszczak, lange Zeit wichtigster Mann hinter General Jaruzelski, seine Erinnerungen an den August 1988 veröffentlicht. Damals traf er sich mit Lech Walesa, ein Treffen, das zum legendären Runden Tisch führte. Außerdem haben Mitarbeiter des Institutes für nationales Gedenken eine Art Gauck-Birthler-Behörde in Polen, ein Buch rausgebracht, in dem sie Lech Walesa als Stasi-Mitarbeiter bezeichnen. Und nun hat das Institut Walesa gestern auch noch den Status eines Opfers des kommunistischen Regimes verweigert. Frage an meinen Kollegen Martin Sander, Herr Sander, was steckt denn hinter diesen Attacken des Instituts gegen Lech Walesa?

    Martin Sander: Dahinter steckt eigentlich, dass seit geraumer Zeit durch das politische Polen ein tieferer Riss geht zwischen den national-konservativen Kräften und den liberalen Kräften, die beide aus der früheren antikommunistischen Opposition stammen. Die Nationalkonservativen um die Brüder Kaczynski herum und die Liberalen gesammelt um den ersten Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki, um den Herausgeber der "Gazeta Wyborcza" Michnik oder auch um den kürzlich verstorbenen, tödlich verunglückten, ehemaligen Außenminister Geremek.

    Diese beiden Lager streiten sich um die Sichtweise der polnischen Geschichte im Kommunismus. Aber auch vor allem das, was nach der Wende und während der Wende passiert ist, war der Runde Tisch, wie die Nationalkonservativen sagen, eine Art Verrat an der polnischen Nation? Bedarf es einer völlig neuen Aufarbeitung der jüngsten Geschichte Polens oder war das ein notwendiger Kompromiss, der eigentlich den Weg eröffnet hat, in eine liberale, demokratische Gesellschaft wie etwa Michnik, Mazowiecki und viele andere liberale Kräfte der früheren Opposition meinen. Und da steht nun der Lech Walesa als jemand da, der schon ja zu verschiedenen Lagern gezählt wurde. Aber heute ist er der Verbündete der Liberalen, denn er war derjenigen, der vor 20 Jahren angefangen hat, mit Vertretern der damaligen kommunistischen Regierung über einen politischen Ausweg in Polen zu beraten. Und das unter anderem wirft man ihm heute vor. Und in diesem Zusammenhang ist zu sehen, dass man Walesas Vergangenheit im Kommunismus einige unklare Punkte, ob er einmal in den 70er-Jahren mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet hat, von nationalkonservativer Zeit benutzt, um ihn quasi als ein Instrument des kommunistischen Polen darzustellen, einer, der praktisch weiterhin so eine Art Interessensvertretung betreibt für die damalige Nomenklatur.

    Schäfer-Noske: Was kann man denn Walesa überhaupt vorwerfen? In seinen Memoiren hat er ja sogar Treffen mit der Staatssicherheit zugegeben.

    Sander: Ja genau. Vor zwei Monaten ist noch mal ein Buch von Mitarbeitern des Instituts für Nationales Gedenken, der polnischen Gauck-Birthler-Behörde erschienen, wo man versucht, anhand von Akten, deren Wahrheitsgehalt aber auch umstritten ist, und die auch nicht ganz vollzählig sind, zu sagen, er war die ganze Zeit ein Agent der kommunistischen Geheimdienste, und er hat sich auch noch nach der Wende erpressen lassen. Das ganz kurz zusammengefasst ist die Botschaft dieses Buches. Und das ist das eine und das andere eben, dass nun gestern herauskam, dass diese IPN, das übrigens besetzt ist politisch vor allen Dingen von den Nationalkonservativen, gesagt hat, der Lech Walesa, den können wir auch nicht mehr als einen Verfolgten des kommunistischen Regimes betrachten.

    Schäfer-Noske: Wie hat den Walesa darauf reagiert?

    Sander: Höhnisch, ironisch. Er hat einfach gesagt, offensichtlich hat es nie einen Kommunismus gegeben, offensichtlich war ich nie Chef der Solidarnosc und offensichtlich habe ich nie im Gefängnis gesessen. Das alles hat er ja getan.

    Schäfer-Noske: Nun hat der frühere Innenminister und Chef des Sicherheitsdienstes Czeslaw Kiszczak seine Erinnerungen zum August 1988 veröffentlicht, ich habe es schon gesagt. Welcher Tenor bestimmt denn dieses Buch?

    Sander: Natürlich, wie bei vielen dieser kommunistischen Altkader, auch die Rechtfertigung und positive Beleuchtung der eigenen Person. Aber es ist schon ein interessantes Dokument, denn er führt ja noch mal an, dass er derjenige gewesen ist vonseiten der Jaruzelski-Regierung, der damals den Kontakt zu Walesa gesucht hat, dieser erste öffentliche Versuch eines Gesprächs. Datiert war übrigens genau vor 20 Jahren, am 26. August 1988. Und dann hat sich das nach und nach mit vielen Rückschlägen zu diesem Runden Tisch erweitert. Und aus diesen Dokumenten von Kiszczak kann man noch mal, doch auch wenn man sich kritisch betrachtet, deutlich ersehen, was für ein ungeheuer risikoreiches Unternehmen das natürlich damals gewesen ist. Auch von den Seiten der Opposition, aber auch von der Regierung, aufeinander zuzugehen und überhaupt etwas völlig Neues in Polen zu planen. Vor dem Hintergrund dieser Kiszczak -Dokumente erscheint eigentlich das, was das IPN, das Institut für nationales Gedenken, heute erklärt, fast unhistorisch, nicht richtig. Die historische Lage, die ja auch außerordentlich angespannte historische Lage zu Ende des Kommunismus Ende der 80er-Jahre einschätzend. Das scheint mir dabei sehr wichtig zu sein.

    Schäfer-Noske: Martin Sander war das über Debatten in Polen zur Demokratiebewegung vor 20 Jahren.