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Streitthema
Haltung im Journalismus

Wie viel Haltung brauchen Journalistinnen und Journalisten? Über diese Frage wird in der Branche seit Jahren diskutiert. Kritiker sagen: Ein Journalist mit Haltung berichte nicht mehr objektiv. Andere finden: Journalismus ohne Haltung werde seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht.

Von Stefan Fries | 25.04.2019
Ein junges Mädchen surft auf einem Schulbuch.
Für die einen ist sie unerlässlich, für andere ein brenzliger Balanceakt: Haltung im Journalismus (imago stock&people)
Es sind Veränderungen in der politischen Kultur, die am Anfang der Debatte stehen. Seit menschenfeindliche Meinungen wieder verstärkt in der Öffentlichkeit auftauchen und diskutiert werden, seit Hass und Hetze vor allem im Netz als Problem erkannt sind und seit Journalisten wegen ihrer Berichterstattung besonders in der Kritik stehen, wird auch innerhalb der Branche diskutiert: Brauchen Journalisten eine Haltung - oder am besten keine?
Dabei ist in der Diskussion meistens unklar, was man überhaupt unter Haltung versteht. Viele setzen sie mit Meinung gleich. Mariam Lau, Redakteurin im Hauptstadtbüro der Wochenzeitung "Die Zeit", definiert die Begriffe so:
"Haltung im Journalismus heißt für mich erst mal: Ich hab ne bestimmte Distanz zu den Phänomenen, denen ich mich nähere, und die muss ich dem Leser auch klar machen. Und der Leser kann von mir erwarten, dass ich einfach meine Argumente oder die Argumente der Beteiligten vor ihm ausbreite. Und Meinung ist dann einfach, wie ich das alles selber bewerte."
Im vorigen Jahr ist Lau mit einer Meinung angeeckt, als sie in der "Zeit" konstatierte, dass private Seenotretter das politische Problem mit Flüchtlingen eher vergrößerten als lösten. Eine Meinung, an der sie auch beim Frankfurter Tag des Online-Journalismus festhielt, wenngleich sie die vielzitierte Überschrift "Oder soll man es lassen?" im Nachhinein unglücklich findet. Auch deswegen ist Lau wichtig, dass ihre Meinung nicht mit ihrer Haltung verwechselt wird.
"Haltung heißt für mich ja auch zum Beispiel der Zugriff auf das Material, mit dem ich zu tun habe. Also Haltung heißt: Ich hör nicht nur eine Seite, ich hör auch die andere Seite, ich bin neugierig, ich bin streitlustig oder so weiter."
Unterschied zwischen Handwerk und Haltung
Was Lau unter Haltung versteht, würden andere als Handwerk beschreiben. Denn dass Journalisten zum Beispiel alle Seiten anhören müssen, gehört zu den Grundlagen ihrer Ausbildung – und ist in bestimmten Fällen sogar rechtlich vorgeschrieben. Auch Stefan Niggemeier vom Portal Übermedien versteht seine Arbeit eher so.
"Haltung ist so aufgeladen mit Bedeutung, und zwar von beiden Seiten: ‚Das ist das, was wir Journalisten beweisen müssen.‘ Oder: ‚Das ist das, womit Ihr uns indoktrinieren wollt.‘ Ich fürchte, das hilft nicht. Es hilft, sich darauf zu besinnen, was sind ganz normale journalistische Grundregeln? Korrekt zu berichten, transparent zu berichten, zu entscheiden, was sind relevante Themen, die Framings von verschiedensten Seiten sich nicht zu eigen machen, das sind alles Fragen eigentlich des Handwerks."
Aber auch Stefan Niggemeier fühlt sich in seiner Arbeit Werten verpflichtet, etwa der Toleranz. Was diese im Alltag bedeute, dazu könne man verschiedene Meinungen haben.
Sollten Werte im Journalismus eine Rolle spielen?
"Werte sind Grundwerte, die jeder persönlich für sich definieren muss."
Findet Mirko Drotschmann. Der Journalist bereitet unter seinem Youtube-Namen "Mr. Wissen2Go" für das junge Angebot "Funk" Themen auf.
"Jeder persönlich hat Werte, die einen geprägt haben, schon das Leben lang. Und diese Werte sollte man schon immer mitschwingen lassen, bei mir sind das Werte wie Toleranz zum Beispiel; wenn man einen christlichen Wert nehmen wollte, wäre das bei mir auch Nächstenliebe."
Grenze zum Aktivismus
Mitschwingen lassen heiße aber eben nicht, diese Werte ständig aktiv vermitteln zu wollen. Zeit-Redakteurin Mariam Lau sah etwa die Grenze zum Aktivismus überschritten, als WDR-Redakteur und Monitor-Moderator Georg Restle im Oktober in Berlin bei einer Demonstration gegen die Spaltung der Gesellschaft als Redner auftrat.
So etwas geht auch Franziska Schreiber zu weit. Schreiber war unter anderem Pressesprecherin der AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative". 2017 trat sie aus der Partei aus, im vorigen Jahr berichtete sie in einem Buch über ihre Zeit in der AfD. Sie findet zwar, dass Journalisten durchaus Werte haben sollten, sie müssten sich aber hüten, sie offensiv vermitteln zu wollen. Das sei ein zu hoher moralischer Anspruch. Schreiber findet: Die allermeisten Menschen im Land teilen diese Werte nicht und würden sie auch nicht verlieren, wenn sie zwei, drei Sätze von der AfD hören.
"Und der Rest, der wird die Werte, die man ihm irgendwie versucht zu vermitteln, die wird er eh nicht annehmen. Im Zweifel wird da die Ablehnung vor den Medienschaffenden eher noch größer, und man bietet Angriffsfläche und bietet wieder die Gelegenheit für eine Opferrolle."
Auch deswegen plädiert Medienkritiker Stefan Niggemeier dafür, sich wieder aufs Handwerk zu besinnen. Das könne schon ausreichen. Er verweist auf das ZDF-Sommerinterview mit AfD-Chef Alexander Gauland, in dem Moderator Thomas Walde durch einfache Fragen offenlegen konnte, dass die AfD außer zum Thema Migration keine politischen Konzepte hat.
"Also wenn da zum Beispiel Fernsehjournalisten eine plötzliche Lust entdecken, sich nicht einfach irgendwie vertrösten zu lassen oder sich auf irgendwelche Geschichten von der Partei einzulassen, das wär ganz schön."