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Streng geheim

Ist die Sicherheit von Atomkraftwerken Geheimsache? Eine Studie der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, die das Bundesumweltministerium in Auftrag gegeben hatte, wird unter Verschluss gehalten. Man muss die Gefahren beseitigen, nicht geheimhalten, sagen dagegen Vertreter von Greenpeace, nachdem jetzt Teile der Studie in Österreich veröffentlicht wurden.

Klaus Wittmann | 17.12.2003
    Es ist ein brisantes Papier, das der deutschen Öffentlichkeit vorenthalten wird. Die "Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit" (kurz GRS) hat es vorgelegt. Jetzt wurde es österreichischen Medien zugespielt. Ganz offensichtlich deshalb, weil eine Weitergabe in Deutschland als Geheimnisverrat gewertet würde. Der Chef der GRS, Lothar Hahn, wollte auf Anfrage kein Wort zu dem brisanten Papier sagen. Er würde sich wegen Geheimnisverrats verantworten müssen, sagte er. Im September 2001, zwei Tage nach den Anschlägen von New York, war Lothar Hahn weitaus auskunftsfreudiger. Damals war er noch Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission und brachte das nach wie vor brandaktuelle Problem auf den Punkt:
    Kernkraftwerke und auch die neuen Zwischenlager sollen so ausgelegt sein, dass sie einen Absturz einer schnell fliegenden Militärmaschine überstehen. Und über den gezielten Absturz auf eine kerntechnische Anlage hat bisher keiner geredet. Gegen kriegerische Einwirkungen sind Kernkraftwerke nicht geschützt und gegen Terroranschläge auch nicht systhematisch. Da gibt es nur einen gewissen Grundschutz. Wir haben es ja gesehen, vor zwei Tagen in New York, wie machtlos man ist.
    Geändert hat sich daran bis heute nichts, wie die Untersuchung der GRS auf erschreckende Weise deutlich macht. Sollte es zum Absturz eines Flugzeuges und zum Aufprall von Flugzeugteilen auf ein Atomkraftwerk kommen, so hätte dies laut der Geheimstudie verheerende Folgen, zum Beispiel beim 26 Jahre alten Siedewasserreaktor Isar 1 in Ohu.

    Wenn auch nur Teile, wie beispielsweise ein Triebwerk eine Reaktorwand durchdringe und einen Brand auslöse, dann sei die Beherrschung des atomaren Ernstfalles fraglich, heißt es.
    Die Gefahr für die Reaktoren wird allerdings unterschiedlich hoch eingestuft.

    Die Greenpeace-Expertin Susanne Ochse erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass ihre Organisation im September diesen Jahres bereits Untätigkeitsklage erhoben habe, weil die Bundesregierung und auch die Länderregierungen nichts unternommen hätten, um auf mögliche Anschläge zu reagieren. Bei einigen Alt-Reaktoren seien die Bedenken besonders groß.
    Wenn man sich anguckt, wie die Reaktoren in Deutschland gebaut sind, gibt es fünf Reaktoren, die nur gegen den Absturz einer langsam fliegenden Sportmaschine geschützt sind: Biblis A, Brunsbüttel, Stade, Obrigheim und Philippsburg 1. Wenn ich jetzt das, was aus dem GRS-Gutachten an die Presse gelangt ist, richtig interpretiere, dann sind aber eigentlich alle älteren Siedewasserreaktoren also inklusive Isar 1 sehr stark gefährdet.
    Der Sprecher des Bundesumweltministeriums, Michael Schroeren, bestätigt die Existenz der Studie und erklärt die Geheimhaltung damit, dass man Terroristen keine Hinweise auf Schwachstellen geben möchte. Für die Greenpeace-Expertin ein unhaltbares Argument:
    Ich denke, wir leben in einer offenen Gesellschaft. So etwas lässt sich letztendlich nicht geheim halten. Das sieht man ja auch jetzt. Irgendwie ist es ja doch an die Presse gelangt. Das kann auch nicht Sinn und Zweck in einer Demokratie sein, alles geheim zu halten. Man muss die Gefahren beseitigen und nicht die Gefahren geheim halten!
    Ministeriumssprecher Schroeren bleibt dabei: Interviews zur Studie gibt es nicht, nähere Informationen auch nicht. Man habe die Studie den Länderaufsichtsbehörden zugestellt, und zwar "mit der Maßgabe, diese mit den Betreibern zu erörtern". Der Chef einer dieser Länderaufsichtsbehörden, der bayerische Umweltminister Schnappauf, verweist wiederum ans Bundesumweltministerium. Das müsse zum Schutz vor terroristischen Flugzeugangriffen ein übergreifendes Gesamtkonzept vorlegen. Und so bleibt in einer elementaren Sicherheitsfrage nur eines: ein fortwährendes Hin- und Herschieben des Schwarzen Peters.