Es hätte auf dem letzten Gipfel der finnischen Ratspräsidentschaft auch alles ganz anders kommen können, denn noch vor wenigen Tagen war unklar, ob sich die 25 EU-Staaten über eine gemeinsame Linie über den Fortgang der Beitrittverhandlungen mit der Türkei einigen würden. Doch letztlich hatten sich die Außenminister der Union bereits auf einen Kompromiss verständigt, der auch von den Staats- und Regierungschefs gutgeheißen wurde.
"Wir waren uns vorher nicht ganz sicher, ob das Thema auf dem Rat nicht doch noch mal eine Rolle spielt. Außer begrüßenden und dankbaren Worten für den Außenministerrat hat es nicht die geringste Diskussion gegeben. Es ist also ein wirklich tragfähiger und von allen Seiten akzeptierter Kompromiss","
sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Treffen in Brüssel. Während die Türkeifrage also vorerst gelöst zu sein scheint, blieb den Staats- und Regierungschefs die weitergehende Frage, ob und wie eine Gemeinschaft eine Grenze bei der Aufnahmefähigkeit ziehen soll. EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso hatte noch einen Tag vor dem Gipfel in Berlin ein klares Votum dafür abgegeben, dass die EU nach dem zum 1. Januar bevorstehenden Beitritt Bulgariens und Rumäniens ihr Erweiterungstempo drosseln, den Prozess selbst aber nicht aufgeben sollte. Neben der Türkei sind bereits Kroatien und Mazedonien als Beitrittskandidaten anerkannt, daneben hat die EU auch Bosnien-Herzegowina, Serbien-Montenegro und Albanien langfristig eine Beitrittsperspektive zugesichert, an der auch im Prinzip festgehalten werden soll.
""Wir haben gesagt, dass diese Perspektive natürlich kein Garantieschein für eine Mitgliedschaft ist, sondern dass die Werte, die Prinzipien der Europäischen Union eingehalten werden müssen."
Das gelte erst recht bei der Frage, ob irgendwann auch Staaten wie die Ukraine oder Moldawien der EU beitreten könnten. In jedem Fall aber müsse man darauf achten, dass die Gemeinschaft auch handlungsfähig bleibe. In diesem Tenor ist auch die Abschlussresolution des Gipfeltreffens gehalten. Wörtlich heißt es darin, das Tempo der Erweiterung muss der Fähigkeit der Union zur Aufnahme neuer Mitglieder Rechnung tragen. Und die Diskussion hat in den Augen der deutschen Kanzlerin gezeigt,
"dass die heutigen institutionellen Voraussetzungen nicht ausreichen, die Europäische Union zu erweitern. Und das ist dann eigentlich auch eine sehr interessante Brücke wiederum zum Verfassungsvertrag. Diejenigen, die die Integration vielleicht etwas mehr akzentuieren, die Vertiefung der Integration, oder diejenigen, die einen größeren Schwerpunkt auf die Erweiterung legen, beide Vertreter wissen, zuerst muss mal eine funktionsfähige Europäische Union da sein, die ihre heutigen Aufgaben auch wirklich gut wahrnehmen kann. Da spielt der Verfassungsvertrag für mich schon eine Schlüsselrolle."
Auch Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker mahnte, ohne eine Reform der internen Entscheidungsstrukturen in der EU sei nach dem ab 2009 erwarteten Beitritt Kroatiens keine neue Erweiterung möglich. Und im Blick auf die EU-Strukturen ergänzte der französische Staatspräsident Jacques Chirac, man sei da nicht in einer idealen Situation. Dagegen haben die Außenminister nach der anhaltenden Weigerung der Türkei, ihre Häfen für Schiffe aus dem EU-Mitgliedsland Zypern zu öffnen, eine klare Entscheidung getroffen, wonach 8 der 35 Verhandlungskapitel, die allesamt die Zollunion mit Zypern betreffen, vorerst ausgesetzt werden. Zudem wurde ein Überprüfungsmechanismus vereinbart, der vorsieht, dass der Europäische Rat ab 2007 sich jährlich auf der Grundlage der Fortschrittsberichte der Kommission vergewissern soll, welche Entwicklung der Prozess genommen hat, um über die Öffnung neuer Verhandlungskapitel beraten und beschließen zu können. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach heute von einer wichtigen Woche für Europa.
"Wir haben es bei diesem Überprüfungsmechanismus mit einem offenen und flexiblen Prozess zu tun, der es uns jedenfalls ermöglicht, schnell und sachgerecht auf mögliche Fortschritte bei der Umsetzung und bei der Ratifizierung des Ankara-Protokolls zu reagieren."
Die deutsche Ratspräsidentschaft steht jetzt jedoch vor der Aufgabe, die Isolierung des türkisch besetzten Nordteils Zyperns überwinden zu helfen.
"Den Völkern Europas, die der EU heute beitreten, strecke ich die Hand in Freundschaft entgegen. Die EU der 25 wird sich nun unabweisbar ändern, aber es wird eine Veränderung zum Besseren."
Bertie Ahern, der irische Regierungschef. Geändert hat sich in der Tat einiges seit dem 1. Mai 2004. Damals traten zehn Staaten der EU bei, darunter auch die Republik Zypern. Deren Regierung ist in jenen Tagen nicht gerade beliebt gewesen im Kreis der EU-Länder, denn sie hatte quasi als Mitgift den Partnern ein großes Problem beschert: die anhaltende Teilung Zyperns. Der grüne Europaabgeordnete Cem Özdemir:
"Das ist im Grunde auch ein Sündenfall der Europäischen Union, weil die bisherige Politik Europas war immer darauf ausgerichtet, dass wir Länder aufnehmen, die keine Grenzkonflikte haben. Wir sind nicht mehr neutral, durch die Mitgliedschaft Südzyperns sind wir quasi Partei."
Rückblick: Unter Hochdruck hatte der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan Verhandlungen mit den Konfliktparteien geführt. Das Ziel war die Wiedervereinigung der Insel vor dem EU-Beitritt, die Voraussetzungen dafür waren gut. Im türkisch besetzten Nordteil der Insel hatten die Nationalisten an Macht verloren, die türkische Regierung unterstützte den Annan-Plan. Der griechische Südteil Zyperns, die Republik, hatte ohnehin immer seit dem Einmarsch der türkischen Truppen 1974 die Wiedervereinigung verlangt. Dann aber wurde die EU von der Regierung Südzyperns und ihrem Präsidenten Papadopoulos kalt erwischt. Sie machte vor dem Referendum massiv Stimmung gegen den Annan-Plan, und als dem damaligen Erweiterungskommissar Günter Verheugen sogar Fernsehauftritte im Süden Zyperns verwehrt wurden, platzte ihm der Kragen.
"Ich persönlich fühle mich durch die Regierung der Republik Zypern getäuscht. Wir hatten eine klare Absprache: Wir organisieren den Beitritt Zyperns, und ihr werdet dafür sorgen, dass eine Regelung nicht an den griechischen Zyprioten scheitert. Ich fordere Herrn Papadopoulos auf, seinen Teil jetzt einzulösen."
Das tat Herr Papadopoulos aber nicht. Das Ergebnis: Eine Mehrheit im Süden stimmte gegen die Vereinigung der beiden Teile Zyperns. Umgehend versuchte sich die EU in Schadensbegrenzung. Die Menschen im Norden Zyperns sollten nicht unter dem Nein der griechisch-stämmigen Landsleute leiden. 250 Millionen Euro an Entwicklungshilfe, so der Beschluss der EU-Außenminister, sollten in den Nordteil der Insel fließen. Wichtiger noch: Das Handelsembargo der EU sollte aufgehoben werden. Mittlerweile, zweieinhalb Jahre später, fließen immerhin die Hilfsgelder, von einem Embargo-Ende kann aber immer noch keine Rede sein. Nikosia blockiert den notwendigen Beschluss mit einem Veto. Die Politik der griechischen Zyprer wurde kurz darauf von Ankara beantwortet. Die Türkei weigerte sich, das so genannte Ankara-Protokoll, dass sie selbst unterzeichnet hatte, umzusetzen. In diesem Protokoll ist festgelegt, dass die seit langem zwischen der EU und der Türkei existierende Zollunion auch auf jene Staaten ausgeweitet werden soll, die 2004 der EU beigetreten sind. Doch davon will Ankara nichts wissen. Die türkischen Häfen bleiben für Schiffe aus der Republik Zypern geschlossen. Der türkische Premier Erdogan verweist darauf, dass die EU ihre Versprechen gegenüber dem Norden Zyperns noch nicht eingelöst hat. Für Elmar Brok, den CDU-Europaabgeordneten, sind dies allerdings keine hinreichenden Gründe, die Umsetzung des Ankara-Protokolls zu verweigern.
"Die Frage Ankara-Protokoll, das heißt die Anwendung der Zollunion auf alle heutigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. war eine Vorbedingung für den Beginn von Beitrittsverhandlungen, ist eine rechtliche Verpflichtung."
Brok ist deshalb unzufrieden mit dem Beschluss der EU-Regierungen, nur 8 der 35 Verhandlungskapitel mit der Türkei auszusetzen. Cem Özdemir hingegen verlangt, dass beim Urteil über die Türkei immer auch die Lage der türkischen Zyprer beachtet wird.
"Das ist eine moralische Verpflichtung, sonst fragt man sich ja, was ist das Versprechen von Europäern wert?"
Dieser EU-Gipfel ist nun doch kein Türkei-Gipfel geworden, aber dafür stand das größere Thema, die Erweiterung der Union, insgesamt im Mittelpunkt der Gespräche beim Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Gregor Peter Schmitz ist für die Bertelsmann-Stiftung in Brüssel. Herr Schmitz, EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn, behauptet, die Erweiterung der EU und die Vertiefung seien keine Gegensätze. Muss sich die Union also gar nicht entscheiden für das eine oder das andere?
"Es kommt eigentlich immer auf den Zeitpunkt an. Ich glaube nicht, dass irgendjemand die Tür dauerhaft verschließen will. Auch Erweiterungskommissar Olli Rehn hat ja gesagt, dass es wieder auf jede neue Generation ankommen wird, wie sie den Begriff 'europäisch' eigentlich definiert. Man hat gesagt, durch die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei ist die EU eigentlich entgrenzt worden. Es kann nicht mehr als Argument hervorgebracht werden, dass beispielsweise die Ukraine oder andere Staaten in dieser Region nicht aufnehmen will mit dem Argument, dass es nicht europäisch sei. Was im Moment geschehen muss, ist - um es mal in ein Bild zu fassen - dass die EU ihr Haus aufräumt, bevor sie weitere Mitglieder einlädt. Das ist eigentlich ein ganz schönes Bild, dass man dafür verwenden kann. Und gleichzeitig darf es natürlich nicht sagen, wir möchten gar nichts mehr mit den anderen Staaten zu tun haben, gerade mit den Anrainerstaaten, die angesprochen worden sind wie Ukraine, die Staaten Zentralasiens, Belarus, alles potentielle Krisenherde, denen man dann vielleicht etwas anbieten muss in der nahen Zukunft, das nicht so weit reicht wie eine Mitgliedschaft, aber man muss diese Form der Nachbarschaftspolitik wieder ernstnehmen."
Eine ganz aktuelle Umfrage belegt wieder einmal, dass vor allem die deutsche Wirtschaft sehr profitiert von der Osterweiterung, aber auch Löhne und Gehälter in Deutschland steigen, das heißt, die Arbeitnehmer profitieren auch. Wie geht das zusammen, die Skepsis auf der einen Seite, der Gewinn auf der anderen?
"Die Europäische Union hat generell ein Kommunikationsproblem. Aber bei der Erweiterungsfrage ist das Kommunikationsdefizit vielleicht am deutlichsten. Es handelt sich um eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Ich glaube, es würde niemand bestreiten wollen, dass beispielsweise die Aufnahme der osteuropäischen Staaten in der letzten großen Erweitungsrunde eine regelrecht historische Dimension hat. Da kommt es jetzt vor allem darauf an, dass man das der Bevölkerung besser kommuniziert. Es muss klarer werden, dass die Menschen mitgenommen werden bei diesem Erweiterungsprozess. Ich sehe aber keine dauerhafte Abwendung von diesem Prozess, ich sehe immer eher ein aktuelles Unwohlsein damit, was auch damit zusammenhängt, dass manche Zusammenhänge nicht verstanden werden."
Weit weniger kontrovers als die Debatte über den Erweiterungsprozess verlief auf diesem Brüsseler Gipfel die Diskussion über eine gemeinsame Migrationspolitik. Dabei ist es eine Premiere für die Gemeinschaft. Zum ersten Mal machen die Mitgliedsländer gemeinsame Schritte hin zu einer europäischen Einwanderungspolitik. Diese gemeinsame Politik hat zwei Ausrichtungen. Einerseits will die EU illegale Einwanderung schärfer bekämpfen, zugleich aber soll die legale Migration in die bald 27 EU-Mitgliedsländer besser koordiniert werden. Die Europäische Union strebt dabei eine Partnerschaft mit denjenigen Ländern an, aus denen oder über die Flüchtlinge illegal nach Europa einreisen. Außerdem sollen die politischen und finanziellen Mittel der EU gezielter eingesetzt werden als bisher. Frankreichs Präsident Jacques Chirac hätte sich allerdings durchaus mehr Engagement gewünscht.
"Der Kampf gegen die illegale Einwanderung ist sicher nötig. Aber in erster Linie ist das doch ein Kampf gegen die Armut. Niemand soll glauben, dass die jetzt beschlossenen Hilfen aus den Etats der Mitgliedsländer ausreichten. Das ist wirklich illusorisch."
Die Staats- und Regierungschefs unterstützen auch den Plan der EU-Kommission, qualifizierte Arbeitskräfte aus Afrika, aber auch aus Ost- und Südosteuropa auf Zeit nach Europa zu holen. Die EU-Kommission kann den Bedarf, den jedes Mitgliedsland nach Brüssel meldet, koordiniert dann an die Partnerländer weitergeben, ein Vorschlag, den ähnlich auch schon Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und der französische Innenminister Nicolas Sarkozy gemacht hatten. Für die Europäische Kommission ist dieser Beschluss der Staats- und Regierungschefs besonders interessant, weil die Einwanderungs- und Asylpolitik eigentlich Sache der Nationalstaaten ist. Entsprechend breit lächelte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, als er das Einlenken der Mitgliedsländer so erklärte:
"Die Wirklichkeit hat die Mitgliedsländer überzeugt, dass es keinen Sinn ergibt, in einem offen zugänglichen Europa 25 unterschiedliche Einwanderungspolitiken zu betreiben. Wir, die Kommission, sind glücklich darüber, dass die Mitgliedsländer unseren globalen Einwanderungsplan unterstützen."
Zweiter Teil des Migrationskonzeptes ist der Gipfelbeschluss über den Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Frontex soll mehr Geld und mehr Personal bekommen, um effektiver als bisher die illegale Einwanderung nach Europa zu bekämpfen. Bewegung war auf diesem ansonsten eher ruhigen Gipfel auch beim Thema Reform der Institutionen zu spüren. Der amtierende EU-Ratspräsident Matti Vanhanen war zuversichtlich, aber auch sehr wortkarg. Alles Besprochene sei strikt vertraulich.
Er sei optimistisch, sagte Vanhanen, dass der politische Wille jetzt da sei, um den Reformprozess fortzusetzen. Klar ist, dass eineinhalb Jahre, nachdem die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden die europäische Verfassung auf Eis gelegt haben, immer mehr EU-Mitglieder einen neuen Versuch unternehmen wollen, die Institutionen der EU zu reformieren. Zu groß ist die Angst, dass ohne eine Reform die Europäische Union und ihre Organe funktionsunfähig werden. Dabei wollen die 18 Länder, die bereits die Verfassung ratifiziert haben, möglichst viel aus dem alten Verfassungsvertrag retten und sich dafür schon im Januar zu Gesprächen in Madrid treffen. Das wird ausdrücklich von der Bundesregierung unterstützt, die in ihrer Präsidentschaft in den kommenden sechs Monaten die Suche nach einem Kompromiss über die europäische Verfassung energisch vorantreiben will. Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet schwierige Verhandlungen, und sie warnte in Brüssel vor allzu große Erwartungen an die Deutschen.
"Wir haben gesagt, was wir schaffen wollen, auch schaffen müssen, das ist ein solcher Fahrplan, und darauf aufbauend werden wir unseren Weg gehen und natürlich versuchen, so viel wie möglich zu erreichen, aber nicht auch gleich wieder Enttäuschungen zu produzieren."
Der Dezember-Gipfel von Brüssel war der letzte Höhepunkt der finnischen Ratspräsidentschaft. Wie es auf dem diplomatischen Parkett üblich ist, bedankten sich die Regierungen der übrigen Mitgliedsstaaten in den letzen Präsidentschaftstagen bei den finnischen Kollegen für die geleistete Arbeit. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der an die wohl größte Bewährungsprobe für die finnische Regierung erinnerte.
"Lassen Sie mich sagen, dass wir der finnischen Ratspräsidentschaft ausgesprochen dankbar sind für eine Arbeit, die ja auch schwierig begann. Wir wissen, dass wenige Tage nach Übernahme der Ratspräsidentschaft die Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah begann, und dass wir unter und mit der finnischen Ratspräsidentschaft europäische Verständigungen zusammenbekommen haben, die am Ende auch hilfreich waren, das Blutvergießen zu beenden."
Was sonst kann Finnland nach sechs Monaten auf der Habenseite verbuchen? Dass der Streit um die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht eskaliert ist. Und sonst? Hört man sich im Europaparlament um, dann überwiegen die kritischen Stimmen. Die Alltagsgeschäfte der EU seien von den Finnen nicht vorangetrieben, sondern eher behindert worden, so die fast einhellige Meinung unter den Abgeordneten. Dagmar Roth-Behrendt, SPD-Abgeordnete im Straßburger Parlament, wirft der finnischen Regierung vor, den größtmöglichen Fehler einer Präsidentschaft begangen zu haben.
"Häufig hat sie parteiisch gearbeitet, sie hat nicht immer das gemacht, was sie muss, nämlich neutral, Walter sozusagen aller Interessen sein, sie hat ihre eigenen Interessenforderungen gestellt, war in manchen der Bereiche, in denen ich arbeite, null vorbereitet."
In den vergangenen sechs Monaten sind eine Reihe wichtiger Gesetzesvorhaben abgeschlossen worden. Die Dienstleistungsrichtlinien zum Beispiel, um die jahrelang erbittert gestritten worden war, und die wesentlich zum Scheitern der Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden beigetragen hatte. Genauso umfangreich und umstritten war die Chemikalienrichtlinie, auch sie ist mittlerweile unter Dach und Fach, aber nicht wegen, sondern trotz der finnischen Vermittlungsbemühungen.
"Wir haben REACH, die neue Chemikaliengesetzgebung beschlossen, aber das ist sicher nicht ihr Verdienst gewesen, nicht das finnische Verdienst, sondern das Verdienst des Berichterstatters und des Parlamentes. Die Vertreter der Finnen waren auch ständig beleidigt und haben sich immer, wenn man mit ihnen argumentiert hat, persönlich angegriffen gefühlt. Gleichzeitig haben sie offensichtlich auch im Rat nicht immer alle Unterlagen und Informationen vom Parlament weitergeleitet. Sie haben anscheinend gespielt, sie haben nicht anständig hin und her transportiert als Sachwalter der jeweiligen Argumente. Das ist alles ganz, ganz mau."
Ähnlich mau die Bilanz bei dem Thema, das der finnische Ministerpräsident Matti Vanhanen ganz oben auf der Agenda seiner Präsidentschaft platziert hatte: Er wollte den Startschuss geben für die Verhandlungen mit Russland, die die Beziehungen der EU zu Moskau auf eine völlig neue Grundlage stellen sollen. Doch Fehlanzeige. Die finnische Regierung schaffte es nicht, Warschau von seiner Blockade dieser Verhandlungen abzubringen. Elmar Brok, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des Europaparlaments:
"Das ist besonders überraschend, weil wir da große Hoffnungen auf die Finnen gesetzt haben, weil sie eine besondere Kenntnis von Russland haben, weil sie Mittler zwischen Russland und den baltischen Staaten, den neuen Staaten insgesamt sein könnten. Und deswegen ist es so bedauerlich, dass in ihrer Zeit nicht das Veto Polens überwunden werden konnte, um die Verhandlungen über ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland zu beginnen."
Nicht nur bedauerlich, sondern unverständlich findet Dagmar Roth-Behrendt die Abwesenheit der finnischen Regierung in der Verfassungsdebatte. Zwar sei von vornherein klar gewesen, dass in dieser Frage frühestens unter der deutschen Präsidentschaft substanzielle Fortschritte erzielt werden können, aber
"wäre ich Ratspräsidentschaft, und ich habe Dinge auf Eis liegen, dann ist es doch mein Ehrgeiz, da ein bisschen was zu bewegen, und ein bisschen Wind reinzubringen. Die Finnen haben dazu gar nichts gemacht, die haben sich zurückgelehnt und haben gedacht: Daran sollen sich doch die Deutschen die Finger verbrennen."
"Wir waren uns vorher nicht ganz sicher, ob das Thema auf dem Rat nicht doch noch mal eine Rolle spielt. Außer begrüßenden und dankbaren Worten für den Außenministerrat hat es nicht die geringste Diskussion gegeben. Es ist also ein wirklich tragfähiger und von allen Seiten akzeptierter Kompromiss","
sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Treffen in Brüssel. Während die Türkeifrage also vorerst gelöst zu sein scheint, blieb den Staats- und Regierungschefs die weitergehende Frage, ob und wie eine Gemeinschaft eine Grenze bei der Aufnahmefähigkeit ziehen soll. EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso hatte noch einen Tag vor dem Gipfel in Berlin ein klares Votum dafür abgegeben, dass die EU nach dem zum 1. Januar bevorstehenden Beitritt Bulgariens und Rumäniens ihr Erweiterungstempo drosseln, den Prozess selbst aber nicht aufgeben sollte. Neben der Türkei sind bereits Kroatien und Mazedonien als Beitrittskandidaten anerkannt, daneben hat die EU auch Bosnien-Herzegowina, Serbien-Montenegro und Albanien langfristig eine Beitrittsperspektive zugesichert, an der auch im Prinzip festgehalten werden soll.
""Wir haben gesagt, dass diese Perspektive natürlich kein Garantieschein für eine Mitgliedschaft ist, sondern dass die Werte, die Prinzipien der Europäischen Union eingehalten werden müssen."
Das gelte erst recht bei der Frage, ob irgendwann auch Staaten wie die Ukraine oder Moldawien der EU beitreten könnten. In jedem Fall aber müsse man darauf achten, dass die Gemeinschaft auch handlungsfähig bleibe. In diesem Tenor ist auch die Abschlussresolution des Gipfeltreffens gehalten. Wörtlich heißt es darin, das Tempo der Erweiterung muss der Fähigkeit der Union zur Aufnahme neuer Mitglieder Rechnung tragen. Und die Diskussion hat in den Augen der deutschen Kanzlerin gezeigt,
"dass die heutigen institutionellen Voraussetzungen nicht ausreichen, die Europäische Union zu erweitern. Und das ist dann eigentlich auch eine sehr interessante Brücke wiederum zum Verfassungsvertrag. Diejenigen, die die Integration vielleicht etwas mehr akzentuieren, die Vertiefung der Integration, oder diejenigen, die einen größeren Schwerpunkt auf die Erweiterung legen, beide Vertreter wissen, zuerst muss mal eine funktionsfähige Europäische Union da sein, die ihre heutigen Aufgaben auch wirklich gut wahrnehmen kann. Da spielt der Verfassungsvertrag für mich schon eine Schlüsselrolle."
Auch Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker mahnte, ohne eine Reform der internen Entscheidungsstrukturen in der EU sei nach dem ab 2009 erwarteten Beitritt Kroatiens keine neue Erweiterung möglich. Und im Blick auf die EU-Strukturen ergänzte der französische Staatspräsident Jacques Chirac, man sei da nicht in einer idealen Situation. Dagegen haben die Außenminister nach der anhaltenden Weigerung der Türkei, ihre Häfen für Schiffe aus dem EU-Mitgliedsland Zypern zu öffnen, eine klare Entscheidung getroffen, wonach 8 der 35 Verhandlungskapitel, die allesamt die Zollunion mit Zypern betreffen, vorerst ausgesetzt werden. Zudem wurde ein Überprüfungsmechanismus vereinbart, der vorsieht, dass der Europäische Rat ab 2007 sich jährlich auf der Grundlage der Fortschrittsberichte der Kommission vergewissern soll, welche Entwicklung der Prozess genommen hat, um über die Öffnung neuer Verhandlungskapitel beraten und beschließen zu können. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach heute von einer wichtigen Woche für Europa.
"Wir haben es bei diesem Überprüfungsmechanismus mit einem offenen und flexiblen Prozess zu tun, der es uns jedenfalls ermöglicht, schnell und sachgerecht auf mögliche Fortschritte bei der Umsetzung und bei der Ratifizierung des Ankara-Protokolls zu reagieren."
Die deutsche Ratspräsidentschaft steht jetzt jedoch vor der Aufgabe, die Isolierung des türkisch besetzten Nordteils Zyperns überwinden zu helfen.
"Den Völkern Europas, die der EU heute beitreten, strecke ich die Hand in Freundschaft entgegen. Die EU der 25 wird sich nun unabweisbar ändern, aber es wird eine Veränderung zum Besseren."
Bertie Ahern, der irische Regierungschef. Geändert hat sich in der Tat einiges seit dem 1. Mai 2004. Damals traten zehn Staaten der EU bei, darunter auch die Republik Zypern. Deren Regierung ist in jenen Tagen nicht gerade beliebt gewesen im Kreis der EU-Länder, denn sie hatte quasi als Mitgift den Partnern ein großes Problem beschert: die anhaltende Teilung Zyperns. Der grüne Europaabgeordnete Cem Özdemir:
"Das ist im Grunde auch ein Sündenfall der Europäischen Union, weil die bisherige Politik Europas war immer darauf ausgerichtet, dass wir Länder aufnehmen, die keine Grenzkonflikte haben. Wir sind nicht mehr neutral, durch die Mitgliedschaft Südzyperns sind wir quasi Partei."
Rückblick: Unter Hochdruck hatte der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan Verhandlungen mit den Konfliktparteien geführt. Das Ziel war die Wiedervereinigung der Insel vor dem EU-Beitritt, die Voraussetzungen dafür waren gut. Im türkisch besetzten Nordteil der Insel hatten die Nationalisten an Macht verloren, die türkische Regierung unterstützte den Annan-Plan. Der griechische Südteil Zyperns, die Republik, hatte ohnehin immer seit dem Einmarsch der türkischen Truppen 1974 die Wiedervereinigung verlangt. Dann aber wurde die EU von der Regierung Südzyperns und ihrem Präsidenten Papadopoulos kalt erwischt. Sie machte vor dem Referendum massiv Stimmung gegen den Annan-Plan, und als dem damaligen Erweiterungskommissar Günter Verheugen sogar Fernsehauftritte im Süden Zyperns verwehrt wurden, platzte ihm der Kragen.
"Ich persönlich fühle mich durch die Regierung der Republik Zypern getäuscht. Wir hatten eine klare Absprache: Wir organisieren den Beitritt Zyperns, und ihr werdet dafür sorgen, dass eine Regelung nicht an den griechischen Zyprioten scheitert. Ich fordere Herrn Papadopoulos auf, seinen Teil jetzt einzulösen."
Das tat Herr Papadopoulos aber nicht. Das Ergebnis: Eine Mehrheit im Süden stimmte gegen die Vereinigung der beiden Teile Zyperns. Umgehend versuchte sich die EU in Schadensbegrenzung. Die Menschen im Norden Zyperns sollten nicht unter dem Nein der griechisch-stämmigen Landsleute leiden. 250 Millionen Euro an Entwicklungshilfe, so der Beschluss der EU-Außenminister, sollten in den Nordteil der Insel fließen. Wichtiger noch: Das Handelsembargo der EU sollte aufgehoben werden. Mittlerweile, zweieinhalb Jahre später, fließen immerhin die Hilfsgelder, von einem Embargo-Ende kann aber immer noch keine Rede sein. Nikosia blockiert den notwendigen Beschluss mit einem Veto. Die Politik der griechischen Zyprer wurde kurz darauf von Ankara beantwortet. Die Türkei weigerte sich, das so genannte Ankara-Protokoll, dass sie selbst unterzeichnet hatte, umzusetzen. In diesem Protokoll ist festgelegt, dass die seit langem zwischen der EU und der Türkei existierende Zollunion auch auf jene Staaten ausgeweitet werden soll, die 2004 der EU beigetreten sind. Doch davon will Ankara nichts wissen. Die türkischen Häfen bleiben für Schiffe aus der Republik Zypern geschlossen. Der türkische Premier Erdogan verweist darauf, dass die EU ihre Versprechen gegenüber dem Norden Zyperns noch nicht eingelöst hat. Für Elmar Brok, den CDU-Europaabgeordneten, sind dies allerdings keine hinreichenden Gründe, die Umsetzung des Ankara-Protokolls zu verweigern.
"Die Frage Ankara-Protokoll, das heißt die Anwendung der Zollunion auf alle heutigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. war eine Vorbedingung für den Beginn von Beitrittsverhandlungen, ist eine rechtliche Verpflichtung."
Brok ist deshalb unzufrieden mit dem Beschluss der EU-Regierungen, nur 8 der 35 Verhandlungskapitel mit der Türkei auszusetzen. Cem Özdemir hingegen verlangt, dass beim Urteil über die Türkei immer auch die Lage der türkischen Zyprer beachtet wird.
"Das ist eine moralische Verpflichtung, sonst fragt man sich ja, was ist das Versprechen von Europäern wert?"
Dieser EU-Gipfel ist nun doch kein Türkei-Gipfel geworden, aber dafür stand das größere Thema, die Erweiterung der Union, insgesamt im Mittelpunkt der Gespräche beim Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Gregor Peter Schmitz ist für die Bertelsmann-Stiftung in Brüssel. Herr Schmitz, EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn, behauptet, die Erweiterung der EU und die Vertiefung seien keine Gegensätze. Muss sich die Union also gar nicht entscheiden für das eine oder das andere?
"Es kommt eigentlich immer auf den Zeitpunkt an. Ich glaube nicht, dass irgendjemand die Tür dauerhaft verschließen will. Auch Erweiterungskommissar Olli Rehn hat ja gesagt, dass es wieder auf jede neue Generation ankommen wird, wie sie den Begriff 'europäisch' eigentlich definiert. Man hat gesagt, durch die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei ist die EU eigentlich entgrenzt worden. Es kann nicht mehr als Argument hervorgebracht werden, dass beispielsweise die Ukraine oder andere Staaten in dieser Region nicht aufnehmen will mit dem Argument, dass es nicht europäisch sei. Was im Moment geschehen muss, ist - um es mal in ein Bild zu fassen - dass die EU ihr Haus aufräumt, bevor sie weitere Mitglieder einlädt. Das ist eigentlich ein ganz schönes Bild, dass man dafür verwenden kann. Und gleichzeitig darf es natürlich nicht sagen, wir möchten gar nichts mehr mit den anderen Staaten zu tun haben, gerade mit den Anrainerstaaten, die angesprochen worden sind wie Ukraine, die Staaten Zentralasiens, Belarus, alles potentielle Krisenherde, denen man dann vielleicht etwas anbieten muss in der nahen Zukunft, das nicht so weit reicht wie eine Mitgliedschaft, aber man muss diese Form der Nachbarschaftspolitik wieder ernstnehmen."
Eine ganz aktuelle Umfrage belegt wieder einmal, dass vor allem die deutsche Wirtschaft sehr profitiert von der Osterweiterung, aber auch Löhne und Gehälter in Deutschland steigen, das heißt, die Arbeitnehmer profitieren auch. Wie geht das zusammen, die Skepsis auf der einen Seite, der Gewinn auf der anderen?
"Die Europäische Union hat generell ein Kommunikationsproblem. Aber bei der Erweiterungsfrage ist das Kommunikationsdefizit vielleicht am deutlichsten. Es handelt sich um eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Ich glaube, es würde niemand bestreiten wollen, dass beispielsweise die Aufnahme der osteuropäischen Staaten in der letzten großen Erweitungsrunde eine regelrecht historische Dimension hat. Da kommt es jetzt vor allem darauf an, dass man das der Bevölkerung besser kommuniziert. Es muss klarer werden, dass die Menschen mitgenommen werden bei diesem Erweiterungsprozess. Ich sehe aber keine dauerhafte Abwendung von diesem Prozess, ich sehe immer eher ein aktuelles Unwohlsein damit, was auch damit zusammenhängt, dass manche Zusammenhänge nicht verstanden werden."
Weit weniger kontrovers als die Debatte über den Erweiterungsprozess verlief auf diesem Brüsseler Gipfel die Diskussion über eine gemeinsame Migrationspolitik. Dabei ist es eine Premiere für die Gemeinschaft. Zum ersten Mal machen die Mitgliedsländer gemeinsame Schritte hin zu einer europäischen Einwanderungspolitik. Diese gemeinsame Politik hat zwei Ausrichtungen. Einerseits will die EU illegale Einwanderung schärfer bekämpfen, zugleich aber soll die legale Migration in die bald 27 EU-Mitgliedsländer besser koordiniert werden. Die Europäische Union strebt dabei eine Partnerschaft mit denjenigen Ländern an, aus denen oder über die Flüchtlinge illegal nach Europa einreisen. Außerdem sollen die politischen und finanziellen Mittel der EU gezielter eingesetzt werden als bisher. Frankreichs Präsident Jacques Chirac hätte sich allerdings durchaus mehr Engagement gewünscht.
"Der Kampf gegen die illegale Einwanderung ist sicher nötig. Aber in erster Linie ist das doch ein Kampf gegen die Armut. Niemand soll glauben, dass die jetzt beschlossenen Hilfen aus den Etats der Mitgliedsländer ausreichten. Das ist wirklich illusorisch."
Die Staats- und Regierungschefs unterstützen auch den Plan der EU-Kommission, qualifizierte Arbeitskräfte aus Afrika, aber auch aus Ost- und Südosteuropa auf Zeit nach Europa zu holen. Die EU-Kommission kann den Bedarf, den jedes Mitgliedsland nach Brüssel meldet, koordiniert dann an die Partnerländer weitergeben, ein Vorschlag, den ähnlich auch schon Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und der französische Innenminister Nicolas Sarkozy gemacht hatten. Für die Europäische Kommission ist dieser Beschluss der Staats- und Regierungschefs besonders interessant, weil die Einwanderungs- und Asylpolitik eigentlich Sache der Nationalstaaten ist. Entsprechend breit lächelte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, als er das Einlenken der Mitgliedsländer so erklärte:
"Die Wirklichkeit hat die Mitgliedsländer überzeugt, dass es keinen Sinn ergibt, in einem offen zugänglichen Europa 25 unterschiedliche Einwanderungspolitiken zu betreiben. Wir, die Kommission, sind glücklich darüber, dass die Mitgliedsländer unseren globalen Einwanderungsplan unterstützen."
Zweiter Teil des Migrationskonzeptes ist der Gipfelbeschluss über den Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Frontex soll mehr Geld und mehr Personal bekommen, um effektiver als bisher die illegale Einwanderung nach Europa zu bekämpfen. Bewegung war auf diesem ansonsten eher ruhigen Gipfel auch beim Thema Reform der Institutionen zu spüren. Der amtierende EU-Ratspräsident Matti Vanhanen war zuversichtlich, aber auch sehr wortkarg. Alles Besprochene sei strikt vertraulich.
Er sei optimistisch, sagte Vanhanen, dass der politische Wille jetzt da sei, um den Reformprozess fortzusetzen. Klar ist, dass eineinhalb Jahre, nachdem die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden die europäische Verfassung auf Eis gelegt haben, immer mehr EU-Mitglieder einen neuen Versuch unternehmen wollen, die Institutionen der EU zu reformieren. Zu groß ist die Angst, dass ohne eine Reform die Europäische Union und ihre Organe funktionsunfähig werden. Dabei wollen die 18 Länder, die bereits die Verfassung ratifiziert haben, möglichst viel aus dem alten Verfassungsvertrag retten und sich dafür schon im Januar zu Gesprächen in Madrid treffen. Das wird ausdrücklich von der Bundesregierung unterstützt, die in ihrer Präsidentschaft in den kommenden sechs Monaten die Suche nach einem Kompromiss über die europäische Verfassung energisch vorantreiben will. Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet schwierige Verhandlungen, und sie warnte in Brüssel vor allzu große Erwartungen an die Deutschen.
"Wir haben gesagt, was wir schaffen wollen, auch schaffen müssen, das ist ein solcher Fahrplan, und darauf aufbauend werden wir unseren Weg gehen und natürlich versuchen, so viel wie möglich zu erreichen, aber nicht auch gleich wieder Enttäuschungen zu produzieren."
Der Dezember-Gipfel von Brüssel war der letzte Höhepunkt der finnischen Ratspräsidentschaft. Wie es auf dem diplomatischen Parkett üblich ist, bedankten sich die Regierungen der übrigen Mitgliedsstaaten in den letzen Präsidentschaftstagen bei den finnischen Kollegen für die geleistete Arbeit. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der an die wohl größte Bewährungsprobe für die finnische Regierung erinnerte.
"Lassen Sie mich sagen, dass wir der finnischen Ratspräsidentschaft ausgesprochen dankbar sind für eine Arbeit, die ja auch schwierig begann. Wir wissen, dass wenige Tage nach Übernahme der Ratspräsidentschaft die Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah begann, und dass wir unter und mit der finnischen Ratspräsidentschaft europäische Verständigungen zusammenbekommen haben, die am Ende auch hilfreich waren, das Blutvergießen zu beenden."
Was sonst kann Finnland nach sechs Monaten auf der Habenseite verbuchen? Dass der Streit um die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht eskaliert ist. Und sonst? Hört man sich im Europaparlament um, dann überwiegen die kritischen Stimmen. Die Alltagsgeschäfte der EU seien von den Finnen nicht vorangetrieben, sondern eher behindert worden, so die fast einhellige Meinung unter den Abgeordneten. Dagmar Roth-Behrendt, SPD-Abgeordnete im Straßburger Parlament, wirft der finnischen Regierung vor, den größtmöglichen Fehler einer Präsidentschaft begangen zu haben.
"Häufig hat sie parteiisch gearbeitet, sie hat nicht immer das gemacht, was sie muss, nämlich neutral, Walter sozusagen aller Interessen sein, sie hat ihre eigenen Interessenforderungen gestellt, war in manchen der Bereiche, in denen ich arbeite, null vorbereitet."
In den vergangenen sechs Monaten sind eine Reihe wichtiger Gesetzesvorhaben abgeschlossen worden. Die Dienstleistungsrichtlinien zum Beispiel, um die jahrelang erbittert gestritten worden war, und die wesentlich zum Scheitern der Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden beigetragen hatte. Genauso umfangreich und umstritten war die Chemikalienrichtlinie, auch sie ist mittlerweile unter Dach und Fach, aber nicht wegen, sondern trotz der finnischen Vermittlungsbemühungen.
"Wir haben REACH, die neue Chemikaliengesetzgebung beschlossen, aber das ist sicher nicht ihr Verdienst gewesen, nicht das finnische Verdienst, sondern das Verdienst des Berichterstatters und des Parlamentes. Die Vertreter der Finnen waren auch ständig beleidigt und haben sich immer, wenn man mit ihnen argumentiert hat, persönlich angegriffen gefühlt. Gleichzeitig haben sie offensichtlich auch im Rat nicht immer alle Unterlagen und Informationen vom Parlament weitergeleitet. Sie haben anscheinend gespielt, sie haben nicht anständig hin und her transportiert als Sachwalter der jeweiligen Argumente. Das ist alles ganz, ganz mau."
Ähnlich mau die Bilanz bei dem Thema, das der finnische Ministerpräsident Matti Vanhanen ganz oben auf der Agenda seiner Präsidentschaft platziert hatte: Er wollte den Startschuss geben für die Verhandlungen mit Russland, die die Beziehungen der EU zu Moskau auf eine völlig neue Grundlage stellen sollen. Doch Fehlanzeige. Die finnische Regierung schaffte es nicht, Warschau von seiner Blockade dieser Verhandlungen abzubringen. Elmar Brok, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des Europaparlaments:
"Das ist besonders überraschend, weil wir da große Hoffnungen auf die Finnen gesetzt haben, weil sie eine besondere Kenntnis von Russland haben, weil sie Mittler zwischen Russland und den baltischen Staaten, den neuen Staaten insgesamt sein könnten. Und deswegen ist es so bedauerlich, dass in ihrer Zeit nicht das Veto Polens überwunden werden konnte, um die Verhandlungen über ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland zu beginnen."
Nicht nur bedauerlich, sondern unverständlich findet Dagmar Roth-Behrendt die Abwesenheit der finnischen Regierung in der Verfassungsdebatte. Zwar sei von vornherein klar gewesen, dass in dieser Frage frühestens unter der deutschen Präsidentschaft substanzielle Fortschritte erzielt werden können, aber
"wäre ich Ratspräsidentschaft, und ich habe Dinge auf Eis liegen, dann ist es doch mein Ehrgeiz, da ein bisschen was zu bewegen, und ein bisschen Wind reinzubringen. Die Finnen haben dazu gar nichts gemacht, die haben sich zurückgelehnt und haben gedacht: Daran sollen sich doch die Deutschen die Finger verbrennen."