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Stress und Gene

Biologie. - Mehr als zehn Millionen Menschen trinken in Deutschland mehr als gut für sie ist. 10.000 sterben jährlich an den Folgen des Alkoholkonsums. Was bereits Kinder zur Schnapsflasche greifen lässt war eines der Hauptthemen auf dem 1. Deutschen Suchtkongress in Mannheim.

Von Kristin Raabe |
    Menschen sind keine Labormäuse, und das macht die Suchtforschung nicht gerade einfach. Im Mäusekäfig können die Forscher von der Geburt bis zum Tod des Tieres jeden Umwelteinfluss kontrollieren und so feststellen, warum auch manche Nager süchtig werden. Die Umgebung, in der Menschen aufwachsen, ist dagegen oft viel zu komplex, um exakt die Umweltfaktoren herauszufiltern, die zu einer Suchterkrankung führen. Manfred Lauscht vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim beobachtet mit seiner Arbeitsgruppe die Entwicklung von mehreren Hundert Kindern seit ihrer Geburt. Warum manche von ihnen schon früh zu Rauschtrinkern wurden, wollte der Psychologe in einer Teilstudie herausfinden.

    "Ein wichtiger Umwelteinfluss ist die Stressbelastung und ein wichtiges Motiv zum Alkoholtrinken ist Frust und Ärger und eben auch der Versuch diesen Ärger im Alkohol zu ertränken."

    Das zumindest legen Studien aus dem Mäusekäfig nahe, und auch von erwachsenen Alkoholabhängigen ist bekannt, dass Stress sie immer wieder zur Flasche greifen lässt. Also befragten die Mannheimer Psychologen die Eltern der Kinder nach Ereignissen, die für die Heranwachsenden zwischen dem 2. und 15. Lebensjahr belastend gewesen sein müssen. Und auch die inzwischen 19jährigen selbst gaben Auskunft über ihre Stressbelastung. Lauscht:

    "Stressbelastung heißt bei uns, die Erfahrung von einschneidenden und belastenden Ereignissen: Trennung der Eltern, häufige Schulwechsel, häufige Wohnungswechsel, psychische Erkrankungen eines Elternteils, Unfälle – das sind so einige Beispiele."

    Aber nicht jeder, der solche Erfahrungen machte, wurde später auch zu einem Rauschtrinker, also einem Jugendlichen, der häufig – manchmal mehrmals im Monat – bis fast zur Besinnungslosigkeit Alkohol konsumiert. Manfred Lauscht und seine Kollegen vermuteten, dass neben dem Stress auch genetische Faktoren eine Rolle spielen müssten. Von Mäusen mit einem nur leicht veränderten CRHR1-Gen wussten die Forscher, dass sie in Stresssituationen deutlich mehr Alkohol trinken als ihre Artgenossen. Sie suchten also bei 270 Studienteilnehmern nach genau dieser Genvariante. Tatsächlich scheint dieses Gen auch den Alkoholkonsum von Menschen zu beeinflussen. Lauscht:

    "Unsere Studie zeigt, dass Stressbelastung nur dann mit einem erhöhten Alkoholkonsum einhergeht, wenn gleichzeitig, eine genetische Variante vorliegt, die mit im Zusammenhang mit dem Stresshormon steht."

    Ohne die Genvariante verursacht Stress also keinen erhöhten Alkoholkonsum bei Jugendlichen. Jugendliche jetzt mit einem Gentest auf ihre Stressempfindlichkeit hin zu testen, hält der Psychologe Manfred Lauscht allerdings nicht für sinnvoll. Für Heranwachsende ist Stress aus vielen Gründen schädlich. Auch wenn er nicht jeden zum Alkohol greifen lässt, so kann ein stressiger Alltag schlechte Schulnoten und aggressives Verhalten fördern. Deswegen empfehlen die Mannheimer Psychologen für Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen ein sogenanntes Lebenskompetenztraining, in dem sie Strategien zur Stressbewältigung erlernen.