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Stricken und streiten

Die Pulte im Plenarsaal schmückten Blumen, die Abgeordneten kamen in Turnschuhen und offenem Hemd. Vor 30 Jahren gründeten sich die Grünen mit dem Anspruch, die Gesellschaft der Bundesrepublik nachhaltig zu verändern.

Von Peter Zudeick | 07.01.2010
    13. Januar 1980, 17 Uhr 30:

    "Die Mehrheit ist da, nach diesem Abstimmungsergebnis muss ich feststellen, dass sich die Grünen als Bundespartei gegründet haben."

    Es war ein weiter Weg bis dahin, langwierige und mühselige Auseinandersetzungen waren dieser Parteigründung vorausgegangen. Aber immerhin: Der Schwung des Anfangs und das Pathos des Aufbruchs überwogen in Karlsruhe. Herbert Gruhl, vorher CDU-Mitglied, einer der Gründerväter der Grünen.

    "Dieser Aufschwung beweist, dass der Geist der Geschichte in unserer Richtung weht, dass die große Wende sich anbahnt."

    Es ist aber keineswegs sicher, dass die Parteigründung wirklich funktioniert. Der Kongress ist chaotisch, turbulent, unberechenbar. Das Tagungspräsidium hat Mühe, sich gegen die ständige Belagerung des Podiums durchzusetzen.

    "Bitte überlasst doch dem … Ihr könnt dem Präsidium doch nicht in allem hereinreden, ja. Wir, wir müssen zusammenarbeiten."

    Zwei Tage lang Chaos, Tumulte, Gerangel ums Mikrofon, Belagerung des Präsidiums, die Versammlungsleiter mussten sich einen einigermaßen geregelten Ablauf immer wieder erkämpfen.

    "Ich bitte, dass hier vorne der Gang geräumt wird, damit ein einwandfreier Zugang zu den Mikrofonen möglich ist."

    Immer wieder kommt es zu Verzögerungen, das Präsidium muss tricksen, um den Zeitplan einzuhalten zu können.

    "Wir machen darauf aufmerksam, dass man die Uhr um zehn Minuten angehalten hat, dass also die Uhr im Saal nicht mehr stimmt."

    Trotzdem wird es eng: Bis 17 Uhr 15 am 13. Januar 1980 soll die Gründung über die Bühne sein. Es reicht nicht für die Schlussabstimmung. Man will bis 17 Uhr 30 verlängern. Riesenprotest der Hamburger Delegierten, die ihren Zug nicht mehr kriegen, für den sie einen verbilligten Sammelfahrschein haben. Aber am Ende geht es dann doch.

    Über Inhalte wurde auch geredet. Eins der größten Probleme hieß Rot-Grün, so merkwürdig das heute klingt. Viele Umweltschützer wollten mit Linken nichts zu tun haben, also mit den Alternativen und Bunten, wie sie damals noch hießen, sie wollen vor allem keine Doppelmitgliedschaften zulassen. Die bunte Mischung aus allen möglichen politischen Lagern, die nur durch das Attribut "grün" zusammengehalten wurde, sorgte für viel Kopfzerbrechen.

    "Das müssen wir schaffen, das ist die Einheit der Vielfalt organisch, ja. Dass ganz klar der grüne Typ, wenn man da einen sieht, aha, das ist ein grüner Typ, nicht."

    Das war der Ökobauer Baldur Springmann, der wie Herbert Gruhl und andere sogenannte Wertkonservative bald sehen musste, dass der grüne Typ aus der rechten Ecke von den meisten Mit-Grünen jedenfalls nicht gemeint war. Noch im Jahr der Parteigründung zogen sie sich von den Grünen wieder zurück.

    Die anderen marschierten flott voran - gegen alle Voraussagen aller möglichen Fachleute. Schon im März 1983 zogen die Grünen in den Bundestag ein. Nach einer Zitterpartie mit denkbar knappem Ausgang: Mit 5,6 Prozent schafften die Grünen so gerade den Einzug in den Bundestag. Und sorgten bei vielen Etablierten für blankes Entsetzen.

    Man machte sich Sorgen um die Würde des Hohen Hauses, um die Sicherheit, um die Kleiderordnung. Nicht ohne Grund. Sie kamen mit wallenden Bärten und bunten Kleidern und Blumen - nicht gerade im Haar, aber in Töpfen. Eckhard Stratmann, der erste grüne Bundestagsredner, trat mit offenem Hemd und rostfarbenen Cordhosen ans Pult, Joschka Fischer nannte den Bundestag eine "unglaubliche Alkoholikerversammlung", Waltraud Schoppe sorgte mit ihrer ersten Rede zunächst für Heiterkeit.

    "Wir brauchen neue Männer in diesem Land."

    Und dann für fassungsloses Entsetzen.

    "Wir fordern Sie alle auf, den alltäglichen Sexismus in diesem Parlament einzustellen."

    Mehr als durch flotte Sprüche irritierten die Grünen aber durch ihr Parlamentsverständnis: Rotation der Abgeordneten nach zwei Jahren, Trennung von Amt und Mandat, Finanzierung der Basis durch Abzweigung von Diäten - Basisdemokratie wurde damals noch richtig ernst genommen bei den Grünen.
    "Die Grünen 1980: chaotisch, pathetisch, spannend und rebellisch. Heute: ordentlich, nüchtern, langweilig und stinknormal."

    Das sagte Michael Schroeren, lange Jahre Pressesprecher der Grünen, zum zehnjährigen Bestehen der grünen Partei. Damals vollzog sich gerade die Abspaltung der radikal-ökologischen Gruppe um Jutta Ditfurth, damit waren die Flügelauseinandersetzungen im Prinzip beendet, weil es den öko-sozialistischen Flügel bei den Grünen nicht mehr gibt.

    Dann kam der Schock der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990: Die Grünen schafften im Westen die Fünf-Prozent-Hürde nicht und kamen nur durch das bessere Abschneiden der Schwesterpartei Bündnis 90 wieder in den Bundestag. Seit diesem Schock versuchen Joschka Fischer und seine Mitstreiter, eine neue Linie durchzusetzen. Grundsatz: Die Systemauseinandersetzung ist beendet, der Kapitalismus hat gesiegt, altlinke Kapitalismuskritik kann nicht mehr Politik der Grünen sein.

    "Das sagt euch einer, der dabei nur zu verlieren hat, das wünsch ich mir nämlich in meiner Rolle als heimlicher Vorsitzender."

    Nachdem die Realpolitiker um Joschka Fischer das Regiment endgültig übernommen hatten und aus der Anti-Kriegspartei eine Auch-Kriegs-Partei geworden war, waren die ideologischen Schlachten geschlagen. Joschka Fischer war die Parteilinie. Zwar bekam er in der Auseinandersetzung um den Balkan-Krieg im November 1995 einen Farbbeutel an den Kopf, aber das war eher eine Reminiszenz an die wilden Jahre der Grünen. Fischer war jahrelang unangefochten der beliebteste deutsche Politiker, in der Partei blieb er zwar umstritten, aber doch irgendwie unentbehrlich.

    "Wir begegnen uns ja immer zweimal. Auf dem Parteitag, da krieg ich's dann, und bei Wahlkämpfen, wo es heißt: Joschka, komm."

    Das ist nun auch vorbei: Wir haben zwei rot-grüne Regierungszeiten erlebt und hören immer wieder, dass das grüne Projekt mit dem rot-grünen Projekt endgültig zu Ende sei. Bloß: Bei den Grünen schert sich kaum noch jemand um die Frage, ob man denn aufregend oder langweilig sei. Die Kämpfe der Vergangenheit sind ausgestanden, und den meisten ist das ganz recht so. Den Wählern sowieso: Die Grünen erreichen inzwischen sogar bei der Bundestagswahl ein zweistelliges Ergebnis. Auch ohne Joschka Fischer.