Archiv


Strikter Sparkurs statt Neuverschuldung

    Spengler: In knapp zwei Wochen sollen die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen in Berlin abgeschlossen sein. Vorgestern hat man mit einem klaren Bekenntnis angefangen: keine Steuererhöhungen auf Bundesebene, dafür ein strikter Sparkurs. Am Telefon begrüße ich nun die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, die für die Grünen auch am Verhandlungstisch sitzt. Frau Künast, heute soll es ja auch etwas konkreter werden, also auf der Tagesordnung: Familienpolitik, Bildung, Forschung, Jugend. Welche Lehren ziehen die Grünen denn aus den Ergebnissen der PISA-Studie?

    Künast: Eine der ersten Lehren ist die, dass es tatsächlich ein entsprechendes Bildungsangebot für Kinder geben muss, und zwar nicht erst angefangen in der Schule, sondern man kann bereits bei der Betreuung von Kindern unter drei Jahren anfangen. Das hat an der Stelle auch eine Menge zu tun mit den Möglichkeiten von Frauen, sich tatsächlich für Beruf und Kinder zu entscheiden.

    Spengler: Das heißt, es gibt demnächst vielmehr Kinderkrippen, und umsonst?

    Künast: Ganz umsonst wird nichts zu machen sein, Herr Spengler, das wissen Sie, glaube ich, auch. Der wichtigste Punkt daran ist, dass wir tatsächlich eine verlässliche Grundschule brauchen, die auch Ganztagsschule ist. Deshalb wird das ein Punkt sein. Und wir als Grüne reden auch über die Frage der Kinderbetreuung unter drei Jahren. Das haben wir im Wahlkampf gemacht, und da wollen wir auch jetzt ein Angebot haben, weil man quer durch die Bundesrepublik eines feststellen muss: Das Angebot ist im Nord-Süd-Gefälle sehr unterschiedlich, aber die Frage, wie schon eine Kleinkindbetreuung stattfindet, entscheidet auch über die Frage, welche Fähigkeiten ein Kind entwickelt, weil es da ja auch immer um pädagogische Betreuung geht. Es entscheidet auch über die Frage: Haben Frauen tatsächlich die Möglichkeit beides zu tun, Kinder zu kriegen und ihren Beruf weiter auszuüben. Für alleinerziehende Frauen oder Männer ist es auch enorm wichtig, weil es sie sonst in den Bereich Sozialhilfe drängt, wenn sie die Kinder nicht versorgt haben. Deshalb ist das für uns Grüne einer der Kernpunkte. Darüber werden wir gemeinsam reden. Da geht es dann natürlich auch um die Frage der Finanzierung, also Sie müssen natürlich dementsprechend für genau diesen Bereich durch Sparmaßnahmen überhaupt Bewegungsspielräume schaffen, um die Länder bei dieser Aufgabe zu unterstützen.

    Spengler: Werden Sie diese Bewegungsspielräume kriegen? Ich habe eine Zahl von 5 Milliarden Euro gehört für Kindertagesstätten.

    Künast: Es kommt darauf an, wie ehrgeizig man das Programm angeht, aber es handelt sich auf alle Fälle insgesamt in diesem Kinderbereich um mehrere Milliarden. Wir haben es ja in unserer Finanzplanung bereits drin, bis zu vier Milliarden in den nächsten Jahren für den Grundschulbereich. Jetzt geht es darum, die anderen Umschichtungen auch vorzunehmen. Wenn Sie sagen "werden wir?", dann kann ich Ihnen nur sagen, "wir wollen". Und das Wollen ist ja immer der erste Ausgangspunkt. Daran sehen wir aber auch, warum wir überhaupt wir diese Riesenbemühungen ums Sparen machen, nicht nur weil wir sagen, ein Staat kann sich nicht immer auf Kosten Nachfolgender oder der jetzt Jüngeren weiter verschulden, sondern weil wir sagen, wir müssen Bewegungsspielräume schaffen, und genau der Bereich ist ein wichtiger. Ich will an unsere Green-Card-Debatte vor einigen Jahren erinnern. Da haben wir gemerkt, dass die Bildungsinstitutionen der Länder und die Wirtschaft gar nicht für das ausgebildet haben, was am Markt gefragt war, und genau darum geht es uns, den Kindern, egal welche Einkommensgruppe die Eltern haben, Entwicklungsmöglichkeiten schaffen. Sie sollen ihre Kapazitäten wirklich ausbauen und ausleben können, und sie müssen auch für die Zukunft ausgebildet werden, und das werden wir durchdeklinieren bis hin zu den Unis.

    Spengler: Ich würde gerne noch auf die Außenpolitik kommen. Hier sei man, so heißt es, völlig übereinstimmender Ansicht zwischen Rot und Grün. Das klang ja vor den Wahlen ein bisschen anders. Da hatte der Bundeskanzler noch die Zuständigkeit für die Europapolitik vom Außenministerium ins Kanzleramt holen wollen. Jetzt soll offenbar alles so bleiben, wie es ist. Sie kennen Brüssel und die Europapolitik auch sehr gut. Wäre es nicht wirklich vernünftig gewesen, die europäische Zuständigkeit beim Kanzleramt zu siedeln, weil das doch immer mehr Innenpolitik und eigentlich nicht mehr so sehr Außenpolitik ist?

    Künast: Na ja, es ist ja so, dass wir erst mal die inhaltlichen Themen besprechen, und am Ende kommen erst die Strukturen und die Personalfragen.

    Spengler: Das heißt es könnte noch so sein?

    Künast: Das kann ich nicht sagen. Ich wollte nur Ihnen nochmals klarstellen, dass wir über diese Punkte noch gar nicht geredet haben, gleichwohl Sie mir insbesondere als Grüne, aber auch vielen Nicht-Grünen geht es ja so, nicht nachsehen, wenn ich sagen, ich halte Joschka Fischer für einen brillanten Außenminister, der auch die "Außenpolitik auf europäischer Ebene" gut kann. Aber wir haben erst mal über das Thema Außen-, Europapolitik und Globalisierung kurz geredet, wo es keinen Dissens bei Rot-Grün an der Stelle gibt. Das, finde ich, ist schon mal ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben gleichermaßen Auffassung darüber, was die wirtschaftswichtigen Punkte sind, die in der nächsten Zeit angegangen werden müssen. Da steht als erstes natürlich auch die Weiterentwicklung Europas an. Europa hat angefangen. Die EU hat angefangen als wirtschaftlicher Zusammenschluss, und jetzt entwickelt sich immer mehr gemeinsame Politik und damit auch mehr gemeinsame Stärke in der internationalen Politik. Deshalb ist ja Europa auch ein wichtiges Projekt.

    Spengler: Um es nochmals klar zu sagen: Es sollte auch Ihrer Ansicht nach in der Rubrik des Außenministers verbleiben?

    Künast: Ich halte das für eine gute Lösung.

    Spengler: Anderes Thema: Sind Sie der Ansicht des CSU-Abgeordneten Ramsauer, der da meinte, nach dem Rücktritt des Kulturstaatsministers Julian Nida-Rümelin die Gelegenheit jetzt nutzen zu wollen und diesen Posten, der überflüssig sei, ganz abzuschaffen?

    Künast: Nein, also ich verstehe die Aussage von Nida-Rümelin. Für mich war das übrigens kein Rücktritt, sondern es ist ja am Ende einer Legislaturperiode, wo Funktionen dann neu besetzt werden, doch genau der richtige Punkt, und eigentlich ist es ja das, was alle auch immer wollen, dass Menschen sich entscheiden, ob sie in den nächsten Jahren hier weitermachen wollten, wenn der Kanzler sie denn ruft, oder ob sie in ihren alten Beruf zurückgehen. Das ist doch OK. Wir wollen doch eigentlich die Durchlässigkeit von Politik und dass jemand einen ordentlichen Beruf hat.

    Spengler: Nicht-Verlängerung des Vertrags auf eigenen Wunsch sozusagen?

    Künast: Ja. Ich finde, er hat seinen Job gut gemacht, und ich werde Ihnen auch sagen, warum dieser Kulturbereich weiter wichtig ist, weil es schon kulturelle Fragen gibt, die auch von besonderem Bundesinteresse sind. Die Länder fragen an bestimmten Stellen nach und sagen: Gibt es Finanzierungen, für die eigentlich der Bund zuständig ist, weil es ein Gesamtinteresse hat? Womit ich nicht rütteln will am föderalen System der Kultur, weil gerade Kultur föderale Vielfalt braucht, die dadurch überhaupt noch hergestellt wird. Ich halte die Funktion aber trotzdem weiter für wichtig, weil es Dinge gibt, die da zusammengebunden werden müssen, wo man innerhalb Deutschlands sagen kann: Hier gibt es ein bundesweites Interesse. Und da ein bisschen den Blick draufzuhaben und entsprechend die Bundesregierung zu befruchten, ist immer richtig.

    Spengler: Lassen Sie mich zum Schluss auf das leidige Steuerthema kommen. Es heißt ja nun in der Koalition: Wir werden die Subventionen abbauen, und wir werden 10 Milliarden Euro jährlich einsparen und auf Bundesebene nicht die Steuern erhöhen. Gleichzeitig fordert aber Ihre Fraktionskollegin und Finanzexpertin Christine Scheel eine Mindestbesteuerung für Körperschaften. Das wäre ja dann doch wieder eine Steuererhöhung, und sie hat auch die Ökosteueranhebung ab 2003 wieder in die Diskussion eingebracht, also was gilt jetzt? Keine Steuererhöhung oder doch?

    Künast: Es gilt das, was jetzt in dem Verhandlungsteam als Position gefordert wird. Wir haben an der Stelle eines klar gesagt: Wir machen nicht die Einfach-Nummer, die da hieße, einfach weiter verschulden oder per Steuererhöhung agieren. Nein, eines ist klar: Man muss diesen Zeitpunkt nutzen, wo die Mittel knapp sind, tatsächlich auch verantwortlich damit umzugehen und zu gucken, wo sind alte Zöpfe, die abgeschnitten werden müssen, wo gibt es Privilegien, die sich nicht mehr rechtfertigen lassen, und Privilegien haben ja schon im Wort eines stecken, dass es eine Übervorteilung im Verhältnis zu anderen Bereichen ist, die nicht zu rechtfertigen ist. Also wird der Haushalt durchgegangen, und es wird geguckt, wo man etwas einsparen kann, und das ist jetzt der richtige Augenblick, um bestimmte Dinge nicht noch jahre- oder jahrzehntelang mitzuschleppen. Das ist, glaube ich, der richtige Zeitpunkt, zumal man ansonsten ja immer wieder Verschuldungen mit sich schleppen würde, die dann ja später Belastungen sind. Ich glaube, das ist der richtige Weg, und da wird sich eine ganze Menge bewegen lassen. Da gibt es eine Arbeitsgruppe, die wahrscheinlich diejenige sein wird, die in den nächsten anderthalb Wochen die meisten Sitzungen haben wird.

    Spengler: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio