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Strindberg im Kino
Liv Ullmann verfilmt "Fräulein Julie"

Als Schauspielerin wurde sie mit "Szenen einer Ehe" oder "Von Angesicht zu Angesicht" berühmt: Liv Ullmann. Die blonde Schönheit aus Norwegen begann in den 80er Jahren selbst Filme zu drehen. Nun hat sie sich den schwedischen Dramatiker Strindberg und sein Stück "Fräulein Julie" vorgeknöpft, ein Drama über Machtpositionen und Männlichkeit.

Von Rüdiger Suchsland |
    Die norwegische Schauspielerin Liv Ullmann
    Liv Ullmann (picture alliance / dpa / Henning Kaiser)
    "Fräulein Julie" von August Strindberg war zur Entstehungszeit ein revolutionäres, die Zensurbehörden provozierendes Kammerspiel, ganz konzentriert auf ein Geschlechterverhältnis, das auch ein Klassenverhältnis ist, auf den emotionalen Machtkampf zwischen der kapriziösen Baroness Julie und Jean, dem Diener ihres Vaters.
    Es geht hin und her: Mal flirtet er mit ihr, mal lässt er sie abblitzen, mal verführt sie ihn, mal stößt sie ihn zurück:
    "Küssen Sie meine Hand und sagen Sie Danke" - "Fräulein Julie, hören Sie, Kathleen ist hinter mir her. Hören Sie mir zu." - "Küssen Sie mir erst die Hand." - "Hören Sie mir zu." - "Küssen Sie mir zuerst die Hand." - "Dann sind Sie selbst schuld." "Woran?" - "Woran? Sind Sie ein Kind? Sie spielen mit dem Feuer." - "Aber nein, ich träume" - "Nein, das tun sie nicht..." - "Schämen Sie sich, schämen Sie sich John."
    Vokale Kastration
    So weit, so interessant und mindestens als Bildungserlebnis immer noch empfehlenswert. Sprache ist bei diesem Stück alles, und da beginnt das Problem dieser Neuverfilmung. Denn lange war die deutsche Unsitte, Filme zu synchronisieren, nicht so schmerzhaft spürbar wie in diesem Fall. Die großartigen Schauspieler, mit denen das Filmplakat wirbt, werden durch den diffusen Sychronsprecherstudioton ihrer Stimme beraubt und vokal kastriert. Was bei Superheldenfilmen noch verzeihlich sein mag, zerstört hier den Film, verkehrt die Atmosphäre der Inszenierung in ihr Gegenteil:
    “Have you ever been in love?" - "I would not use that word, but I have liked a lot of girls. And once I could not have a girl, I became sick." - "Who was it?" - "It was you!"
    So dynamisch und zugleich facettenreich das englischsprachige Original, so lahm und gleichförmig die deutsche Fassung.
    Eine wichtige Rolle spielt allerdings auch, dass die Regisseurin Liv Ullmann heißt. Für Ullmann, die einst mit Filmen Ingmar Bergmans zum Weltstar wurde, ist es schon der dritte Kinospielfilm. Ullmann verlagert den Schauplatz des Geschehens nach Irland, bleibt aber in Strindbergs Epoche. Warum sie sich aber ausgerechnet für diesen Stoff interessiert, bleibt unerklärlich.
    Denn Ullmann verfilmt brav, auf konventionelle Art fehlerfrei und vermag keine eigenen Akzente zu setzen. Im Gegenteil: Exzess, Wahnsinn und irrationale Leidenschaft - also genau das, was den Reiz des Stücks ausmacht - fehlen hier. Aber warum verdient der Film unser Interesse? Was hat uns Strindbergs Tragödie aus dem Jahr 1888 heute zu sagen?
    Staubtrockenes, altbackenes Kammerspiel
    Julie selbst scheint uns noch am nächsten zu stehen: die Vertreterin einer verwöhnten Generation ohne materielle Probleme, die unter ihrer Freiheit leidet. Da sie alles haben kann, vermag sie sich für nichts zu entscheiden. Der Diener dagegen, der fortwährend zwischen Abstiegsangst und Aufstiegsstreben hin und hergerissen ist, bleibt uns fremd.
    Ansonsten zeigt die Regisseurin "Fräulein Julie" als staubtrockenes, altbackenes Kammerspiel, das ganz den Geist des 19. Jahrhunderts atmet. Ein Melodram, halb Hedwig Courths-Maler, halb europäisches Kino der 1970er-Jahre. Und das Produkt einer patriarchalen Gesellschaft, in der die Väter nie zu sehen, aber immer als autoritäre bedrohliche Unterdrücker anwesend sind.
    "Lasst uns hoffen, dass der Baron nie herausfinden wird, was hier geschehen ist, im Zimmer seines Dieners, in dieser Mittsommernacht."
    Revolutionär und provozierend wirkt hier nichts mehr, und auch der massive Musikeinsatz - Schuberts zweites Klaviertrio - ist nach Stanley Kubricks "Barry Lyndon" nur noch ein Zitat, also aus zweiter Hand.
    Wäre der Film nicht von Ullmann...
    Man muss es so sagen: Stammte dieser Film nicht von Liv Ullmann, würde er kaum in die Kinos kommen. Denn auch wer das Stück nicht kennt, wird hier unter manchen Längen leiden.
    Die Schauspieler Colin Farrell, Jessica Chastain und Samantha Morton sind wunderbar anzuschauen. Aber Chastain ist sichtlich mindestens zehn Jahre zu alt, um eine gute Besetzung für die 25-jährige Julie zu sein. Das verändert die Haltung zum Stoff: Mittdreißiger, die so fühlen und handeln wie Mittzwanziger im 19. Jahrhundert, sind uns nicht wirklich nahe. Auch die gestelzt klingende, artifizielle Sprache der Übersetzung distanziert den Zuschauer zusätzlich:
    "Als kleiner Junge saß ich heimlich da und erspähte sie, als sie durch den Rosengarten gingen. Ich sah ihre schlanken weißen Fesseln und ich sage Ihnen: Ich hatte dieselben hässlichen Gedanken, wie alle jungen Burschen."