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Strindberg, neu gesehen

Von allen seinen qualvollen Psychodramen ist August Strindbergs "Gespenstersonate" das aufregendste und rätselhafteste. Das Stück sei "so schauderhaft wie das Leben, wenn einem die Schuppen von den Augen fallen", sagte der Dichter und erklärte damit auch die Ablehnung, auf die sein Werk beim zeitgenössischen Publikum stieß. Um die Stücke in der von ihm gewünschten Weise aufführen zu können, eröffnete er ein eigenes Theater, das nun einen runden Geburtstag feierte.

Von Susanne Lettenbauer | 06.01.2008
    Toi, toi, toi, möchte man ihm zurufen, dem Theaterchef des kleinsten Theaters von Stockholm, der vor 100 Jahren August Strindberg hiess und heute Ture Rangström. Toi, toi, toi für die Premiere der von Regisseuren gefürchteten Gespenstersonate. Vor 92 Plätzen in Hörweite des klapprigen Aufzuges, der bereits Strindberg in sein Büro brachte. Doch im "Intimen Theater" verbietet sich jeder zusätzliche Laut. Als hätte Strindbergs Traumwelt, sein "Traumspiel", das in diesem winzigen Theaterraum Wirklichkeit werden sollte, bis heute überdauert.

    " Schauen Sie sich diese kleine Bühne an von ungefähr sechs mal vier Meter. Für die Schauspieler ist diese Fläche eine absolute Herausforderung. Bereits beim Auftritt. Aber man muss auch aufpassen, dass man nicht herunterfällt. Es wird hier viel mit Raumteilern gearbeitet. Dazu kam früher ein Sterngobelin an der Decke, an der Bühne standen Schirmlampen. Oft blieben alle Schauspieler die ganze Inszenierung auf der Bühne. "

    Enge Gänge führen zu den Garderoben und zum "Roten Raum", dem Theatercafé benannt nach einem Strindbergstück. Der Zuschauerraum - ein grösseres Wohnzimmer, beängstigend eng und hellhörig, eine verwirrende Theatererfahrung vor der Aufführung.

    " Die Schauspieler lieben diese Nähe. Man kann sich nicht verstecken, alles wird bemerkt, alles hört man, jede Regung wird bedeutungsvoll, so hatte sich Strindberg Theaterkunst vorgestellt. Mit diesen Ideen spielen wir heute. "

    Heute meinen alle, die Gespenstersonate zu kennen, hatte Theaterchef Ture Rangström zuvor gesagt. Man kennt den halluzinierenden Studenten, der in die Familie des Direktor Hummel hinein gerät, zu einer Mumie, einem Greis und seiner hyazintenverliebten Tochter. Man meint, den irrwitzig scheinenden Grundsatzdialog zwischen Oberst und Direktor Hummel zu kennen.
    Nach der neuen Inszenierung von Richard Turpin im Intimen Theater meint das keiner mehr:

    Regisseur Richard Turpin, bekannt als Entdecker vergessener Strindbergdramen, schickt seinen Studenten als fiktiven Jahrmarktbesucher auf die Bühne. Gierig nach Spektakel und seichtem Entertainment sucht er amüsant skurrile Scheinwelten, wie die des Oberst und Direktor Hummels. Ein ungefährliches "Second Life", wie das gleichnamige Computerspiel. Ein virtuelles Theater in Erinnerung an Theater.

    Gänzlich unwirklich scheint denn auch die Familie, in die der Student gerät:
    Dicke schwarze Ringe unter den Augenhöhlen starren die kalkweissen Gesichter von Turpins Schauspielern ins Publikum - eine schwedische Addams Family, der das Leben längst abhanden gekommen ist. Der Raum zur Muße ist verdammt eng. Vierzehn Personen drängen sich die 75 intensiv gespielte Minuten auf der winzigen Bühne von sechs mal vier Metern . Versuchen miteinander und aneinander vorbei zu agieren, ihre Gefühle zu ordnen, eine Lebensbahn zu finden. Am Ende fehlt der Platz, auch buchstäblich. In wohl keinem anderen Theater wird das so deutlich, was August Strindberg hier im Intimen Theater zum Programm erhob - Intimität grenzt an Klaustrophobie.
    Regisseur Richard Turpin setzt bewusst diese räumliche Enge in seinen Inszenierungen ein. Und er kombiniert diese programmatische Beschränkung mit modernem Theater, wie dem Einsatz von stilisierten Bühnenbildern und abstrakten Videos.

    Knapp sechzig Jahre war Strindberg alt, als er Ende 1907 sein eigenes Theater eröffnete. Resigniert, verbittert und zornig über die fehlende Akzeptanz seiner Werke am bürgerlichen Theater, das Stücke wie Fräulein Julie als "ein Misthaufen" beschimpfte und als zu avantgardistisch mit Abscheu aufgenommen hatte. Umso intensiver sollten seine eigens für das Intime Theater geschriebenen Kammerspiele beim Publikum wirken. Junge und alte Schauspieler sollten sich hier in szenischen und dramatischen Experimenten treffen. Das hat Strindberg jetzt nach 100 Jahren geschafft, mit dem Unterschied, dass heute auch andere, meist ganz junge schwedische, englische, französische Autoren sich hier in den 10 Inszenierungen pro Jahr ausprobieren können. Auch Henning Mankell stellte hier sein Stück "Der Welpe" vor. Theaterchef Ture Rangström:

    " Wir spielen hier im Sinne Strindbergs, zwar mit sehr wenig Geld, aber das war bei Strindberg ähnlich. Da stehen wir in einer Tradition. Auch mit dem Ziel, dass wir offen sind für alle Theaterautoren."

    In der Theaterszene gilt das Intime Theater als die wichtigste Bühne für experimentelle Kammerspiele, so die Theaterkritikerin Elin Claeson:

    "Als ich das letzte Mal im Intimen Theater war, spielten sie Reine Brynolfssons wunderbaren Strindbergmonolog "Paralysie Générale". Unter den vielen Strindberg-Inszenierungen dieser Saison habe ich dieses Werk als einzigen Glückstreffer der momentanen Strindbergmanie empfunden."