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Strittige Schuldfrage

Das Massaker von Srebrenica gilt als das schlimmste in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch die Anerkennung dieser Tatsache verläuft in Serbien schleppend. Nun will Präsident Boris Tadic eine Resolution verabschieden, die das Massaker als Kriegsverbrechen verurteilt - doch er stößt dabei auf Gegenwind.

Von Simone Böcker | 01.02.2010
    "Mit dieser Resolution zeigt Serbien seine moralische Haltung gegenüber den schrecklichen Verbrechen, die in Srebrenica geschehen sind. Gleichzeitig gewinnt Serbien auch international Glaubwürdigkeit."

    So Präsident Boris Tadić über die geplante Resolution zur Verurteilung der Kriegsverbrechen in Srebrenica. Doch sein Vorhaben ist stark umstritten. Zwar herrscht im serbischen Parlament grundsätzlich Einverständnis darüber, dass Kriegsverbrechen verurteilt werden müssen. Doch wehren sich die meisten Parteien gegen ein einseitiges Zugeständnis von serbischer Seite. Insbesondere für die rechtsnationale Radikale Partei SRS ist eine solche Resolution inakzeptabel, wie Slobodan Antonic, rechtskonservativer Kommentator und Politologe, sagt:

    "Wenn wir über Srebrenica reden, dann müssen wir auch darüber reden, was den Serben in Kravica passiert ist oder in Sarajevo. Es wird immer vergessen, dass auch 6000 Serben in Sarajevo getötet wurden. Man kann keine Resolution nur für einen Ort verabschieden, man muss dann über alle Verbrechen in der Region sprechen."

    Die Debatte spiegelt die öffentliche Meinung in Serbien wieder: Ein großer Teil der Bevölkerung ist gegen diese Form von einseitigem Schuldeingeständnis. Auf einem Markt in Belgrad steht Sascha Drajkovic hinter seinem Obststand:

    "Wir wissen, dass in Srebrenica ein Verbrechen geschehen ist. Aber es ist passiert, weil vorher Muslime unter der Führung von Naser Oric viele Serben in den umliegenden Dörfern getötet haben. Und dieser Naser Oric wurde vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag freigesprochen. Das ist eine Schande."

    Sascha selbst kommt aus dem Kosovo, er musste fliehen, wie Hunderttausende andere Serben aus den ehemaligen Teilen Jugoslawiens. Die geplante Resolution zu Srebrenica wäre in seinen Augen ungerecht. Zoran Radic, ein 35-jähriger Passant, widerspricht:

    "Ich bin ganz entschieden für die Resolution. Aber ich sehe schon auch, dass die meisten Menschen dagegen sind. Das ist ein posttraumatisches Syndrom, glaube ich. Es ist sehr schwierig, mit diesen Dingen umzugehen. Und die Leute sind generell nicht gut informiert."

    Unwissenheit ist auch für Bogdan Ivanisevic, Experte bei der Menschenrechtsorganisation International Center for Transitional Justice, ein großes Problem in der serbischen Gesellschaft:

    "Laut Umfragen herrscht ein absolutes Unwissen über brutale Verbrechen gegen Nichtserben. Und wenn Menschen von Verbrechen gehört haben, dann glauben sie nicht daran, dass sie wirklich geschehen sind. Das zeigt, dass sich die Serben fast zwei Jahrzehnte nach dem Krieg noch immer unglaublich weigern, zu akzeptieren, was serbische Truppen getan haben."

    Zwar beschäftigt sich am Belgrader Bezirksgericht eine eigene Kammer mit der Verfolgung von Kriegsverbrechen. Doch nur etwa drei Fälle pro Jahr werden verhandelt, für mehr fehlt es an Mitteln. Der Menschenrechtsexperte Bogdan Ivanisevic sieht darin ein Zeichen, dass die Kriegsaufarbeitung für die Politik offenbar keine Priorität ist. Ohnehin dringe kaum etwas aus dem Gerichtssaal an die Außenwelt, um das öffentliche Bild über den Krieg zu beeinflussen:

    "Es ist nicht möglich, Geschichten von Opfern serbischer Gewalt zu hören. Von Kosovo-Albanern zum Beispiel oder bosnischen Muslimen oder Kroaten, das passiert nicht. Niemand will darüber berichten. Medien sind nicht interessiert, weil sich das nicht verkauft. Sie machen es auch deswegen nicht, weil es als anti-serbische Kampagne verstanden werden könnte."

    Damit die umstrittene Resolution über die serbischen Verbrechen in Srebrenica doch noch gelingt, scheint es nun nur einen Weg zu geben: die Verabschiedung einer zweiten Resolution, die allgemein alle begangenen Kriegsverbrechen verurteilt - also auch die gegen Serben. Dieser Plan stößt jedoch bei serbischen Menschenrechtsorganisationen auf massive Kritik. Ivan Stojanovic von der Jugendinitiative für Menschenrechte:

    "Was für eine Botschaft senden wir mit dieser zweiten Resolution? Damit relativieren wir den Genozid von Srebrenica doch wieder. Wir befürchten generell, dass es der Politik nicht in erster Linie um die moralische Verpflichtung geht. Die Botschaft der Politiker lautet: Wir müssen das tun, wenn wir der EU beitreten wollen. Mit diesen Diskussionen über die Resolution haben wir schon das falsche Signal gesendet, und die guten Absichten sind bereits zerstört."