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Ströbele: Die große Liebe zur Nation kann ich bei mir nicht entdecken

Dem Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele verursacht die Betonung nationaler Symbole ein "unwohles Gefühl in der Magengegend". Das gehe ihm nicht nur in Deutschland so, auch in den USA oder Frankreich entwickele er ähnliche Gefühle. Ihm liege daran, das im Ausland existierende Bild der sympathischen und friedliebenden Deutschen noch mehr zu pflegen. Die deutschen Militäreinsätze sehe er aus diesem Grund kritisch, betonte Ströbele.

Hans-Christian Ströbele im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Spengler: Normalerweise sind Völker stolz auf ihre Symbole, auf Nationalhymne oder Flagge - normalerweise. Doch die deutsche Geschichte mit millionenfachem Mord während der Nazi-Herrschaft ist eben nicht normal. In den 60er, 70er und 80er Jahren waren patriotische Bekundungen nicht nur bei den westdeutschen Linken, sondern bei einem Großteil der deutschen Öffentlichkeit verpönt. Bundespräsident Gustav Heinemann antwortete auf die Frage, ob er Deutschland liebe, "ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau". Eine erste patriotische Welle durchflutete Deutschland dann 1989 beim Fall der Mauer.

    Endgültigen Durchbruch brachte die Fußballweltmeisterschaft vor zwei Jahren. Das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer in Städten und Stadien war unübersehbar. Deutschland findet zu einem gesunden Nationalbewusstsein, hieß es im In- und Ausland.

    Man darf also wieder Flagge zeigen. So heißt auch eine Ausstellung, die heute vom Bundespräsidenten in Bonn eröffnet wird: "Die Deutschen und ihre Nationalsymbole".

    Heutzutage findet man wie gesagt anders als in den 60er und 70er Jahren nur wenige Mitbürger, die Probleme mit den Nationalsymbolen haben. Ein Exemplar dieser seltenen Spezies ist jetzt in Berlin im Deutschlandfunk-Studio: Hans-Christian Ströbele, der Bundestagsabgeordnete der Grünen. Guten Tag, Herr Ströbele.

    Ströbele: Ja, guten Tag.

    Spengler: "Flagge zeigen". Besitzen Sie überhaupt eine, einen Wimpel oder irgendetwas anderes schwarz-rot-goldenes?

    Ströbele: Nein, eigentlich nicht, aber ich habe mir bei der letzten Fußballeuropameisterschaft in Kreuzberg ein Fähnchen geben lassen, auf dem auf der einen Seite die türkische Flagge ist und auf der anderen Seite die deutschen Farben. Das ist ganz nett.

    Spengler: Warum keine ganz deutsche Fahne? Warum zeigen Sie keine Flagge?

    Ströbele: Natürlich sehe ich das. Am Deutschen Bundestag, am Reichstagsgebäude wehen jeden Tag immer neu die Flaggen und da kann man auch sehen, ob nun Volkstrauertag ist oder so etwas, aber da habe ich eigentlich auch nichts dagegen. Aber als das während der Fußballweltmeisterschaft überall und in Massen, an Autos, in Gärten und an Balkonen und überall zu sehen war, habe ich mich doch etwas unwohl gefühlt.

    Spengler: Warum?

    Ströbele: Das nationale Raushängen passte nicht. Da hatte ich ein unwohles Gefühl in der Magengegend.

    Spengler: Können Sie das genauer beschreiben? Warum unwohl?

    Ströbele: Weil das doch ein bisschen erinnert an nationale Überbetonung, an nationalistische Tendenzen. Ich mag das übrigens auch nicht, wenn ich das in anderen Ländern sehe, beispielsweise in den USA, in denen ja in vielen Vorgärten solche Fahnen zu sehen sind, aber natürlich US-Fahnen.

    Spengler: Das stört Sie dann also auch, wenn ich sage jetzt mal andere als die Amerikaner, die Briten oder die Franzosen ihre Fahne schwenken?

    Ströbele: Ja. Da fehlt mir so ein bisschen das Verständnis. Auch wenn die Briten "God save the Queen" im Kino singen oder bei allen möglichen Gelegenheiten und dann aufstehen, das kann ich nicht richtig mitfühlen.

    Spengler: Sind Sie ein heimatloser Geselle, Herr Ströbele?

    Ströbele: Nein, das bin ich überhaupt nicht. Aber so die große Liebe zur Nation, die kann ich bei mir eigentlich nicht entdecken.

    Spengler: Braucht der Mensch nicht das Gefühl, zu einer größeren Gemeinschaft, einem Volk, vielleicht einer Nation zu gehören und die dann auch möglichst viele positive Eigenschaften haben sollte?

    Ströbele: Ja, natürlich. Das wünschen wir uns. Und natürlich freue ich mich, wenn ich von Reisen, längeren Reisen nach Deutschland zurückkomme oder auch länger mal weg bin und dann an Berlin, an Deutschland, an Heimat, Berge, Seen denke. Dann wäre ich gerne da und da verbinde ich natürlich auch Emotionen, erhebliche Emotionen mit. Aber das ist jetzt nicht auf ein Staatengebilde konzentriert, sondern das ist eben auf Landschaften, Städte, Menschen vor allen Dingen konzentriert und das muss, glaube ich, auch nicht so was Abstraktes wie ein Staat sein, zumal ich natürlich wie die meisten weiß, dass Staaten ja auch häufig sehr künstliche Gebilde sind.

    Spengler: Dass Sie da so vorsichtig sind, das liegt natürlich - so vermute ich jedenfalls - an den Nazi-Jahren. In den 60er Jahren lagen diese Jahre der Nazis ja noch nicht so lange zurück. Da war das wohl klar, dass man an die Zeit des irrational gesteigerten Nationalismus nicht erinnert werden wollte, beziehungsweise da war die Vorsicht verständlich. Aber gilt das heute noch? Haben wir uns nicht geändert?

    Ströbele: Ja, natürlich. Ich sehe, dass die gerade jungen Leute - das hat man bei der Fußballweltmeisterschaft oder bei der Europameisterschaft gesehen - mit Flaggen, Fahnen, Farben, also den Deutschlandfarben, ganz anders umgehen als ich zum Beispiel und viele Ältere.

    Spengler: Aber Sie beneiden sie nicht darum?

    Ströbele: Viel unkomplizierter. Und natürlich sehe ich auch den Bruch. Wenn die sich das in die Haare schmieren oder ins Gesicht, dann sehe ich das durchaus und denke na ja, dann kann es ja so schlimm nicht sein. Aber es ist nicht meine Sache. Die deutschen Farben erkenne ich natürlich überall wieder, auch wenn sie manchmal in der Mode oder sonst wo auftauchen, aber als Flagge, als Fahne würde ich mich damit nicht schmücken wollen. Ich würde sie nicht vor meinem Haus hissen wollen und ich mache sie mir auch nicht an mein Fahrrad.

    Spengler: Dieses negative böse Bild, das die Deutschen lange hatten, das gibt es ja kaum noch. Jedenfalls viele Umfragen im Ausland belegen, dass Deutschland ausgesprochen gut und sympathisch und friedfertig abschneidet. Macht Sie das eigentlich ein bisschen stolz?

    Ströbele: Ja. Ich möchte das auch viel mehr pflegen. Wenn immer wieder gesagt wird, gerade hier so in Debatten im Deutschen Bundestag, wir können uns doch Militäreinsätzen, auch Kriegseinsätzen im Ausland nicht verweigern, wir sind in der NATO, wir sind in der Völkergemeinschaft, wir sind in der Atlantischen Union und ähnlichen Dingen, dann sage ich immer, das war eigentlich so, wie ich mir es gewünscht habe, dass Deutschland eine Sonderrolle gespielt hat, aber eine besonders friedliche, dass gesagt wird, mit denen kann man keine Militäreinsätze und mit denen kann man keinen Krieg führen. Das ehrt doch ein Volk, wenn das einen solchen Ruf hat.

    Spengler: Und wir haben diese Ehre und dieses Vertrauen verdient?

    Ströbele: Nur zum Teil natürlich. Aus dem Ausland sieht das dann anders aus, als es in Wahrheit in Deutschland ist. Natürlich ist es nicht so verankert, wie das viele denken. Ich erinnere mich aber noch an die Zeit - das war die Regierung Kohl -, wo wahrscheinlich die Bundesregierung ganz gerne mal - auch beim ersten Golf-Krieg oder so - sich beteiligt hätte, sich da nicht rausgeschlichen hätte, aber wo auch Helmut Kohl den ausländischen Staatsmännern klar machen konnte, in Deutschland kommt das nicht so gut an, ich habe meine Probleme und ich würde das wahrscheinlich politisch in meinem Land nicht durchsetzen können, uns jetzt mit Militär daran zu beteiligen. Er hat dann so eine Scheckbuch-Diplomatie betrieben. Das kann man auch kritisieren, aber das hat eigentlich gezeigt, dass da in Deutschland auch was da ist, was ich positiv sehe.

    Spengler: Herr Ströbele, die Sprache der Bundesrepublik ist Deutsch. Diesen Satz sähe die Union gerne im Grundgesetz in Artikel 22. Sie auch?

    Ströbele: Nein! Das wäre eine schriftliche Lüge, weil die Bundesrepublik spricht ja nicht. Zu mir hat sie noch nie gesprochen, weder in Deutsch, noch in Türkisch, noch in Englisch, sondern wenn, dann sprechen da Menschen. Und wenn Sie das jetzt dann umformulieren und sagen, in der Bundesrepublik wird Deutsch gesprochen, dann wäre das ja auch nicht wahr, sondern da wird vieles gesprochen, werden viele Sprachen in Deutschland gesprochen, und das ist auch gut so.

    Spengler: Es geht aber doch mehr um die Symbolik und die Franzosen haben ihre Sprache sogar in Artikel 2 ihrer Verfassung verankert.

    Ströbele: In der jetzigen Situation würde ich das auch aus politischen Gründen nicht für richtig halten, weil das auch was Ausschließendes zum Inhalt hat. Ich kann keine andere Sprache richtig sprechen und verstehen. Das heißt, ich spreche Deutsch und eigentlich nur Deutsch, mit ganz wenigen kleinen Ausnahmen. Trotzdem wäre ich dagegen, dass das so ins Grundgesetz rein kommt, weil das in der Diskussion, die wir in Deutschland haben - - Ich habe da ja mal auch die These gewagt, dass man auch die deutsche Nationalhymne auch auf Türkisch singen kann, wer das unbedingt will, und es gibt ja sogar den Text, rausgegeben vom Deutschen Bundestag, mit Melodie. Das will ich auch in Zukunft nicht haben, sondern ich möchte so etwas auch in Zukunft pflegen und ich fände das ein falsches Signal, wenn man in der jetzigen Situation das ins Grundgesetz reinschreibt - ganz abgesehen von formalen Bedenken, dass man sagt, es muss nicht alles ins Grundgesetz aufgenommen werden, auch der Sport beispielsweise nicht.

    Spengler: Hans-Christian Ströbele, Abgeordneter der Grünen. Danke für das Gespräch, das wir vor unserer Sendung aufgezeichnet haben.


    Hinweis:

    Die Ausstellung Flagge zeigen? Die Deutschen und ihre Nationalsymbole läuift im Haus der Geschichte in Bonn vom 5. Dezember 2008 – 13. April 2009

    Dienstag - Sonntag: 9:00 - 19:00 Uhr
    Der Eintritt ist frei