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"Strom darf kein Luxusgut werden"

Peter Altmaier fordert einen fairen Wettbewerb im Solarenergiebereich. Es müsse geprüft werden, ob sich chinesische und andere Konkurrenten an Wettbewerbsregeln halten, sagt der Bundesumweltminister.

Peter Altmaier im Gespräch mit Christel Blanke | 17.06.2012
    Christel Blanke: Herr Minister, für Ihren Vorgänger Norbert Röttgen war sein erster großer internationaler Klimagipfel eine kalte Dusche. Er ist mit sehr großen Erwartungen damals nach Kopenhagen gereist und ist ziemlich ernüchtert wieder zurückgekommen. Mit welcher Haltung reisen Sie nun nach Rio?

    Peter Altmaier: Beim Gipfel in Kopenhagen war es so, dass die Europäische Union insgesamt mit sehr hohen Erwartungen nach Kopenhagen gefahren ist und umso größer war anschließend die Enttäuschung. Man muss verstehen, dass solche internationalen Gipfelereignisse ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten haben, dass die Europäer zwar für bestimmte Ziele eintreten können, aber dass wir es mit sehr, sehr vielen Partnern zu tun haben, die unterschiedliche Interessen verfolgen. Deshalb ist für mich klar: Wir dürfen die Erwartungen für Rio nicht zu hoch hängen, aber es muss schon deutlich werden, dass wir als Europäer für substanzielle Fortschritte im internationalen Umweltschutz, in der Nachhaltigkeit eintreten, dass wir jede Chance nutzen, dafür Unterstützung zu gewinnen. Wir haben eine Situation, wo der Raubbau an natürlichen Ressourcen, auch durch das Bevölkerungswachstum, das Wirtschaftswachstum insbesondere in Asien ungebremst weitergeht. Und deshalb müssen wir darüber diskutieren, wie man Wohlstand und Wachstum auch in diesen Ländern auf eine nachhaltige Weise organisieren kann.

    Blanke: Eines der großen Stichworte für diese Nachhaltigkeitskonferenz ist "Green Economy". Was kann oder was muss denn Politik tun, damit Unternehmen tatsächlich in eine solche Richtung umsteuern?

    Altmaier: Dieses Schlagwort von der grünen Wirtschaft bedeutet ja nichts anderes, als dass man den Übergang schafft von einer Wirtschaft, die auf die Ausbeutung von Rohstoffen, von Energie, von Luft und Wasser setzt - hin zu einer Wirtschaft, die nachhaltig ist, die diese Rohstoffe schont, die die Umwelt schont. Das haben wir in Deutschland in den letzten 30 Jahren geschafft, in den meisten europäischen Ländern auch. Wir haben dabei gezeigt, dass man umweltpolitisch verantwortliches Handeln sehr wohl mit Wirtschaftswachstum in Übereinstimmung bringen kann. Und es geht jetzt darum, diese Konzepte auch weltweit stärker vorzustellen und umzusetzen. Wir haben deshalb als Europäer uns entschieden, dass wir mit einem klaren Angebot nach Rio gehen. Wir bieten vor allen Dingen Entwicklungs- und Schwellenländern an, dass es maßgeschneiderte Beratungskonzepte, also nachhaltige Entwicklungsschemata gibt, wo für jedes einzelne Land untersucht wird: was muss geschehen, um einen Beitrag zu einer größeren Nachhaltigkeit zu liefern. Das ist eine der europäischen Initiativen, von der wir überzeugt sind, dass sie in die richtige Richtung geht.

    Blanke: Nun können aber ja gerade Entwicklungs- und Schwellenländer auch sagen: "Ihr Industrieländer habt Jahrzehnte lang Euer Wachstum betrieben, damit es Euch gut geht. Wir wollen jetzt auch wachsten". Das ist ja deren gutes Recht. Also, worum geht es. Sollen diese Entwicklungsländer, diese Schwellenländer eben nicht wachsen dürfen?

    Altmaier: Doch, es ist so, dass die dramatisch wachsende Bevölkerung, dass diese Menschen alle ihren Anteil wollen an Wohlstand, an Lebensstandard, auch an Konsum. Das können wir auch nicht verwehren. Aber wir müssen aufklärend darauf hinweisen, dass ein Wachstum, das unter Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen stattfindet, letzten Endes sich selbst ad absurdum führt und direkt in die ökologische Katastrophe steuert. Und deshalb muss klar werden, dass Wachstum auch erreicht werden kann mit nachhaltigen Prinzipien. Wir haben zum Beispiel in Deutschland in den letzten Jahren den Ressourcenverbrauch sehr stark entkoppelt vom Wirtschaftswachstum. Das heißt, wir haben eine wachsende Wirtschaft, obwohl wir weniger Bodenschätze, obwohl wir im Vergleich zur selben Produktion weniger Energie einsetzen als vor zehn oder vor zwanzig Jahren. Und wir glauben, dass das nicht eben nur für Deutschland oder für die Niederlande oder für Frankreich möglich ist. Wir glauben, dass dies auch im weltweiten Maßstab ein Erfolgsmodell werden kann.

    Blanke: Es gibt aber durchaus auch Projekte, wo wir hier versuchen, mehr Umweltverträglichkeit zu erreichen, die in den Entwicklungsländern oder Schwellenländern genau das Gegenteil erreichen. Ich denke zum Beispiel an Biosprit, wo in Ländern wie Brasilien dann dafür, dass wir hier Biosprit verbrauchen können, Regenwald abgeholzt wird. Das ist doch kontraproduktiv.

    Altmaier: Deshalb liegt mir sehr daran, dass wir im Umweltschutz auch stärker zu einer internationalen und globalen Betrachtungsweise der Folgen menschlichen Handels kommen. Das heißt, wir müssen die internationale Zusammenarbeit verstärken. Das ist der Grund, warum ich mich in Rio dafür einsetze, dass die Umweltschutzorganisation der Vereinten Nationen UNEP [Anm. der Redaktion: United Nations Environment Programme] aufgewertet wird. Sie wissen, dort war Klaus Töpfer vor vielen Jahren erfolgreich Direktor. Diese Institution hat zu wenige Möglichkeiten, sie ist nicht ausreichend organisiert. Der zweite Punkt ist, dass wir einen Hochkommissar für nachhaltige Entwicklung schaffen wollen, der dann auch die Möglichkeit hat, auf solche grenzüberschreitenden Wirkungsketten hinzuweisen und eine Debatte zu führen. Und das Dritte, was mir persönlich sehr am Herzen liegt: Ich glaube, dass wir die Diskussion über internationalen Umweltschutz, über Nachhaltigkeit nicht nur zwischen Regierungsvertretern in Regierungskonferenzen führen dürfen. Ich glaube, dass es eine Debatte sein muss, die die Weltöffentlichkeit interessieren muss. Und deshalb wünsche ich mir, dass in der Deutschen Welle, aber auch bei CNN und BBC, bei Al Dschasira und anderen internationalen Rundfunk- und Fernsehprogrammen sehr viel mehr über Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen diskutiert wird. Ich glaube, dass es mehr gibt als nur bewaffnete Konflikte, die es interessant machen, darüber international zu diskutieren. Und ich werde mich dafür einsetzen, dass wir von deutscher Seite den Dialog auch mit den internationalen NGOs führen und dafür werben, dass bestimmte Themen wieder stärker öffentlich diskutiert werden.

    Blanke: Sie haben gesagt, Sie wollen den Schwellen- und Entwicklungsländern mit Blick auf Green Economy Angebote, maßgeschneiderte Angebote, machen. Sie wollen auch zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie für dieses Projekt Green Economy werben in Rio. Es gibt Entwicklungsländer, die sagen: Ach, den Industriestaaten geht es doch nur darum, die wollen ihre grüne Technologie bei uns verkaufen.

    Altmaier: Das wollen wir natürlich auch. Wir haben festgestellt, dass Deutschland auf dem sehr schnell wachsenden Markt der grünen Technologie international besonders erfolgreich ist. Wir haben dort mit die höchsten Wachstumsraten. Das sehe ich persönlich nicht als bedenklich oder gar unmoralisch an, sondern es leistet ja einen Beitrag dazu, dass wir weltweit den Gedanken des Umweltschutzes stärker Beachtung finden. Und unsere Botschaft an diese Länder ist, dass die selber, wenn sie sich mit diesen grünen Technologien stärker auseinandersetzen, damit auch für ihre Länder Wachstumschancen erschließen können. Wir sind bereit, dabei zu helfen. Wir glauben aber, dass dies nicht in erster Linie durch immer neue Subventionen und Hilfen zu geschehen hat, sondern dadurch, dass man marktwirtschaftliche Strukturen kräftigt und ertüchtigt. Weil wir glauben, dass der Markt am ehesten imstande ist, dann auch solche Nachhaltigkeitsziele umzusetzen und zu berücksichtigen. Wir haben das in Deutschland erlebt, wo diese grünen Technologien in den letzten 30 Jahren einen enormen Aufschwung genommen haben. Ich glaube, solche Entwicklungen kann man auch in anderen Ländern anregen.

    Blanke: Welches Gewicht hat denn Ihrer Einschätzung nach Deutschland überhaupt in diesen Verhandlungen, wo eigentlich die großen Spieler Länder wie Brasilien, China, die USA sind?

    Altmaier: Deutschland verfügt international über eine hohe Glaubwürdigkeit. Das hat man gesehen beispielsweise auch in den letzen Klimaverhandlungen, wo es uns gelungen ist, gemeinsam mit einer Gruppe sehr fortschrittlicher Entwicklungsländer bestimmte Positionen durchzusetzen. Deutschland wird im Augenblick auch mit viel Interesse beobachtet, weil wir uns die Energiewende vorgenommen haben. Diese Energiewende fasziniert viele Menschen außerhalb von Deutschland. Das Wort "Energiewende" ist inzwischen als Fremdwort im Englischen und Französischen fest verankert. Und die Menschen fragen uns, wie wir denn dieses Projekt umsetzen, sie wollen wissen, wie der Entwicklungsstand ist. Und ich glaube, wenn es uns gelingt, in Deutschland nicht nur den Ausstieg aus der Kernenergie zu schaffen, sondern darüber hinaus auch den Einstieg in eine Stromerzeugung, die am Ende völlig aus erneuerbaren Energien beruht im Jahr 2050, dann wird das international sehr viele Nachahmer finden. Und das wäre natürlich ein sehr deutlicher Beitrag, um das ökologische Gleichgewicht zu stabilisieren.

    Blanke: Herr Altmaier, Sie haben das Stichwort gerade selbst genannt. Wenn Sie zurückkommen aus Rio wartet sie auf Sie, die Energiewende. Dann müssen Sie einen Kompromiss finden unter anderem mit den Ländern zum Thema "Solarförderung". Sie wollen ja die Fördersätze stark kürzen, damit die Kosten für die Stromkunden nicht zu stark steigen. Kritiker sagen aber, damit machen Sie den Markt kaputt. Sie selber sprechen von einem riesigen Zukunftsmarkt. Wollen Sie den dann anderen Ländern überlassen?

    Altmaier: Nein, wir müssen die Dinge, denke ich, auseinanderhalten. Zum einen: Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland viel getan, um eine leistungsfähige Solarwirtschaft aufzubauen. Das war eine kluge Entscheidung, weil der Solarmarkt weltweit zu dem am stärksten wachsenden Märkten gehört. Es gibt Länder, vor allen Dingen in der südlichen Hemisphäre, wo es sehr viel Sonnenschein gibt und dadurch auch die Möglichkeit heute schon, zu marktfähigen Preisen Energieversorgung dezentral und ökologisch sauber zu organisieren, flexibel dazu. Das bedeutet, dass wir hier einen Zukunftsmarkt haben, vergleichbar den Wachstumschancen in der IT-Branche vor einigen Jahren. Und deshalb muss Deutschland auf diesem Markt präsent sein. Die andere Frage ist aber, wie wir es erreichen, dass wir in Deutschland im Übergang zu den erneuerbaren Energien hinbekommen. Wir haben dafür das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das fördert die Errichtung von Windanlagen, die Errichtung von Solaranlagen, auch die Errichtung von Biomasseanlagen. Und das hat in der Vergangenheit so gut funktioniert, dass wir inzwischen bei der Solarenergie weit über unsere ursprünglichen Ausbauziele hinausgekommen sind. Es gibt inzwischen in Deutschland 24.000 Megawatt Solarenergie, die auf Dächern und auf Freiflächen installiert sind. Die können an einem sonnigen Tag wie über Pfingsten, wo der Stromverbrauch sich in Grenzen hält, dann schon fast den gesamten Stromverbrauch abdecken. Wir hatten einen Weltrekord am Freitag vor Pfingsten mit einer Produktion von über 20.000 Megawatt. Das zeigt, wie viel wir erreicht haben. Die Schattenseite . . .

    Blanke: . . . aber viele dieser Module kommen ja inzwischen aus China und nicht mehr aus deutscher Produktion. Gegen die billige chinesische Konkurrenz kann die deutsche Solarindustrie eigentlich gar nicht ankommen. Wo sehen Sie denn die deutsche Industrie in diesem Markt?

    Altmaier: Ich will zum einen fairen Wettbewerb. Deshalb muss auch geprüft werden, ob zum Beispiel die chinesischen und andere Konkurrenten sich an die Wettbewerbsregeln halten und keine unfairen Praktiken praktizieren. Zweitens glaube ich, dass die Zukunftschancen der deutschen Solarindustrie vor allem darin liegen, dass man nicht immer billiger wird, sondern dass man die intelligenteren und die zukunftsfähigeren Lösungen offeriert. Da geht es vor allen Dingen auch darum, dass man Solarenergie und Speichertechnologie intelligent verbindet. Hier werden wir Geld in die Forschung investieren. Hier werden wir auch die Errichtung von solchen kombinierten Anlagen unterstützen. Was wir nicht tun können, ist einen unkontrollierten Zubau von Fotovoltaikanlagen zu organisieren, weil das dazu führt, dass zum einen die Netzstabilität an vielen Orten bedroht wird, wenn nämlich der Solarstrom, der an sonnigen Tagen eingespeist wird, gar nicht weiter verbreitet werden kann, weil die Kapazitäten der Netze nicht ausreichen. Und im Übrigen ist es so, dass jede Kilowattstunde Solarstrom gefördert wird von allen Stromverbrauchern über eine Umlage auf den Strompreis. Und wir müssen insgesamt dafür sorgen, dass auch der Strompreis sich in sozial und politisch erträglichen Bahnen hält. Strom darf kein Luxusgut werden. Und deshalb müssen wir einen vernünftigen, sinnvollen Ausbaupfad für die Solarenergie festschreiben und dürfen nicht zulassen, dass diese Entwicklung außer Kontrolle gerät.

    Blanke: Ein Riesenproblem ist ja auch der Netzausbau. Dafür sind Sie nicht zuständig, sondern Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Der möchte nun aber mit der EU verhandeln, ob man nicht, um den Trassenausbau zu beschleunigen, eine Zeit lang Naturschutzvorgaben lockern könnte. Zum Beispiel denkt er dabei an die Vogelschutzrichtlinie. Da kommt doch bei einem Bundesumweltminister sicher Freude auf, oder?

    Altmaier: Also, ich glaube, dass wir zunächst einmal gemeinsam, Philipp Rösler und Peter Altmaier, die Aufgabe haben, die Energiewende zu einem Erfolg zu machen. Ich bin überzeugt, dass man die Energiewende zum Erfolg führen kann, ohne auf Umwelt- und Naturschutz zu verzichten. So habe ich Philipp Rösler auch nicht verstanden. Ich glaube, dass wir in den nächsten drei, vier Monaten uns anschauen müssen, welche Stellschrauben es gibt. Ich stelle mir vor, dass wir zu einem nationalen Konsens kommen können im Hinblick auf Ausbauziele, aber auch im Hinblick auf die Maßnahmen, die wir ergreifen müssen, um diese Ausbauziele zu erreichen. Da müssen Philipp Rösler und Peter Altmaier sehr eng zusammenarbeiten und wir beide sind entschlossen, das auch zu tun.

    Blanke: Nun wollen wir ja nicht nur umstellen auf erneuerbaren Strom, sondern wir wollen auch möglichst viel Strom einsparen. Stichwort Energieeffizienz, Energieeinsparung. In dieser Woche hat die EU sich nun endlich auf eine Energieeffizienzrichtlinie verständigt. Das ursprüngliche Einsparziel sollte sein 20 Prozent bis 2020. Das wird aber nun mit diesem Kompromiss nicht erreicht. Schuld daran ist auch Deutschland, weil Philipp Rösler und Ihr Vorgänger Norbert Röttgen lange Zeit sich nicht verständigen konnten. Philipp Rösler war immer gegen diese Richtlinie, Norbert Röttgen dafür. Nun hat es also doch einen Kompromiss gegeben. Wieso sperrt sich Deutschland gegen konkrete Vorgaben bei der Energieeffizienz? Das wäre doch ein sinnvoller Ansatz.

    Altmaier: Ich will darauf hinweisen, dass Deutschland der Energieeffizienzrichtlinie im Ministerrat am Freitag zugestimmt hat. Dafür haben wir sehr hart gearbeitet. Wir hatten uns davor viele Monate enthalten müssen, weil es unterschiedliche Auffassungen zwischen den Beteiligten Ressorts gegeben hat. Jetzt war Deutschland auf der Seite derer, die für eine gute Lösung gekämpft haben. Das ist vielleicht noch nicht der Endpunkt der Entwicklung. Im Übrigen glaube ich, dass Energie- und Stromeffizienz eines der ganz großen Themen ist. Und unabhängig davon, wie weit die Richtlinie geht, werden wir sehr viel Mühe und Sorgfalt darauf verwenden müssen, weniger Strom zu verbrauchen, ohne die Lebensqualität einzuschränken. Es gibt in der Industrie, wo 45 Prozent des Stroms verbraucht werden, große Einsparpotenziale. Die Deutsche Bahn hat etwa in den letzten Wochen und Monaten Hervorragendes erreicht, indem sie bis zu zehn Prozent Strom eingespart hat. Das ist auch in privaten Haushalten, das ist auch anderswo möglich, und wir werden uns diesem Thema vom Bundesumweltministerium aus, aber auch gemeinsam mit den Sozialverbänden und den Verbraucherschutzverbänden in den nächsten Wochen und Monaten widmen. Ich glaube, dass wir hier viel erreichen können.

    Blanke: Sind Sie denn zuversichtlich, dass die Industrie von sich aus Strom sparen wird?

    Altmaier: Wir erleben inzwischen in der Industrie einen Umdenkprozess. Immer mehr Vertreter der Wirtschaft und der Industrie realisieren, dass es den vermeintlichen Gegensatz zwischen Wirtschaft und Umweltpolitik gar nicht gibt. Immer mehr Vorstandsvorsitzende und Vorstandsmitglieder von großen Konzernen sind Menschen, die selber in ihrem persönlichen Verhalten großen Wert auf Umweltschutz legen. Da ist einiges im Fluss. Deshalb haben wir auch mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie gemeinsam vor dem Rio-Gipfel ein Memorandum zur grünen Wirtschaft vorgelegt. Deshalb sind wir in Gesprächen mit anderen Wirtschaftsverbänden um etwa eine Mittelstandsinitiative zur Energieeinsparung zu gründen. Und ich glaube, dass wir die großen Herausforderungen nur dann bewältigen, wenn Wirtschaft und Umweltpolitik an einem Strang ziehen, wenn wir uns gemeinsam darauf verständigen, welche Umweltziele wir in den nächsten Jahren erreichen werden.

    Blanke: Es gibt noch eine weitere Großbaustelle, um die Sie sich kümmern müssen, in einem Fall im wahrsten Sinne des Wortes. Stichwort Endlagerung von radioaktivem Müll. Sie haben die Asse besucht und versprochen, sich für ein eigenes Gesetz zur Rückholung der rund 126.000 Fässer aus diesem maroden Bergwerk einzusetzen. Wie stehen denn die Chancen für ein solches Gesetz? Bisher war die Union im Bund eher zurückhaltend.

    Altmaier: Das war ja der Grund, warum ich mich bei meinem Besuch in der Asse so deutlich positioniert habe. Ich halte die Asse für eine klaffende Wunde in der Natur. Wenn man sieht, wie in den 60er-und 70er-Jahren dort radioaktive Abfälle unverantwortlich eingelagert worden sind, wie mit der Natur umgegangen worden ist, dann haben wir gemeinsam eine Verantwortung, diese Schäden zu beseitigen und sie nicht künftigen Generationen zu überlassen. Wir alle wissen, dass das ein sehr langwieriger, auch ein teurer und ein schwieriger Prozess ist. Aber gerade deshalb kam es mir darauf an, mit den Menschen vor Ort darüber zu reden, ihnen anzubieten, dass wir alles tun, was dazu beitragen kann, diese Arbeiten zu beschleunigen ohne die Sicherheit zu gefährden. Und deshalb habe ich angekündigt, wir wollen ein solches Gesetz, was Planungs- und Genehmigungszeiten verkürzt, was dafür sorgt, dass wir vielleicht Zeit gewinnen können, das will ich im Deutschen Bundestag bis Ostern nächsten Jahres verabschieden. Es ist allerdings so, dass damit das Problem noch nicht gelöst ist. Wir werden viele, viele Jahre brauchen, um eine befriedigende Lösung zu erreichen. Gerade deshalb ist es mir wichtig, dass wir dies im parteiübergreifenden Konsens tun, damit die Ziele und Beschlüsse nicht alle vier Jahre im Wahlkampf infrage gestellt werden. Und insofern war ich sehr froh, dass mich Sigmar Gabriel, der nicht nur SPD-Vorsitzender, sondern auch örtlicher Bundestagsabgeordneter ist, bei meinem Besuch in der Asse begleitet hat. Das war ein gemeinsames Signal an die Menschen vor Ort. Wir wollen dieses Thema nicht im parteipolitischen Streit lösen, sondern wir sind dafür, dass wir gemeinsam die Prinzipien definieren, die uns dann in den nächsten Jahren bei unserer Arbeit leiten werden.

    Blanke: Das zweite Gesetz, das noch viel schneller stehen soll, ist das für die Standortauswahl für ein Endlager für hoch radioaktiven Müll. Bis zur Sommerpause soll da ein Kompromiss stehen, heißt es ja immer. Die Gretchenfrage in diesem Fall heißt: Wie hältst du es mit Gorleben? Also wie ist es mit Ihnen? Gorleben - ein Teil dieses Suchprozesses oder nicht?

    Altmaier: Wir haben ja eine vierzigjährige, sehr ideologische Debatte über den Umgang mit Kernkraft gerade erst abgeschlossen durch den Ausstiegsbeschluss. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt die Altlasten zufriedenstellend lösen. Ich glaube, dass wir uns daran orientieren sollten, dass wir bei der Endlagersuche ergebnisoffen vorgehen. Das ist ein ganz wichtiges Prinzip. Im Übrigen bitte ich herzlich um Verständnis, dass wir uns mitten in Gesprächen befinden mit den anderen Parteien und Fraktionen. Ich hoffe sehr, dass wir diese Gespräche noch vor der Sommerpause abschließen können, weil ich glaube, dass ein solcher, von allen getragener Gesetzentwurf auch ein wichtiges Zeichen an die Betroffenen wäre. Es ist klar, dass es Jahre dauern wird, bis die Endlagersuche dann zu einem vernünftigen Ergebnis geführt wird und wir sollten im Hinblick auf Gorleben akzeptieren, dass es nicht von vorneherein ausgeschlossen werden kann. Aber wir wollen auch deutlich machen, dass wir andere Standorte mit der gleichen Seriosität und der gleichen Ernsthaftigkeit untersuchen.

    Blanke: Muss sich denn Gorleben den gleichen Kriterien stellen wie mögliche andere Standorte?

    Altmaier: Ich bitte noch einmal um Verständnis, dass wir das Ergebnis von Gesprächen nicht vorwegnehmen können. Wir haben lange über dieses Thema Gorleben parteipolitisch gestritten. Das hat den Menschen vor Ort wenig gebracht. Und deshalb sage ich, mir liegt daran, dass wir ein Gesetz auf den Weg bringen, das von den 16 Bundesländern, auch von Niedersachsen, das von den Parteien im Deutschen Bundestag, SPD, Grüne, FDP, CDU und CSU mitgetragen werden kann. Und in diesem Gesetz werden wir alle entsprechenden Fragen lösen.

    Blanke: Sie sind jetzt noch nicht einmal vier Wochen im Amt, Herr Altmaier, aber man hat den Eindruck, Sie sind quasi überall. Man trifft Sie bei der Asse. Sie haben sie besucht. Ihr Vorgänger hat dazu zweieinhalb Jahre gebraucht, Sie keine Woche. Sie haben Gespräche angekündigt mit allen möglichen Protagonisten. Sie wollen mit den Ländern sprechen, mit Umweltverbänden, mit Wirtschaftsverbänden, mit Wirtschaftsvertretern. Es wird ja immer wieder ein eigener Minister für die Energiewende gefordert. Sind Sie dabei, sich zumindest als eine Art heimlicher Energieminister zu etablieren?

    Altmaier: Also zunächst einmal habe ich ganz bewusst dieses Amt begonnen mit sehr viel Herzblut, aber auch mit sehr viel Energie. Denn ich glaube, dass das Umweltthema völlig zu Unrecht in den letzten Jahren etwas aus dem Fokus der politischen Diskussion geraten ist, weil wir so sehr beschäftigt waren mit der Bankenkrise, mit der Staatsschulden- und der Eurokrise, mit wirtschaftspolitischen Themen. Das hat dem Thema Umwelt nicht gut getan und ich möchte dazu beitragen, dass die Umweltpolitik wieder ein zentrales Gebiet, ein zentrales Handlungsfeld der deutschen Politik wird, was sich auch in der öffentlichen Diskussion widerspiegelt. Der zweite Punkt ist, die Energiewende ist die große Herausforderung meiner Generation. Es ist ein partei- und generations-/gesellschaftsübergreifendes Innovationsprojekt, eine Aufgabe, die wir lösen können und lösen müssen, weil es auch um wichtige Interessen des Wirtschaftsstandortes Deutschland geht. Dem fühle ich mich verbunden. Ich mache das übrigens gemeinsam mit dem Kollegen Rösler. Ich habe vor einigen Tagen gesagt, wir haben regierungsamtlich beschlossen, uns zu mögen, weil es ganz wichtig ist, dass die beiden zuständigen Minister in der Regierung an einem Strang ziehen, und möglichst auch in die gleiche Richtung. Das haben wir in den letzten drei Wochen beherzigt und ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, in einer Reihe von strittigen Fragen in dieser Zeit Einigung herzustellen. Sie haben gesehen, dass wir gemeinsam der Energieeffizienzrichtlinie zugestimmt haben. Wir werden in den nächsten Wochen im Bundeskabinett wichtige Beschlüsse fassen, etwa zur Anbindung von Offshorewindparks. Das alles sind Themen, die gelöst werden müssen, damit dieses große Projekt ein Erfolg wird.

    Blanke: Also kein Dauerclinch mehr mit dem Wirtschaftsministerium?

    Altmaier: Nein, das würde niemand verstehen, und wir sind in unseren jeweiligen Positionen nicht, um unsere gegenseitigen Vorlieben oder Abneigungen zu kultivieren. Wir sind Minister und verantwortlich für bestimmte Politikbereiche, um gute Ergebnisse zu erreichen. Und die schaffen wir nur, wenn wir ein vertrauensvolles persönliches Verhältnis haben. Das ist zu Philipp Rösler der Fall. Und deshalb sehe ich dieser Zusammenarbeit mit großem Optimismus entgegen.

    Blanke: Herr Minister, vielen Dank für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.