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Strom wird "deutlich teurer"

Holger Krawinkel, Energieexperte beim Verbraucherzentrale Bundesverband, fordert als eine Maßnahme gegen den steigenden Strompreis eine Prüfung der Netznutzungsentgelte, die einen Teil der Kosten verursachen. Die Versorgungsicherheit durch die Stromnetze könne auch ohne deren Steigerung sichergestellt werden, so Krawinkel.

Holger Krawinkel im Gespräch mit Jule Reimer |
    Einspieler: Bundesumweltminister Norbert Röttgen:

    "Wir haben ja Forschungsinstitute beauftragt. Wenn man keine Laufzeitverlängerung macht, haben diese Forschungsinstitute das Energiewirtschaftliche Institut in Köln, durchaus energieversorgungsnah, und Prognos aus Basel gesagt, das wird so zwischen 0,1 und 0,8 Cent pro Kilowattstunde liegen. Das macht für einen normalen Haushalt, 3500 Kilowattstunden Verbrauch, vier Personen, so um die 35 pro Jahr aus."

    Jule Reimer: Das sagte Bundesumweltminister Norbert Röttgen vergangenen Juni im Interview mit dem Deutschlandfunk. Frage an Holger Krawinkel, Energieexperte beim Verbraucherzentralen Bundesverband (VZBV), in Berlin: Teilen Sie ein halbes Jahr nach dem Atomausstieg die Prognose über die kommenden Strompreise, also eine Zusatzbelastung um die 35 Euro für die Durchschnittsfamilie pro Jahr?

    Holger Krawinkel: Nein, so wie das jetzt aussieht, wird das deutlich teurer. Allerdings hat die Politik durchaus die Möglichkeit, die Energiewende im Kostenrahmen zu halten, nur werden diese Möglichkeiten nicht konsequent genutzt. Da gibt es viele Beispiele. Netzentgelte ist ein wichtiger Punkt, aber auch natürlich die Förderung der erneuerbaren Energien.

    Reimer: Ja. Sie selbst haben aber vor zwei Jahren noch eindringlich vor der Umlage für die Einspeisung der erneuerbaren Energien als Treiber bei den Strompreisen gewarnt. Mittlerweile sind die Einspeisevergütungen für Solarenergie radikal zusammengestrichen worden. Andererseits brauchen wir die erneuerbaren Energien für die Wende. Ist die Bundesregierung jetzt mit dem erneuerten EEG-Gesetz, ab 1. Januar gilt das, auf dem richtigen Weg?

    Krawinkel: Ja und nein. Es ist ja vor allem die Frage der Förderung für die Solarenergie. Natürlich ist hier deutlich gekürzt worden, auch aufgrund des Drucks, den wir mit verursacht haben.

    Reimer: Das ist richtig.

    Krawinkel: Aber es ist zu wenig abgesenkt worden, weil, eigentlich erfreulich, die Kosten dieser Solarmodule noch schneller gefallen sind, als die Einspeisevergütung runtergefahren wurde. Deswegen gibt es dort immer noch eine Überförderung. Und das ist natürlich ein Problem der Politik, dass sie letztendlich gezwungen ist, durch die rasante technologische Entwicklung hier ständig nachzusteuern. Deswegen haben wir auch vorgeschlagen, diesen Fördermechanismus eben nicht mehr im Parlament entscheiden zu lassen, sondern, wie bei Netzentgelten auch, es auf eine Behörde zu übertragen, die dann schneller reagieren könnte.

    Reimer: Stichwort Netzentgelte – für die Industrie, für Großverbraucher gibt es zahlreiche Ausnahmeregelungen, zum Beispiel bei den Netzentgelten, da sind Unternehmen befreit. Ist das ein notwendiger Kompromiss, der gemacht werden muss, um sozusagen das Wirtschaftswachstum zu sichern?

    Krawinkel: Ich kann die Wirtschaft zum Teil verstehen. Sie braucht natürlich konkurrenzfähige Strompreise. Allerdings muss auch hier zunächst einmal dafür gesorgt werden, dass die Netzentgelte nicht unnötig steigen. Da hat die Bundesregierung und auch die Bundesnetzagentur einige Fehler gemacht. Man hat die Anreizregulierung zu spät verlängert, da gab es ein gegenteiliges Gerichtsurteil, man hat die Eigenkapitalrenditen nicht stark genug abgesenkt, der Zinssatz ist ja deutlich gefallen. Und man hat keine Klarheit über den notwendigen Netzausbau. Da ist wahrscheinlich deutlich weniger notwendig zur Versorgungssicherheit, als bisher angenommen. Also, das führt alles dazu, dass die Netzentgelte eigentlich gar nicht steigen müssten, sondern im Gegenteil vielleicht sogar sinken könnten, wenn man das konsequent anpacken würde. Und dann gibt es auch keinen Grund für die Industrie, sich gesondert befreien zu lassen und die Mehrkosten dann auf die restlichen Verbraucher abzuwälzen.

    Reimer: Sie erwähnten den Netzausbau, in der Tat gibt es da ganz widersprüchliche Aussagen über das Ausmaß der Notwendigkeit. Warum kommen Sie zu dem Schluss, es sei eigentlich deutlich weniger notwendig?

    Krawinkel: Ja, es zeigen ja die verschiedenen Szenarien, dass ich eben ganz unterschiedliche Ausbauvarianten habe. Ich kann natürlich sehr viel Offshore-Windenergie, also in Nord- und Ostsee ausbauen, dazu noch sehr stark Windenergie in Norddeutschland. Ich könnte aber auch umgekehrt – und das deutet sich jetzt an – in Süddeutschland, also in Hessen, Bayern, Baden-Württemberg sehr viel mehr Windenergie an Land aufbauen, dann habe ich deutlich geringeren Transportbedarf und natürlich dann auch weniger Bedarf an neuen Leitungen. Ich denke, das müsste zunächst einmal geklärt werden, bevor jetzt die Diskussion über den maximalen Leitungsausbau dazu führt, dass viele Bürger eher abgeschreckt sind.

    Reimer: Sagen Sie uns dann bitte noch mal: Was sind die Energieformen, die aus Ihrer Sicht gesetzt werden sollten, gefördert?

    Krawinkel: Also ich denke, bei den erneuerbaren Energien ist ganz wichtig, dass wir die Potenziale für die Windenergie an Land ausschöpfen. Es gibt Studien, die zeigen, wir könnten mit Windenergie an Land 75 Prozent unseres Strombedarfs decken, wenn wir nur zwei Prozent der Landesfläche nutzen würden. Die Bundesländer selbst haben jetzt zusammengefasst vorgelegt ein Ausbauszenario, da nutzen sie 0,7 Prozent der Landfläche. Und immerhin 25 Prozent der Stromerzeugung wird dann möglich. Ich denke, das sollte der Kern sein. Und dann kann ein bisschen Offshore-Windenergie dazukommen. Bei Solarenergie, denke ich, wird die Wirtschaftlichkeit sich in den nächsten Jahren von selbst ergeben, da muss ich jetzt nicht mehr so viel fördern. Und bei Biomasse muss ich natürlich aufpassen, dass es keine Konkurrenz gibt zur Agrarversorgung, also zur normalen Nahrungsmittelproduktion, aber auch keine Konkurrenz zum Beispiel mit der Biospritproduktion.

    Reimer: Holger Krawinkel, Energieexperte beim Verbraucherzentralen Bundesverband (VZBV). Danke für das Gespräch!

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