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Stromlücke nur eine Schimäre?

Im März sorgte die Deutsche Energieagentur unter ihrem Leiter Stefan Kohler für Aufregung: Die Institution, deren Gesellschafter von der Bundesregierung bis zur Deutschen Bank reichen, verkündete für die Zukunft - genauer ab 2012 - eine beachtlich wachsende Stromlücke, falls die Atomkraftwerke nicht länger laufen und keine neuen Kohlekraftwerke in großem Stil gebaut würden.

Von Dieter Nürnberger |
    Die Umweltschutzorganisation Greenpeace sah sich durch die Studie der Deutschen Energieagentur (Dena) vom Frühjahr herausgefordert. Denn diese Studie wird wohl derzeit auch recht gern in Wahlkampfreden zitiert, unter anderem dann, wenn es darum gehe, beispielsweise längere Laufzeiten für Atomkraftwerke zu fordern. Die heute vorgestellte Gegenstudie wurde von der "EUtech Energie- und Management GmbH" in Aachen erstellt. Und im Zentrum der Argumentation stehen natürlich die von der Dena verwendeten Daten oder statistischen Annahmen, wonach eben bis 2020 möglicherweise eine Stromlücke in Deutschland zu erwarten sei. Diesen Dena-Zahlen widerspricht die Studie: Beispielsweise beim Szenario des Ausbaus der Erneuerbaren Energien in Deutschland. Da habe man die erwartete Leistung aus Solarenergie, Wind- oder auch Wasserkraft heruntergerechnet, sagt Andree Böhling, der Energie-Experte von Greenpeace.

    "Was nicht nachvollziehbar ist, ist zum einen, dass die daraus resultierende gesicherte Leistung auf nur 5 bis 10 Prozent veranschlagt wird. Das weicht von anderen Studien um bis zu 100 Prozent ab. Die gehen von 10 bis 25 Prozent aus. Gerade auch bei der Windkraft - hier hat sich ja die Technik auch weiterentwickelt, Stichwort Repowering. Die neuen Anlagen haben ja auch eine deutliche höhere gesicherte Leistung."

    Ähnlich sei die Dena auch bei der Einschätzung der Kraft-Wärme-Kopplung vorgegangen. Man habe zwar die übergeordneten Ziele der Bundesregierung übernommen, also einen Ausbau der KWK-Technik bis 2020 auf etwa 25 Prozent, dann aber eine deutlich geringere, gesicherte Leistung angenommen, so der Greenpeace-Experte.

    "Allerdings wurde dann bei der Kalkulierung der gesicherten Leistung eine äußerst geringe Anlagenauslastung zugrunde gelegt. Das ist überhaupt nicht nachvollziehbar. KWK-Anlagen würden sich gar nicht rentieren, wenn sie nicht eine große Anlagenauslastung haben. Niemand würde dann investieren. Die Dena hat 5.700 Megawatt gesicherte KWK-Leistung für das Jahr 2020 kalkuliert. Andere Studien bezeichnen diese gesicherte Leistung aber als deutlich höher."

    Es gäbe somit in der Dena-Studie doch erhebliche Bewertungsspielräume. Die Dena habe diese genutzt, um eher ein pessimistisches Szenario zu malen, dass eben die Stromgewinnungs-Kapazitäten ohne eine Weiterführung der Energiegewinnung aus Kohle und Atom nicht ausreichend seien im Jahr 2020. Hier widerspricht also Greenpeace vehement. Es könne durchaus eine Versorgungssicherheit geben, sagt Roland Hipp, der Kampagnengeschäftsführer von Greenpeace.

    "Deutschland ist Exportweltmeister im Bereich der erneuerbaren Energien. Das heißt, wenn ich den Standort Deutschland sichern möchte, dann muss ich auf zukunftsweisende Energietechniken setzen. Und das sind die Regenerativen. Das ist nicht Kohle und auch nicht Atom."

    Greenpeace sagt nun also, dass bis 2020 eher mit einer Überkapazität bei der Stromversorgung in Deutschland zu rechnen sei. In der Größenordnung von 12.000 Megawatt - das entspräche der Leistung von immerhin 15 Großkraftwerken. Energieexperte Andree Böhling fasst deshalb aus Sicht der Umweltorganisation die heute vorgelegte Studie wie folgt zusammen.

    "Die Stromlücke wurde durch einseitige und interessengeleitete Annahmen konstruiert. Die Bewertungsspielräume, die es gibt, wurden systematisch ausgenutzt. Daraus ergeben sich folgende Forderungen: Die Deutsche Energie-Agentur sollte ihre Aussagen zur Stromlücke richtigstellen. Und somit auch die Panikmache bei der Stromversorgung beenden."

    Es ist nicht die erste Gegenstudie zu den Dena-Zahlen und -prognosen aus dem Frühjahr.