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Stromtrassen
Seehofers wenig realistische Vorschläge

Die Energiewende teilt das Land: Der Norden schwimmt in Strom, im Süden dagegen wird er mit dem Abschalten der letzten Meiler 2021 deutlich knapper. Hochleistungs-Stromleitungen - die HGÜ - sollen daher Brücken zwischen dem Norden und Süden schlagen. Horst Seehofer hat nun diese Leitungen ins Visier genommen. Überzogen sei der Netzausbau und unnötig, Bayern brauche sie gar nicht. Erst als öffentlich wurde, dass das für Bayern ziemlich teuer werden könnte, lenkte er ein.

Von Sönke Gäthke | 13.10.2014
    Laut Presseberichten ist die Vorstellung Horst Seehofers, nun auf eine von zwei HGÜ-Verbindungen zu verzichten und stattdessen vom Ende der anderen einfach einen kurzen Abstecher nach Südbayern zu legen. Ist das technisch so einfach?
    Nein, leider nicht. Fangen wir mit dem Einfachsten an: Die Leistung der Leitungen dürfte dafür kaum ausreichen. Zwischen Bayern und dem Norden sollen bis circa 2022 zwei Hochspannungs-Gleichstrom-Brücken geschlagen werden: Eine aus dem Raum Sachsen-Anhalt mit zwei Gigawatt Leistung, zwei von der Nordsee her mit je zwei Gigawatt Leistung - wobei die Leitungen an einem Mast hängen. Die beiden Brücken ruhen also auf einem Pfeiler, sozusagen. Die Sachsen-Anhalt-Brücke ist die, die die Bayern nicht haben wollen. Aber die Nordsee-Brücken können sie nicht ersetzen: Sie sind breit genug für den Strom, der die Erzeugung von Grafenrheinfeld in Bayern und Neckarwestheim in Baden-Württemberg ersetzen soll. Aber es reicht halt nicht für das dritte Kraftwerk, Gundremmingen.
    Warum - rechnerisch ginge es doch vielleicht?
    Das stimmt - ersetzt werden sollen drei Atomkraftwerke mit rund 3,6 Gigawatt Leistung, und Suedlink - so die offizielle Bezeichnung der Nordsee-Verbindung - kann vier übertragen. Das klingt gut, aber so einfach ist es eben nicht. Das liegt an den Eigenarten der Hochspannungs-Gleichstromübertragung. Als Erstes muss der Gleichstrom aus dem Drehstrom erzeugt und am Ende wieder in Drehstrom umgewandelt werden. Das passiert in Konvertern. Die stehen am Anfang und Ende der Leitungen. So einfach verlängern kann man also schon mal eine Gleichstromleitung nicht, man muss mindestens einen weiteren Konverter bauen für den dritten Endpunkt. Unabhängig davon, dass das technisch sehr aufwendig ist, passt das von der Leistungsübertragung eben nicht: Eine HGÜ überträgt eben nur zwei Gigawatt Leistung. Für den Ersatz von zwei Atomkraftwerken bräuchte ich aber mindestens 2,6. Ich müsste also beide Gleichstromübertragungen zu Multi-Terminal-Anlagen machen, zwei kleine Verlängerungen bauen, zwei zusätzliche Konverter, die sich untereinander abstimmen müssten - und da wird es nun doch aufwendig, unerprobt und sehr teuer.
    Nun, für den Fall wurde ja die Idee ins Spiel gebracht, die Strombrücke aus Sachsen-Anhalt einfach mit den Leitungen von der Nordsee zu kombinieren, quasi zusätzlich auf einen Mast zu legen. Geht das nicht?
    Technisch wäre das einfacher, aber auch nicht ganz ohne. Zuallererst wäre das ein Umweg. Wie lang, ist nicht klar. Aber jeder Umweg vergrößert die Verluste bei der Stromübertragung. Zweitens wirft so eine Leitung die Frage nach der Netzsicherheit auf. Der Vorschlag aus Bayern, würde ja bedeutet, die Nordsee-Strombrücke zu erweitern. Das kann man machen, aber dann wird der Mast entweder deutlich höher oder breiter. Da hängen ja schon zwei System dran.
    Das bedeutet dann, ich habe über hundert Kilometer oder mehr eine Leitung mit sechs Gigawatt Leistung. Ich bin nicht sicher, ob Netztechniker diese Menge noch auf einem Strommast installieren wollen würden. Bei Drehstrom macht man das nicht mit dem Argument, wenn irgendwas einen Mast umreißt oder die Kabel beschädigt - ein Sturm, ein Baum, Blitzschlag zum Beispiel - dann fällt auf einen Schlag viel zu viel Leistung aus, die nicht über eine andere Leitung gedeckt werden könnte. Man würde also die Leitungen auf zwei parallel laufende Masten verteilen.
    Und da kommen wir dann zur Frage der Akzeptanz und der Politik. Man müsste den Bürgern unterwegs erklären, warum sie diese Stromleitung ertragen sollen, und nicht die Bayern, die den Strom erhalten. Und man müsste den Stromkunden erklären, warum sie eine Umleitung bezahlen sollen, von der erst einmal nur die Bayern einen Nutzen haben.
    Die bayrische Regierung hat ausgehandelt, dass sie jetzt erst einmal bis Anfang 2015 über die Leitungen neu nachdenken und mit den Bürgern reden wolle. Eine gute Lösung?
    Es klingt zumindest gut. Man muss aber fairerweise sagen: Während der Netzplanung haben Landesregierungen, Behörden und Bürger schon länger das Recht, sich zu äußern, ihre Bedenken und Vorschläge einzubringen. Und auf der Grundlage hat ja die Bundesnetzagentur entschieden, dass beide Strombrücken notwendig sind, um die Versorgungssicherheit in Bayern nach dem Abschalten der Atomkraftwerke aufrecht zu erhalten. Das Verfahren läuft jedes Jahr, um Änderungen der Politik einzuarbeiten, und die Folgen des deutlich verlangsamten Fotovoltaikausbaus sind zum Beispiel schon eingearbeitet. Und ein langsamerer Ausbau der Windenergie ändert ja nichts daran, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollen und der Strom irgendwo herkommen muss.