Nida Rümelin: Nein, ganz so ist es nicht. Es ist so, dass ich eigentlich seit Jahren an dem Thema Was ist eigentlich praktische Rationalität? Was ist Handlungs- und was ist Entscheidungsrationalität? Wenn man so will Was ist die Rationalität einer Lebensform? arbeite (..) Den Punkt den Sie angesprochen haben. Ich weiß es klingt fast widersprüchlich, ist es aber nicht. Ich bin tatsächlich zunehmend zu der Meinung gekommen: die Erwartung, man könnte von einer Theorie praktischer Rationalität präzise Kriterien ableiten, was ist im Einzelfall richtig und was ist falsch, die Erwartung, die wird immer enttäuscht werden. Und ich glaube mehr, viel mehr als in diesem Büchlein dargestellt darf man auch von diesem Ansatz nicht erwarten.
Kommen wir doch etwas genauer zu dem Problem: Was heißt strukturelle Rationalität. /- Sie sprechen auch von struktureller Vernunft und wenn ich das richtig verstanden habe, geht es Ihnen im wesentlich darum, dass die Motive des einzelnen in seinen Handlungen, dass diese einzubauen sind in einen größeren Zusammenhang.
Das ist richtig. Das trifft den Kern dieses Ansatzes. Im Alltag sind wir alle bereit, bestimmte Einschränkungen anzuerkennen und zu sagen: Meine Handlungsoptionen bewegen sich in diesem Rahmen, weil das die von mir gewählte Lebensform ist - oder auch Rücksichtnahme gegenüber anderen Personen und vieles andere und ich bin nicht bereit, um der Folgenmaximierung willen oder um der Optimierung der einzelnen Entscheidung willen, diese Strukturen - daher der Terminus strukturelle Rationalität - kaputt zu machen.
Also diese strukturelle Rationalität, da ist mir nicht ganz klar, was die eigentlich alles mit beinhaltet: Ist das die Unterstellung, dass die menschliche Zivilisation oder die menschlichen Lebensformen in unserer Welt, der nordatlantischen, oder vielleicht auch global gesehen, dass die eine Art Grundmuster im Hinblick auf die Rationalität besitzen, sie sind sozusagen durchrationalisiert.
Nein, das steckt nicht dahinter. Dahinter steckt etwas anderes. Es gibt keinen externen Standpunkt. Es gibt keine Möglichkeit, herauszutreten aus den Zusammenhängen des individuellen Lebens und des gesellschaftlichen Lebens um von außen Standards und Kriterien zu entwickeln für die richtige Lebensform. Wenn wir zum Beispiel eine bestimmte Entscheidung begründen, dann rekumeren wir auf Überzeugungen, die wir teilen mit anderen Menschen, die wir selbst nicht mehr näher begründen, auf vorab getroffene Lebensentscheidungen, aufexistentielle Entscheidungen, die nicht in Frage stehen. (..) Diese Einbettung, mir geht es um diese Einbettung.
Sie versuchen Ihre Theorie zu justieren zwischen zwei Positionen, zwischen der Position, die Sie Standardtheorie nennen und die Sie auf David Hume beziehen und die andere Position ist die kantische Position. Ist das richtig: Zwischen diesen beiden versuchen Sie einen Mittelweg zu gehen?
Damit bin ich nicht ganz einverstanden. Ich gehe nämlich in einer Hinsicht noch wesentlich über Kant hinaus. (..) nähere mich womöglich einer Position an, wie sie früher von der Stoa vertreten worden ist.... nämlich dass alle Gründe, auch die vermeintlich subjektiven rechtfertigungsfähig sind, auch oft rechtfertigungsbedürftig sind, nämlich immer dann, wenn ich selber Zweifel habe oder andere Zweifel haben und nicht nur was Moral angeht, sondern auch sonst was sogenannte Klugheitsentscheidungen angeht. (..) Und deshalb bin ich in diesem Punkt jenseits nicht zwischen David Hume und Immanuel Kant, sondern jenseits von Immanuel Kant. Ich bin noch kantianischer als die meisten Kantianer. (..) Eine Moral, die von außen da herantritt und jeden Bezug verliert zu den jeweiligen individuellen Lebensformen verliert auch ihre motivationale Kraft.
Sie unterstellen, wenn ich das richtig verstanden habe, dass alle Wünsche zu rechtfertigen sind. Wie machen Sie es dann mit dem Raucher, der sagt, er raucht weiter?
Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, alles was ich tue, in Frage zu stellen. Insofern erübrigt sich die Begründung und Rechtfertigung. Aber manchmal hat man Zweifel, Zweifel die man gegenüber eigenen Motiven entwickelt oder Zweifel anderer Personen, die sagen, sage mal, was machst du denn da, warum denn und so. Und in dem Moment muß man das Urteil das einen erst zu der Handlung bringt überprüfen, was, welche Stellungnahme hat mich eigentlich veranlasst, das zu tun und nicht jenes. Das hat ein Element der Rationalitätsprüfüng.
Sie stellen auch fest... dass das Problem der an der strukturellen Rationalität orientierten punktuellen Entscheidung sich einerseits zwischen den Personen darstellt im Hinblick auf andere Menschen, auf Situationen und dass sich das auch auf die Person selbst bezieht, im Hinblick auf den Wandel im Laufe des Lebens/dass sich die Wünsche sozusagen ändern, wenn man jung ist, wenn man alt ist. Das finde ich aber auch ein gewichtiges Argument an dieser Stelle. Wie kriegt man denn die strukturelle Rationalität just zwischen den Lebensaltern zustande ohne dass das -jetzt sage ich es mal ein bisschen salopp - eine Art biederes Mittelmaß provoziert in seinen Lebensformen. Wenn man sich strukturell aufsein ganzes Leben ausrichtet - da muss man ein Aristoteliker sein, der sich die Position im Alter vorreflektiert - und was rauskommt, das wäre wahrscheinlich ein Leben, das sehr viele in dieser Gesellschaft, die jünger sind, in ihren jungen Jahren nicht wollen. Und wenn wir so an die Erfahrung der Psychoanalyse denken, gibt es vielleicht Gründe, die dafür sprechen, dass sie in die Disco gehen.
Also bei John Rawls ist mal die Rede von rationalen Lebensplanen. Das klingt sehr puritanisch protestantisch und ist auch nicht meine Auffassung von vernünftigem Leben, von einem guten Leben, dass man einen Lebensplan entwickelt über die Spanne des erwarteten Zeitraums, mit dem lebt. Ich habe generell eine Vorstellung, die besagt, wir müssen hier einen Ausgleich herstellen zwischen den Strukturen, den langfristigen Regeln, innerhalb dessen sich unser Leben abspielt einerseits, und den jeweils konkreten Erfahrungen, Entscheidungssituationen im Einzelfall, im Alltag, die sich immer wieder neu darstellen. Und vernünftige Entscheidungen, eine insgesamt gute Lebensform ist nicht durch Rigorismus geprägt, also eine einmalige Festlegung, sondern ist dadurch geprägt, dass ein hinreichendes Maß an Kohärenz entsteht, die Spannung denn auch nicht zu groß wird zwischen existentiellen Grundentscheidungen und der Flexibilität, die man braucht, um z.B. wieder Korrekturen vorzunehmen, neue Wege einzuschlagen.
Wer gewinnt denn jetzt in der strukturellen Rationalität, die Starken oder die Schwachen. Sie sagen, dass strategisches Handeln letztlich nur dann erfolgreich sein kann, wenn es sich kooperativ zeigt. Aber da könnte man natürlich auch auf einige Fälle verweisen, wo sich eben die Starken durchgesetzt haben.
Das ist nicht der Punkt. Das bezweifle ich auch gar nicht. Das heißt nicht, dass der rücksichtslose Egoist nicht Erfolg haben könnte. Er kann individuellen Erfolg haben. Aber eine Gesellschaft aus rücksichtslosen Egoisten ist weniger erfolgreich für alle Beteiligten als eine Gesellschaft, die auf Kooperation gegründet ist.
Kommen wir doch etwas genauer zu dem Problem: Was heißt strukturelle Rationalität. /- Sie sprechen auch von struktureller Vernunft und wenn ich das richtig verstanden habe, geht es Ihnen im wesentlich darum, dass die Motive des einzelnen in seinen Handlungen, dass diese einzubauen sind in einen größeren Zusammenhang.
Das ist richtig. Das trifft den Kern dieses Ansatzes. Im Alltag sind wir alle bereit, bestimmte Einschränkungen anzuerkennen und zu sagen: Meine Handlungsoptionen bewegen sich in diesem Rahmen, weil das die von mir gewählte Lebensform ist - oder auch Rücksichtnahme gegenüber anderen Personen und vieles andere und ich bin nicht bereit, um der Folgenmaximierung willen oder um der Optimierung der einzelnen Entscheidung willen, diese Strukturen - daher der Terminus strukturelle Rationalität - kaputt zu machen.
Also diese strukturelle Rationalität, da ist mir nicht ganz klar, was die eigentlich alles mit beinhaltet: Ist das die Unterstellung, dass die menschliche Zivilisation oder die menschlichen Lebensformen in unserer Welt, der nordatlantischen, oder vielleicht auch global gesehen, dass die eine Art Grundmuster im Hinblick auf die Rationalität besitzen, sie sind sozusagen durchrationalisiert.
Nein, das steckt nicht dahinter. Dahinter steckt etwas anderes. Es gibt keinen externen Standpunkt. Es gibt keine Möglichkeit, herauszutreten aus den Zusammenhängen des individuellen Lebens und des gesellschaftlichen Lebens um von außen Standards und Kriterien zu entwickeln für die richtige Lebensform. Wenn wir zum Beispiel eine bestimmte Entscheidung begründen, dann rekumeren wir auf Überzeugungen, die wir teilen mit anderen Menschen, die wir selbst nicht mehr näher begründen, auf vorab getroffene Lebensentscheidungen, aufexistentielle Entscheidungen, die nicht in Frage stehen. (..) Diese Einbettung, mir geht es um diese Einbettung.
Sie versuchen Ihre Theorie zu justieren zwischen zwei Positionen, zwischen der Position, die Sie Standardtheorie nennen und die Sie auf David Hume beziehen und die andere Position ist die kantische Position. Ist das richtig: Zwischen diesen beiden versuchen Sie einen Mittelweg zu gehen?
Damit bin ich nicht ganz einverstanden. Ich gehe nämlich in einer Hinsicht noch wesentlich über Kant hinaus. (..) nähere mich womöglich einer Position an, wie sie früher von der Stoa vertreten worden ist.... nämlich dass alle Gründe, auch die vermeintlich subjektiven rechtfertigungsfähig sind, auch oft rechtfertigungsbedürftig sind, nämlich immer dann, wenn ich selber Zweifel habe oder andere Zweifel haben und nicht nur was Moral angeht, sondern auch sonst was sogenannte Klugheitsentscheidungen angeht. (..) Und deshalb bin ich in diesem Punkt jenseits nicht zwischen David Hume und Immanuel Kant, sondern jenseits von Immanuel Kant. Ich bin noch kantianischer als die meisten Kantianer. (..) Eine Moral, die von außen da herantritt und jeden Bezug verliert zu den jeweiligen individuellen Lebensformen verliert auch ihre motivationale Kraft.
Sie unterstellen, wenn ich das richtig verstanden habe, dass alle Wünsche zu rechtfertigen sind. Wie machen Sie es dann mit dem Raucher, der sagt, er raucht weiter?
Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, alles was ich tue, in Frage zu stellen. Insofern erübrigt sich die Begründung und Rechtfertigung. Aber manchmal hat man Zweifel, Zweifel die man gegenüber eigenen Motiven entwickelt oder Zweifel anderer Personen, die sagen, sage mal, was machst du denn da, warum denn und so. Und in dem Moment muß man das Urteil das einen erst zu der Handlung bringt überprüfen, was, welche Stellungnahme hat mich eigentlich veranlasst, das zu tun und nicht jenes. Das hat ein Element der Rationalitätsprüfüng.
Sie stellen auch fest... dass das Problem der an der strukturellen Rationalität orientierten punktuellen Entscheidung sich einerseits zwischen den Personen darstellt im Hinblick auf andere Menschen, auf Situationen und dass sich das auch auf die Person selbst bezieht, im Hinblick auf den Wandel im Laufe des Lebens/dass sich die Wünsche sozusagen ändern, wenn man jung ist, wenn man alt ist. Das finde ich aber auch ein gewichtiges Argument an dieser Stelle. Wie kriegt man denn die strukturelle Rationalität just zwischen den Lebensaltern zustande ohne dass das -jetzt sage ich es mal ein bisschen salopp - eine Art biederes Mittelmaß provoziert in seinen Lebensformen. Wenn man sich strukturell aufsein ganzes Leben ausrichtet - da muss man ein Aristoteliker sein, der sich die Position im Alter vorreflektiert - und was rauskommt, das wäre wahrscheinlich ein Leben, das sehr viele in dieser Gesellschaft, die jünger sind, in ihren jungen Jahren nicht wollen. Und wenn wir so an die Erfahrung der Psychoanalyse denken, gibt es vielleicht Gründe, die dafür sprechen, dass sie in die Disco gehen.
Also bei John Rawls ist mal die Rede von rationalen Lebensplanen. Das klingt sehr puritanisch protestantisch und ist auch nicht meine Auffassung von vernünftigem Leben, von einem guten Leben, dass man einen Lebensplan entwickelt über die Spanne des erwarteten Zeitraums, mit dem lebt. Ich habe generell eine Vorstellung, die besagt, wir müssen hier einen Ausgleich herstellen zwischen den Strukturen, den langfristigen Regeln, innerhalb dessen sich unser Leben abspielt einerseits, und den jeweils konkreten Erfahrungen, Entscheidungssituationen im Einzelfall, im Alltag, die sich immer wieder neu darstellen. Und vernünftige Entscheidungen, eine insgesamt gute Lebensform ist nicht durch Rigorismus geprägt, also eine einmalige Festlegung, sondern ist dadurch geprägt, dass ein hinreichendes Maß an Kohärenz entsteht, die Spannung denn auch nicht zu groß wird zwischen existentiellen Grundentscheidungen und der Flexibilität, die man braucht, um z.B. wieder Korrekturen vorzunehmen, neue Wege einzuschlagen.
Wer gewinnt denn jetzt in der strukturellen Rationalität, die Starken oder die Schwachen. Sie sagen, dass strategisches Handeln letztlich nur dann erfolgreich sein kann, wenn es sich kooperativ zeigt. Aber da könnte man natürlich auch auf einige Fälle verweisen, wo sich eben die Starken durchgesetzt haben.
Das ist nicht der Punkt. Das bezweifle ich auch gar nicht. Das heißt nicht, dass der rücksichtslose Egoist nicht Erfolg haben könnte. Er kann individuellen Erfolg haben. Aber eine Gesellschaft aus rücksichtslosen Egoisten ist weniger erfolgreich für alle Beteiligten als eine Gesellschaft, die auf Kooperation gegründet ist.