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Stuckrad-Barres durchwachsene Wahlnacht

Die Programme waren voll mit der Wahl, aber eine Wahlsendung machte wegen ihres neuen Formates besonders neugierig: "Stuckrad-Barres Wahlnacht" – eine Liveshow ausschließlich im Netz, die alle Möglichkeiten des Internets ausnutzen sollte. Stattdessen bot sie einige peinliche Momente.

Von Oliver Kranz | 23.09.2013
    "Guten Abend. Schön, dass Sie schon da sind. Guten Tag, muss man noch sagen, denn wir fangen jetzt schon an."

    Das Studio versprüht schon um 17 Uhr Late-Night-Charme. Das Licht ist gedämpft, im Hintergrund leuchtet die nächtliche Berliner Skyline von einer Projektionsfläche. In einem ähnlichen Ambiente hat Stuckrad-Barre in den letzten Wochen im Fernsehsender Tele 5 eine Talkshow moderiert, die einfach nur seinen Namen trug – an der Oberfläche ein Politmagazin, im Kern feinste Satire. Stuckrad-Barre konfrontierte Politiker mit ihren eigenen Aussagen und leitete daraus Aufgaben ab, die die Gäste erfüllen mussten.

    Ähnlich subversiv hätte es auch in seiner Wahlnacht zugehen müssen. Ein großer Teil der Show fand im sogenannten Situation Room statt, einem Sitzungsraum mit amerikanischem Staatswappen an der Wand. Dort schaute Stuckrad-Barre mit seinen Studiogästen fern und kommentierte – man wusste nur nie genau was. Es wurde weder das Fernsehbild mit übertragen, noch der Fernsehton. Die Sendung geriet zu einer hochgradig skurrilen Veranstaltung. Dabei hatte sich Claus Strunz von der Zeitung Die Welt, in einem Vorab-Spot noch gefreut …

    "Zum ersten Mal im Internet gibt es an einem Bundestagswahlabend eine Liveshow mit bewegten Bildern … Benjamin ist in toller Form. Einer der größten deutschen Schauspieler, Christian Ulmen, macht uns die Regie. Wenn das keine coole Wahlsendung ist, dann weiß ich es auch nicht mehr."

    Cool wollte Die Welt sein – und digital und modern sowieso. Der Springer-Konzern ist ja schon seit einiger Zeit dabei, seine Aktivitäten vom Print- in den Online-Bereich zu verlagern. Warum also nicht ein Live-Stream mit bewegten Bildern? Das Internet bietet ja viele Möglichkeiten. Man kann in verschiedenen Bildschirmfenstern, verschiedene Informationen anzeigen lassen, Videos mit Texten kommentieren und über Chats und Videokonferenzen das Publikum einbinden. All das hat Stuckrad-Barre auch gemacht – aber technisch so mangelhaft und inhaltlich so wenig durchdacht, dass es eine Zumutung war.

    Zuerst wurde Jörg Thadeusz zugeschaltet, der über Skype aus Hamburg berichtete. Auf dem Bild, das dabei übertragen wurde, sah der bekannte Fernsehmoderator aus, als hätte er Lepra …

    "Ich sitze mit einem Sozialdemokraten zusammen, der gerade sagte: Jetzt lasse ich mich volllaufen. Das war der letzte Satz, den ich von ihm hörte. Wir wissen nicht genau: Wie kann man Angela Merkel noch aus dem Amt kriegen, außer durch Militärputsch …"

    Das war eine der letzten Pointen, bevor die Leitung eine Tonstörung hatte. Thadeusz gehörte zu den wenigen Teilnehmern der Show, die Stuckrad-Barres Konzept verstanden hatten, an scheinbar nebensächlichen Details, grundsätzliche Beobachtungen festzumachen. Der SPD-Genosse auf dem Weg zum Zapfhahn wurde zum Sinnbild seiner Partei.

    Doch dieses Reflektionsniveau wurde an dem Abend nur selten erreicht. Stattdessen aß der füllige Fußballfunktionär Reiner Calmund mit stoischer Ruhe Stücke eines Tortendiagramms auf und die Moderatorin Katrin Bauerfeind, weigerte sich mitzuteilen, wen sie gewählt hatte. Stuckrad-Barre fühlte sich dadurch animiert blank zu ziehen und seinen nackten Oberkörper zu zeigen, doch das war nicht komisch, sondern peinlich. Ihren absoluten Tiefpunkt erlebte die Sendung, als der Schauspieler Helmut Berger das Studio betrat, offenbar mit verlorenem Verstand …

    Stuckrad-Barre: "Kennen Sie unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel?"
    Berger: "Ich habe davon gehört."
    Bauerfeind: "Was haben Sie gehört – Gutes oder Schlechtes?"
    Berger: "Schlechtes."
    Stuckrad-Barre: "Haben Sie die vor Augen, was löst die bei Ihnen aus?"
    Berger: "Die macht Publizität für Tchibo …"

    Spätestens da hätte Stuckrad-Barre und seiner Ko-Moderatorin Katrin Bauerfeind klar sein müssen, dass aus diesem Mann keine vernünftigen Antworten herauszuholen sind. Doch Berger wurde weiter interviewt – eine endlos lange Zeit. Stuckrad-Barre zuckte auch nicht zurück, als ihm der Schauspieler zum Abschied das halbe Gesicht ableckte. Und genau diese Szenen sind jetzt im Internet als Video verfügbar. Nicht die komplette Wahlshow wird im Archiv angeboten, sondern nur die peinlichsten Momente. Kein Ruhmesblatt für die Website, die den Namen der Qualitätszeitung aus dem Hause Springer trägt …