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Studenten lernen zuzustechen

Ganze fünf Stunden steht das Thema Akupunktur auf dem Ausbildungsplan eines Mediziners. Wohlgemerkt - fünf Stunden während der kompletten Ausbildung. An der Uni Bonn ist das anders. In Zusatzseminaren lassen sich die Studierenden in der Kunst des Nadelsetzens von dem Internisten Dr. Peter Velling ausbilden. Seit einem Jahr bringt er den Nachwuchsmedizinern die Grundlagen der Akupunktur bei. Im nächsten Semester geht es dann um konkrete Behandlungen von Krankheiten. Bisher hatten die Nachwuchsmediziner jedoch genug damit zu tun, sich die ganzen Einstichpunkte anzueignen.

Von Kai Toss |
    "Es ist jetzt im Moment nicht sehr angenehm. " "Beschreiben sie doch bitte, wo sich die Nadel befindet." "Der Punkt heißt jetzt Dünndarm 19. Das ist eine Kuhle vor dem Ohr sozusagen. Allgemein sind die Punkte am Ohr oder im Gesicht nicht ganz so angenehm. Jetzt eben hatte ich eine im Rücken. Das war schon netter."
    Roland Wiese lässt sich nadeln. Janette Ohse sticht den 25jährigen Medizinstudenten am Ohr. Dass der Punkt Dünndarm 19 heißt soll an dieser Stelle nicht weiter irritieren. Die Behandlungs- und Einstichstelle ist unter anderem wichtig...

    Gegen Tinitus auf jeden Fall. Also gegen das Pfeifen, diesen Ton im Ohr." "Wie oft müssen sie das machen, wie oft müssen sie ihn behandeln, damit wahrscheinlich eine Wirkung eintritt?" "Man würde auch mehrere Punkte behandeln und nicht nur den einen alleine. Da wären bestimmt fünf Sitzungen notwendig." "Wie lange bleiben diese Nadeln denn dann drin?" "20 Minuten ungefähr.

    164 Punkte müssen sich die Studierenden merken. Sie liegen auf 12 so genannten Meridianen, erklärt Dr. Peter Velling. Er ist Lehrbeauftragter für Akupunktur.

    Wir haben die lokale Wirkung der Nadel sehr gut nachgewiesen, was passiert unmittelbar drum herum durch körpereigene Botenstoffe, die auch bei uns im Körper die Schmerzstillung bewirken, wird sowohl an der Nadel selber als auch Hirn eine Schmerzhemmung durchgeführt. Was das große Problem ist, was wir bisher nicht klären können, ist, dass die Punkte sehr weit vom Geschehen weg sind, sprich, warum die Nadel am Fuß gegen Kopfschmerzen wirken. Da nutzt man schon das Erklärungssystem der chinesischen Medizin, zu sagen: Wir machen einen Energieausgleich. Wir haben Energieleitbahnen, die über den Körper verteilt sind. Und wir wollen, dass überall die Energie gleichmäßig fließt, im Prinzip den gleichen Wasserstand hat. Und da sind die Akupunkturpunkte die Schleusen, mit denen man diesen Wasserstand regulieren kann.

    Mittlerweile anerkannte Behandlungsfelder sind zum Beispiel chronische Kopf- oder Rückenschmerzen. Die Vorbehalte gegen die Behandlungsmethode schwinden immer mehr. Bei den Schulmedizinern ebenso wie bei den Patienten. Wer heilt, der hat halt recht. Vorurteile bei den Studierenden gibt es ebenfalls kaum, erzählt Bernhard Steinweg.

    Nicht was die Akupunktur angeht. Eher die Tatsache, dass es ein zusätzlicher Kurs ist, wo dann halt gefragt wird: Da hast du Zeit für? Akupunktur ist nicht das Standardklinische. Eher würde man nicken, wenn ich erzählen würde, ich mache einen Radiologiekurs oder ich würde einen Gipskurs machen. Da nickt jeder sofort ab. Akupunktur ist da schon mal was besonderes.

    Akupunktur ist nicht unumstritten. Noch runzeln einige Schulmediziner die Stirn. Warum Akupunktur Schmerzen lindern kann, das ist nämlich noch nicht erforscht. Energieströme - diese Vorstellung aus China hat kein anatomisches Gegenstück aus der Schulmedizin. Deshalb ist es noch nicht selbstverständlich, die angehende Ärztegeneration in der Akupunktur gründlich auszubilden. Dozent Dr. Peter Velling musste in Bonn jedoch nicht für sein Spezialgebiet werben.

    Die Universität ist an mich heran getreten. Es ist nicht so, dass ich gesagt habe, ich will hier einen Akupunkturkurs halten. Sowohl von den Studenten als auch von der Universität selber ist das so. Ich war selber Assistent hier an der Klinik, ich habe 1996 aufgehört und habe da schon zwei Jahre Akupunktur hier in der Klinik gemacht. Es ist nicht so, dass es das Fach ist, was jeder machen möchte, aber das Verständnis und die zunehmende Akzeptanz wird immer mehr ausgeprägt, gerade im Bereich der Gynäkologie; die Schmerzambulanz und die Anästhesie macht schon lange Akupunktur. Es ist nicht mehr das seltsame Fach, aber es ist auch nicht die häufige Maßnahme.

    Beim Reporter schließlich soll der Stich in die Hand gehen, gepiekst wird an der Wulst zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Dickdarm 4 heißt die Stelle. Die Tutorin hatte mir ein erlebbares Gefühl versprochen. Was genau konnte sie nicht sagen. Bernhard Steinweg beginnt.

    "Da nehme ich den höchsten Punkt. Wenn sie jetzt einfach mal ganz locker lassen. Ich lege meinen Finger auf, setze die Nadel - und sie erzählen mir, ob irgendetwas passiert." "Ich habe einen ganz kurzen Einstich gepürt. Es war auch nicht unangenehm. Ich kann aber nicht sagen - aua..." "Da war was. Was war da?" "Es hat durch die ganze Hand gezuckt." "Das war ein De Chi-Gefühl - haben wir es also ausgelöst, Fragezeichen." "Offensichtlich, wunderbar. Das ist Dickdarm 4"

    Hitze hat sich in der Hand ausgebreitet, ohne dass man die Stellen genau beschreiben könnte. Das Gefühl war auf jeden Fall bis zum Ellenbogen zu spüren. Bei einer normalen Behandlung, zum Beispiel gegen Schmerzen, würden mehrere Nadeln bei einer Sitzung in die Haut gestochen werden. Wie das funktioniert, lernen die angehenden Mediziner erst im kommenden Semester.

    Roland Wiese will Allgemeinmediziner werden, aber er will trotzdem später nadeln:

    Ich denke dabei vor allem an Patienten mit chronischen Schmerzen und chronischen Krankheiten, wo man einfach keine Erklärungen findet und wo man mit wenig Nebenwirkungen in der Akupunktur wirklich den Schmerz nehmen kann.

    Bernhard Steinweg wird dann wieder dabei sein. Er will Kinderarzt werden und dabei seine Akupunturkenntnisse auch einsetzen. Nur: Wie nimmt man Kindern die Angst vor der Behandlung mit spitzen Nadeln?

    Gute Frage, nächste Frage, das muss ich dann noch lernen.