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Studenten philosophieren mit Kindern

Kinder stellen gerne Fragen und das tun sie oft viel unverfrorener, spontaner und offener als Erwachsene. Die ideale Voraussetzung zum Philosophieren. Diese Erkenntnisse werden in Deutschland aber bislang wenig angewendet. Als Philosophiedozentin Karen Joisten an der Uni Mainz ein Seminar über das "Philosphieren mit Kindern und Jugendlichen" anbot, kam schnell die Idee, sich nicht nur mit der Theorie zu befassen.

Von Claudia Bathe | 15.02.2007
    "Was habt ihr rausgefunden, welche Gruppe möchte gern ihr Ergebnis vorstellen. – Vorteil: als Feind haben die anderen Angst vor einem und man kann sich gut wehren. Nachteil: dass man keine Freunde hat und, dass man sich mehr prügelt. Und man gewinnt nicht so oft, weil die Freunde mehr Leute haben und zusammen halten. "

    Die Schüler der vierten Klasse der Pestalozzi-Schule in Mainz Mombach haben in Kleingruppen diskutiert. Sie sollten dabei die Vor- und Nachteile von Freundschaft und Feindschaft aufschreiben. Jetzt tritt einer nach dem anderen nach vorne an die Tafel und präsentiert seine Ergebnisse. Die Stunde wird diesmal nicht von der Klassenlehrerin gehalten, sondern von zwei Studentinnen. Beide stehen kurz vor ihrem Magisterabschluss in Philosophie. Sie besuchen an der Universität Mainz ein Kolloquium über das Philosophieren mit Kindern. Nachdem sie verschiedene Methoden kennen gelernt haben, setzen sie ihr Wissen jetzt in die Praxis um. Für die 25jährige Sabrina Geibel ist es eine völlig neue Erfahrung.

    "Das war ein ganz anderes Gebiet, sich mal einzufühlen, was man trotzdem mit so abstrakten Sachen wie Philosophie bewirken kann. "

    Die Studentinnen wollen nicht unterrichten – es soll kein festes Wissen vermitteln werden, etwa, wann und wo welcher Philosoph gelebt hat. Sie wollen mit den Schülern ins Gespräch kommen und etwas über ihre Ansichten erfahren. Philosophieren mit Kindern heißt zunächst einmal, sie zum Denken anzuregen, sagt die Dozentin des Seminars, Karen Joisten. Sie sieht darin eine große Chance.

    "Wenn es darum geht, kritisches Nachdenken zu fördern, das ist etwas, was mittels Philosophieren auch geleistet werden kann. Dem Kind die Möglichkeit zu geben, dass es sich zu sich selbst verhält, in der Weise, wie es jetzt nicht der Druck der Gruppe erfordert, sondern was es selbst jetzt gedacht hat, was richtig ist."

    Das Philosophieren mit Kindern muss vorbereitet werden. Anders als in einem Seminar an der Universität können die Grundschüler meistens nicht direkt in das Thema einsteigen und sofort darüber diskutieren – sie müssen abgeholt werden. Deshalb steht am Beginn oft, eine Geschichte, eine Wahrnehmungsübung oder eine Spielsituation. Das hilft den Kindern, an ihre eigenen Erfahrungen anzuknüpfen. Die beiden Studentinnen haben sich in ihrer Unterrichtsstunde für ein Rollenspiel entschieden. Alle Kinder bewegen sich als Paar durch den Raum.

    "Der kleinere von euch soll sich in einen Freund verwandeln und der größere sich in den Feind und der Freund der soll so nett sein, dass der Feind von seiner feindlichen Gesinnung weg kommt. "

    Nach dieser Übung sollen sich Schüler darüber austauschen, wie sie sich in der Rolle des Feindes und des Freundes gefühlt haben. Es entstehen erste Gesprächssituationen.

    "Nur wenn man halt lieb ist, kann man sich auch besser verstehen. Und wenn man halt böse ist, kann man sich ja gar nicht richtig ausdrücken, weil man nur motzt. Aber ich fand es eben nicht so gut, dass man nicht reden durfte, man überzeugt den anderen ja mit Worten. Das mach ich immer. Ja ich auch."

    Richtig oder falsch gibt es nicht – auch Noten werden nicht vergeben. Der Prozess der Auseinandersetzung mit dem Thema ist das eigentliche Ziel der Stunde. Am Ende muss kein festes Ergebnis stehen. Jede Antwort und jede Frage ist daher gleich viel wert. Die Kinder reagieren gut auf diese Methode und lassen sich leicht zum Mitmachen animieren. Die Klassenlehrerin Nina Salomon ist über das Verhalten der Schüler positiv überrascht..

    "Ich bin es nicht so sehr aus dem Unterricht gewohnt, dass sich wirklich alle Kinder so stark einbringen, gerade die Leistungsschwächeren haben sich hier getraut, offen und ehrlich ihre Meinung zu sagen, auch mehr als nur einen Satz von sich preis zu geben, sie waren relativ befreit."

    "Nachteil eines Freunds, er kann sich nicht gut wehren, weil er so lieb ist und keinem etwas tut. - Möchte da jemand etwas dazu sagen? Warum ist das so? - Vielleicht, wenn man so lieb ist, will man keinen auch verletzen. Feind ist ja brutal. "

    Auch wenn die Kinder noch nicht so intensiv argumentiert haben, wie erhofft, ist die Philosophiestudentin Ilkmur Ösanne überzeugt, dass der Ansatz richtig ist. Ihrer Meinung nach, besteht bei den Kindern das Bedürfnis, sich über philosophische Fragen auszutauschen. Sie möchte daher weitere Erfahrungen zu sammeln.

    "Für mich heißt es, dass es jetzt gerade erst angefangen hat, weil wir auch durch das Feedback von den Kindern mitbekommen haben, was sie noch interessiert, und auf was für eine Art sie darüber auch sprechen würden. "

    Im nächsten Semester soll das Kolloquium fortgesetzt werden. Für Ilkmur Ösanne und Sabrina Geibel steht fest, dass sie wieder teilnehmen werden. Sie planen bereits ihre nächste Unterrichtsstunde.