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Studenten zieht es in den Norden

Eine regelrechte Bewerberschwemme melden Hochschulen in Schleswig-Holstein: Die mögliche Erklärung: Im nördlichsten Bundesland gibt es bisher noch keine Studiengebühren.

Von Jens Wellhöner |
    Eigentlich wollte Joachim Perschbacher in seinem Heimatland Hessen studieren. Informatik ist sein Traumfach, an der Universität Darmstadt hat er sich zuerst umgesehen. Aber die in Hessen eingeführten Studiengebühren brachten seinen Entschluss ins Schwanken:

    "Ja, das ist schon ein Riesenbetrag. 500 Euro sind mehr, als mir in einem Monat an Geld zur Verfügung steht. Und dann für ein halbes Jahr, also ein Semester, 500 Euro herbeizuschaffen, ist nicht so einfach für einen Studenten."

    Durch Zufall lernte Joachim Perschbacher Mitarbeiter des Kieler Planetariums kennen. Die boten ihm einen Praktikumsplatz an, neben dem Studium. Der junge Hesse zögerte nicht lange: Für das kommende Wintersemester hat er sich an der Uni Kiel eingeschrieben. Und: Dort gibt es noch keine Studiengebühren:

    "Das ist schon mit ein Grund, hierher zu kommen. Das muss man ganz klar sagen. Weil, das sind 500 Euro pro Semester, die man sich sparen kann."

    So wie Joachim Perschbacher denken offensichtlich viele Studienplatzbewerber. Die studiengebührenfreien schleswig-holsteinischen Unis erleben im Moment eine regelrechte Bewerberschwemme. Rektor Heiner Dunckel nennt die Zahlen für die Uni Flensburg:

    "Über 30 Prozent mehr Bewerberinnen und Bewerber haben wir im Vergleich zum letzten Zeitraum. Das heißt, im letzten Zeitraum hatten wir gut 2.500 Bewerber. Jetzt haben wir über 3.400 Bewerber. Also ein bedeutsamer Anstieg der Bewerberzahlen."

    Auch an der größten Uni im Lande, in Kiel, sind die Zahlen ähnlich. Kanzler Oliver Herrmann:

    "Also, es ist schon so, dass wir im Wintersemester 2006/2007 insgesamt 20 Prozent mehr Bewerbungen auf Studienplätze bekommen haben, als das im Vorjahr der Fall gewesen ist."

    Auch die anderen Unis und Fachhochschulen im Schleswig-Holstein melden ähnliche Zahlen. Kanzler Oliver Herrmann möchte für Kiel aber nicht die Studiengebühren als Grund sehen. Seine Uni habe jetzt das online-Bewerbungsverfahren eingeführt. Und das führe zu steigenden Zahlen: Denn viele Interessenten würden sich vorsichtshalber an vielen Unis deutschlandweit bewerben. Obwohl sie dort eigentlich gar nicht so gern studieren wollten. Online könnten sie das jetzt ganz bequem und billig auch in Kiel tun:

    "Und insofern würde ich jetzt die Meinung vertreten, dass das der primäre Grund ist, für diesen unglaublichen Anstieg der Zahlen."

    In Flensburg können sich Interessenten schon seit dem vergangenen Jahr online bewerben. Trotzdem ist die Zahl hier erst für das kommende Wintersemester stark gestiegen, viel stärker als bei Einführung des Online-Verfahrens. Außerdem kämen jetzt auffallend viele Bewerber aus Bundesländern, die gerade erst Studiengebühren eingeführt haben:

    "Nehmen sie Niederachsen. Da hatten wir im letzten Jahr 8,1 Prozent. Jetzt sind es 20,8 Prozent. Das heißt, es hat sich verdoppelt, verdreifacht. Also Zahlen, die darauf hinweisen, dass es offensichtlich einen Sog gibt von Ländern, die schon Gebühren haben, in Länder, die noch keine Studiengebühren haben. Und das muss einen beunruhigen."

    Denn die Unis in Schleswig-Holstein seien gar nicht auf eine solche Bewerberschwemme eingerichtet. Und die aktuellen Zahlen gelten nur für zulassungsbeschränkte Fächer. Für die anderen Fächer liegen überhaupt noch keine Daten vor. Mit einem starken Anstieg sei aber auch hier zu rechnen, so Heiner Dunckel. Dabei könnten die Unis keine zusätzlichen Studienplätze einrichten:

    "Sie sind nicht in Sicht. Und jedenfalls bisher nicht finanzierbar. Obwohl der Minister weiß, dass wir zusätzliche Studienplätze zur Verfügung stellen müssen."

    Für Rektor Dunckel gibt es nur einen Ausweg aus dem Dilemma:

    "Naja, unsere Reaktion ist, dass der Numerus Clausus immer höher wird. In den meisten Fächern hier am Ort haben wir schon einen Numerus Clausus. Und je höher die Bewerberzahlen werden, desto höher der Numerus Clausus."

    Die schleswig-holsteinische Landesregierung diskutiert schon seit langem die Einführung von Studiengebühren. 2007 könnten sie kommen. Aber bis es soweit ist, werden die Bewerberzahlen an den Unis im Land wohl weiter steigen.