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Studentenbiotop mit Tradition

Es ist einfach nett. Nicht sehr weit zur Uni, es ist im Grünen, es ist alles um die Ecke. Man kann hier einkaufen, der Schlachtensee ist in der Nähe, es ist billig und man hat nichts dagegen, wenn die Hunde mit einziehen.

Kai Kolwitz |
    Nicole fläzt sich in der Küche auf dem Sofa. Auf dem Schoß hat sie ein medizinisches Fachlexikon und daneben liegt der Laptop. Wohnheim-Idylle eben. Und das Studentendorf Schlachtensee ist ja auch nicht irgendein Wohnheim: Es ist ihr Wohnheim – naja, zumindest ein Stück davon. Auch Jens-Uwe Köhler hat seine Zeit hier genossen. Um die zehn Jahre hat er hier gewohnt:

    Auf dem Dach da habe ich gefrühstückt, in der Sonne gesessen, gelernt. Ja, das war gut. Es war ja im Dorf immer was los. Am Wochenende konntest Du davon ausgehen, dass immer irgendwo eine Party ist. Dann hast Du halt eine Flasche Wein eingepackt und bist hingegangen – das war okay. Parties waren wichtig, aber viel besser war wirklich, dass Du so viele verschiedene Leute kennengelernt hast. Für mich selber habe ich sehr viel daraus gezogen, dass ich mit BWLern und sonstigen Leuten zusammengewohnt habe.

    Das Studentendorf Schlachtensee am Südwestrand Berlins ist eins der Wohnheime der idyllischeren Sorte. Viele einzelne Häuser stehen locker in einer Art Park, dazwischen ist jede Menge Grün. Die Anlage wurde in den Fünfziger Jahren von Schülern des Bauhaus-Architekten Hans Scharoun geplant und mit amerikanischem Geld bezahlt. Schon seit den Achtziger Jahren steht sie unter Denkmalschutz. Trotzdem sah es noch vor einem Jahr so aus, als wenn das Studentendorf einfach abgerissen werden würde, um einer Luxus-Siedlung Platz zu machen. Die Bewohner erfuhren davon eher per Zufall, erinnert sich Jens-Uwe:

    Am 26. September 1998 war ein Journalist vom Tagesspiegel bei uns, um uns zu dem Thema zu interviewen – wir wussten das noch gar nicht. Seit diesem Tag wehren wir uns. Am Anfang waren das die üblichen studentischen Protestformen: Demos, Straßenblockaden. Irgendwann sind wir morgens um sieben bei Stimmann im Büro aufgetaucht – der war völlig baff (lacht).

    Selbst die Besetzung des Büros des Senatsbaudirektors brachte den Bewohnern jedoch nichts. Der Berliner Senat schielte auf das Geld, das ein Verkauf des Dorfes an einen privaten Investor gebracht hätte und blieb hart. Aber auch die Studenten gaben nicht nach – die letzten 19 Bewohner weigerten sich schlicht, aus ihren Zimmern auszuziehen. Inzwischen hatten sie gemerkt, dass sie nicht nur in einem architektonischen Kleinod saßen, sondern auch in einem Stück West-Berliner Zeitgeschichte:

    Da gab es die Fluchthelferbewegung nach dem Mauerbau. Die Aufhebung der Geschlechtertrennung – früher gab es hier Frauen- und Männerhäuser. Mitte der Sechziger hat es dann eine Tauschbörse auf dem Dorfplatz gegeben, durch die die Trennung aufgehoben wurde. Die Hausordnung sagte damals, dass man um zehn Uhr abends die Häuser des anderen Geschlechts verlassen haben musste.

    Selbst Rudi Dutschke soll einmal versucht haben, durch eine Flucht über die Dächer des Studentendorfs der Polizei zu entkommen. Allerdings besteht die Anlage in Schlachtensee aus Einzelhäusern – der Studentenführer manövrierte sich also selbst in die Falle.

    Den Durchbruch im Kampf gegen die Abrisspläne brachte den Bewohnern aber ausgerechnet jemand, der das Dorf unbedingt verkaufen wollte. Jens-Uwe, der Sprecher der Bewohner, findet das noch heute lustig:

    Wir hatten hier eine Runde, auf der ein CDU-Abgeordneter sich sehr negativ geäußert hat: ,Diese Baracken gehören abgerissen! Die sehen sowieso scheiße aus!" Das hat er wirklich so gesagt. Doch einer der ehemaligen Bewohner kannte Professor Hämer, den Leiter der Internationalen Bauausstellung und ehemaligen Bauhaus-Direktor. Und der stand wutentbrannt auf, motzte den Abgeordneten zusammen und sagte: ,So – jetzt müssen wir einen Freundeskreis gründen, um die Bewohner ein bisschen zu unterstützen.

    Der Professor nahm die Sache persönlich – und fortan konnten die Bewohner mit professioneller Hilfe den Kampf um den Erhalt des Studentendorfes aufnehmen. Man entwickelte ein Genossenschaftsmodell und fand einen Investor aus der Immobilienwirtschaft, der Geld beisteuerte und dafür nur zwei Parkplätze bebauen wollte. Am 29. Dezember 2003 war es dann soweit: Der Vertrag mit dem Liegenschaftsfonds des Landes Berlin wurde unterschrieben - die Studenten hatten ihr eigenes Dorf gekauft.

    Zwar will man sich noch nicht zu laut freuen, denn das Abgeordnetenhaus muss noch zustimmen. Doch das hat in der Vergangenheit schon mehrfach bekundet, dass man auf der Seite der Bewohner steht. Die haben deshalb schon damit begonnen, ihr Dorf in Eigenleistung wieder herzurichten. Für das Sommersemester sollen bereits 400 der ursprünglich rund 1000 Wohnheimplätze wieder zur Verfügung stehen. Den Vorsitz der Genossenschaft hat Jens-Uwe übernommen – ein Fulltime-Job, für den er sogar sein Germanistik-Studium kurz vor dem Examen sausen ließ. Und als Dorf-Chef macht er schon mal ein bisschen Werbung für das Studentendorf Schlachtensee:

    Wie gesagt – wir brauchen noch viel Unterstützung, um das Sanierungskonzept auf die Beine zu stellen. Wir setzen auch darauf, dass sich die ehemaligen Bewohner bei uns melden und uns unterstützen.

    Weitere Infos zum Thema:
    Studentendorf