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Studentenmangel im Land der Dichter und Denker

Vorlesungsende in der Universität Bonn: Hunderte junge Leute strömen aus den vollgepackten Hörsälen in die Flure, viele froh, der drangvollen Enge zu entkommen. Vor allem den Erstsemestern macht der Wechsel vom Klassenzimmer an die Massen-Uni noch zu schaffen.

Claudia Rometsch |
    Man ist erst mal mit den Räumlichkeiten etwas überfordert, zu finden, wo man halt hingehen soll.

    Es sitzen Leute auf der Treppe, müssen sich Stühle von woanders holen. Ich hab erst mal gedacht: Oh mein Gott, wo bin ich hier und wo soll ich hin, dachte, alles so groß, ich so klein. Also ich war super verwirrt.

    Am Anfang war ich total schockiert. Das war etwas ganz Neues für mich, mit mehr als 300 Leuten zusammen in einem Raum zu sitzen und mich irgendwie zu konzentrieren.

    Nicht nur in Bonn, sondern auch in vielen anderen Städten scheinen die Hochschul-Gebäude aus allen Nähten zu platzen. Im laufenden Wintersemester 2003/2004 schrieben sich erstmals mehr als zwei Millionen Studierende an deutschen Hochschulen ein. Vielerorts sind die Räumlichkeiten diesem Ansturm nicht gewachsen - und die Dozenten auch nicht. Die angehenden Akademiker drängeln sich auf Fensterbänken, Treppenstufen oder verfolgen die Vorlesungen via Bildschirm. Für sie mag die Botschaft, die die in Paris ansässige OECD jüngst nach Deutschland sandte, wie blanker Hohn klingen: In einer Studie behauptet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in der Bundesrepublik gebe es zu wenig Studenten.

    Manch einer mag über diese Nachricht ungläubig den Kopf geschüttelt haben. Aber die Statistiken der OECD zeichnen ein anderes Bild. Die Studie "Bildung auf einen Blick" verglich die Studienanfängerquoten der 30 OECD-Mitgliedsländer; das sind die größten Industriestaaten der Welt. Das Ergebnis: In Deutschland nehmen nur knapp 40 Prozent eines Jahrganges ein Studium auf. Damit liegt die Bundesrepublik deutlich unter dem OECD-Durchschnittswert von 47 Prozent und abgeschlagen hinter den meisten anderen europäischen Ländern.

    Zum Vergleich: Spitzenreiter ist Neuseeland, wo rund drei Viertel eines Jahrgangs ein Studium aufnehmen. Auch die Studienanfängerquoten in Finnland mit 72 Prozent oder Schweden mit 69 Prozent zeigen, dass Deutschland den Anschluss an die Spitze verpasst hat. Nach dem PISA-Schock nun auch noch Studentenmangel im Land der Dichter und Denker? Andreas Schleicher, Chef der Bildungsstatistik bei der OECD, charakterisiert die Lage so:

    In der Bilanz ist Deutschland deutlich zurückgefallen, wenn man über lange Zeiträume spricht. In Deutschland ist nichts schlechter geworden, nur die Dynamik, mit der das Bildungssystem aus- und umgebaut wurde, war wesentlich geringer ausgeprägt. Im Hochschulbereich war Deutschland vor einer Generation auf Platz 12, 13. Heute ist es auf Platz 24. Nicht weil in Deutschland irgendetwas schlechter geworden ist, sondern weil andere Länder eben so energisch ihre Bildungssysteme aus- und umgebaut haben.

    Ähnlich wie die Ergebnisse der PISA-Studie viele kaum überrascht haben, sind auch die Erkenntnisse der jüngsten OECD-Studie nicht wirklich neu. Die Wirtschaft klagt seit geraumer Zeit darüber, dass ihr hochqualifizierte Naturwissenschaftler und Ingenieure fehlen. Der mangelnde Nachwuchs an Akademikern könnte nach Ansicht der OECD für Deutschland zur Wachstumsbremse werden.

    Heute hängt Produktivitätszuwachs, hängt Wirtschaftswachstum ganz entscheidend von Bildung ab. Wir sehen, dass Unterschiede beim Produktivitätszuwachs, Unterschiede beim wirtschaftlichen Fortschritt ganz entscheidend auf Unterschiede zwischen den Staaten im Aus- und Umbau ihres Bildungssystems zurückzuführen sind. Wenn Sie zum Beispiel sehen - ein Land wie England: Dort können Sie einen erheblichen Anteil des Produktivitätszuwachses durch Zuwächse im Bildungsbereich erklären. In Deutschland ist eine Erklärung, warum der Produktivitätszuwachs so gering ausfällt, die, dass es im Bildungsbereich praktisch über 20 Jahre hinweg Stillstand gegeben hat.

    Doch wo soll der dringend benötigte akademische Nachwuchs herkommen, wenn es immer weniger junge Leute gibt? Darüber machen sich auch die Hochschulen Sorgen, wie Professor Peter Gaethgens, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, erklärt:

    Es ist denkbar, dass ab 2010 mit dieser demografischen Entwicklung die Zahl der Hochschulabsolventen deutlich sinken wird. Und das muss man sich gut überlegen, ob man das gut findet oder einfach so geschehen lassen kann, oder ob man jetzt, in letzter Minute eigentlich, denn 2010 ist nicht weit weg, das sind noch sieben Jahre, jetzt noch etwas aktiv unternehmen muss, um dem entgegenzuwirken.

    Eine Möglichkeit: Mehr Abiturienten müssten für ein Hochschulstudium gewonnen werden. Denn derzeit entscheiden sich dafür nur zwei Drittel der Jugendlichen mit Hochschulreife. Die Universitätsausbildung habe bei vielen jungen Leuten ein schlechtes Image, klagen die Hochschulrektoren. Die schlechten Studienbedingungen an vielen Unis haben sich mittlerweile herumgesprochen. Viele Jugendliche seien einfach unsicher, ob sich die jahrelange Plackerei an der Massen-Uni auszahle.

    Insofern müsste man, denke ich, noch sehr viel deutlicher machen als bisher, dass ein Hochschulstudium nach wie vor eine außerordentlich positive Lebenschance bedeutet. Denn es ist immer noch so, dass die Hochschulabsolventen in der Statistik nicht nur einer geringeren Arbeitslosigkeit ausgesetzt sind, ungefähr etwas weniger als zwei Prozent im Gegensatz zu zehn Prozent ansonsten, und dass sie ein durchschnittlich höheres Lebenseinkommen erzielen.


    Doch viele Abiturienten fühlen sich einfach schlecht informiert. Und häufig stellen sie an der Uni fest, dass in der Schule nicht die notwendigen Grundlagen für ihr Studium gelegt worden sind.

    Nach dem Abi hab ich erst mal einfach ein Jahr nur gejobbt und so, weil ich wirklich keine Ahnung hatte von den verschiedenen Studienfächern. Und es ist Wahnsinn, wenn man dann so ein Buch in die Hand gedrückt bekommt, wo dann, weiß ich nicht, 100 verschiedene Studienmöglichkeiten da drin stehen. Man hat keine Ahnung, wie das dann aussieht, wohin man gehen will, in welche Stadt, das war schon ziemlich schwierig, das war bei mir ziemlich schlecht vorbereitet.

    Ich habe nie irgendwas über Statistik gelernt. Im Nachhinein hat sich dann herausgestellt, dass mein Mathe-Lehrer selber gar kein Statistik konnte und das deswegen nicht im Abi gemacht hat. Und da habe ich mich auch gefragt, was ist das für eine Vorbereitung auf späteres Uni-Leben.

    Die schlechte Vorbereitung gilt als ein Grund für die hohen Abbrecherquoten an der Universität. Rund ein Viertel aller Studienanfänger verlässt die Alma Mater ohne Abschluss. Nach Ansicht der Wirtschaft sind das viel zu viele.

    Die Zahl der Akademiker ließe sich allein schon steigern, wenn mehr Studenten ihr Studium erfolgreich beenden würden. Erste Voraussetzung dafür, sei die richtige Studienwahl, erklärt Ulrich Heublein vom Hochschul-Informationssystem. Er untersuchte im Auftrag des Bundesbildungsministeriums die Ursachen für die hohe Zahl der Studienabbrüche.

    Wir müssen den jungen Leuten mehr Möglichkeiten verschaffen, mehr Kontrollen verschaffen, die richtige Entscheidung zu treffen. Wir müssen dazu überlegen, über Tests, dann über Vermittlung, frühzeitige Vermittlung schon vor dem Studium, der Leistungsansprüche, der Inhalte, dann der Studienbedingungen, was sie im Studium erwartet. Und des weiteren ist es auch wichtig, dass gerade Studienanfänger in den ersten Semestern eine besondere Betreuung erfahren.

    Doch gerade hier hapert es gewaltig. Mangelnde Beratung und undurchsichtige Studienordnungen machen vielen Studenten zu schaffen. Kommt dann noch ein weiteres Problem hinzu wie Krankheit, Geldmangel oder familiäre Belastungen, so ist nach Heubleins Beobachtungen der Studienabbruch programmiert.

    Daniel Batzdorf ist so ein Fall. Er wollte ursprünglich Lehrer für Geografie und Sozialwissenschaften werden. Von Anfang an hatte er Schwierigkeiten, sich im Dschungel komplizierter Studienordnungen zurechtzufinden. Dann brachte ihn eine einfache Grippe ins Straucheln.

    Das Problem ist eben, dass man sich sehr viel Arbeit macht, vor allem in diesen Einführungsseminaren, wo man eine Klausur schreiben muss am Ende, und dann zum Semesterende sich eine schwere Grippe einhandelt und dann nicht die Möglichkeit hat nachzuschreiben. Tja, und damit war dann dieser Schein für ein Jahr verloren.

    Einen Nachschreibtermin für die verpasste Klausur gab es nicht. Und im nächsten Semester wurde das betreffende Seminar nicht angeboten. Die Folge: Batzdorf konnte auch das Anschluss-Seminar nicht besuchen und verlor ein Jahr. Weitere Probleme folgten. Der Student musste sich eine Zeitlang um seine schwer kranke Mutter kümmern und versäumte erneut eine Klausur - wieder ohne die Möglichkeit nachzuschreiben. Schließlich legte ihm dann noch eine Änderung der Studienordnung weitere Steine in den Weg.

    Da führt eigentlich eins zum anderen, dass man anfängt, zwar mit dem Leitfaden der Studienordnung gen Studienende zu studieren, aber man im Endeffekt wie ein Schiff auf dem Wasser hin und her schwappt, weil ständig irgendwelche Änderungen vorgenommen werden sind und man sich diesen Gegebenheiten anpassen musste.


    Das Fazit: Batzdorf hängte sein Studium nach neun Semestern an den Nagel. Damit ist er keine Ausnahme. Die meisten Studienabbrecher geben erst sehr spät auf. Im Durchschnitt verlassen sie die Uni erst nach siebeneinhalb Semestern.

    Für Batzdorf ging die Sache gut aus. Nach einer kaufmännischen Lehre erhielt er sofort ein attraktives Job-Angebot. Doch wenn in einigen Jahren händeringend Lehrer gesucht werden, wird die Stelle, die er hätte besetzen können, möglicherweise leer bleiben.

    An der Universität scheint immer noch die Ansicht zu gelten: Nur wer es alleine schafft, die Widrigkeiten des Studiums zu überwinden, ist eines Abschlusses würdig. Doch wenn das Ziel sein soll, mehr Akademiker heranzubilden, dann könne man sich diese Einstellung auf Dauer nicht leisten, meint Ulrich Heublein vom Hochschul-Informationssystem:

    Wir müssen unsere gesamte Lehrgestaltung überlegen. Wir brauchen Orientierung, wir brauchen eine stärkere Betreuung, wir brauchen eine bessere Strukturierung in der Lehre.

    Und das heißt auch: Entrümpelung unübersichtlicher Studienordnungen und ein stärkerer Praxisbezug der Hochschulausbildung - eine echte Reform des Hochschulsystems eben, wie sie auch die OECD anmahnt. Und das scheint nun immerhin in Sicht zu sein. Denn Deutschland hat sich gemeinsam mit 29 anderen europäischen Staaten dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2010 ein einheitliches Hochschulsystem einzuführen. Das wurde in der sogenannten Bologna-Erklärung von 1999 festgelegt.

    Gleich ob in Helsinki oder Madrid, in Aachen oder Zagreb - überall sammeln die Studenten künftig Leistungspunkte, die das Studium vergleichbar machen sollen. Der so genannte Bologna-Prozess gilt als die größte Hochschulreform seit den 70er Jahren. Denn künftig soll das Studium - wie bereits im angelsächsischen Raum üblich - auch in Deutschland zweistufig werden.

    "Bachelor" und "Master" heißen die Studienabschlüsse der Zukunft. Mit dem neu eingeführten Bachelor soll es möglich werden, schneller als bisher, nämlich bereits in drei bis vier Jahren, einen Hochschulabschluss zu erlangen. Dieser Abschluss soll sich vom Master dadurch unterscheiden, dass er praxisbezogener ist.

    Eine sinnvolle Neuerung, meint der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Denn die traditionelle wissenschaftliche Ausbildung an den deutschen Hochschulen gehe oftmals am Bedarf des Arbeitsmarktes vorbei. Die Reform biete nun Gelegenheit, die Studienordnungen zu entschlacken.

    Das ist schon ein schwieriger Prozess, der aber nötig ist und der vor allen Dingen die Erkenntnis voraussetzt, dass Studenten an der Universität nicht studieren, um Nobelpreisträger zu werden, und dass sie in der Regel auch nicht studieren, um Wissenschaftler zu werden, sondern dass sie in einen akademischen Beruf gehen wollen. Das muss die Universität verstehen und akzeptieren, gerade dann, wenn man mehr als die 30 Prozent eines Jahrgangs in die Hochschulen holen will.

    Bislang machen die neuen Studiengänge noch nicht einmal ein Fünftel des Angebots an deutschen Unis aus. Und auch der Zuspruch der Studenten ist noch verhalten. Nur dreieinhalb Prozent haben sich bislang für einen Bachelor-Studiengang eingeschrieben. Bis zum Jahr 2010 bleibt also noch viel zu tun.

    Die Wirtschaft wirbt für die neuen Studiengänge. Denn sie bieten aus Sicht der Unternehmen noch einen weiteren Vorteil: Berufstätigkeit und Studium werden sich so in Zukunft besser verzahnen lassen, glaubt Dirk Werner vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Denn es gehe nicht nur darum, mehr Abiturienten zum Studium zu bewegen. Lebenslanges Lernen müsse das Ziel sein, um künftig den Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften decken zu können.

    Das heißt, wir müssen eigentlich es schaffen, mehr Übergänge von der Berufsausbildung in den tertiären Bereich bereitzustellen. Also mehr Absolventen auch einer Lehre zum Beispiel zu motivieren, sich später auf akademischem Niveau weiterzubilden.

    Auch die Politik hat das mittlerweile erkannt. Karin Wolff, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und hessische CDU-Politikerin:

    Parallel dazu, glaube ich, sind alle Anstrengungen, die wir ja gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz und auch dem BmBF unternehmen etwa Weiterqualifizierung nach einer beruflichen Ausbildung in den Blick zu nehmen, indem die Hochschulen wesentliche Teile dieser Ausbildung dann schon akzeptieren als Studienbestandteile.

    Damit scheint Deutschland aus Sicht der OECD auf dem richtigen Weg zu sein. Die Organisation empfiehlt der Bundesrepublik nämlich, für eine breitere Bildungsbeteiligung zu sorgen. Auch bei den Studienanfängern lässt sich ein positiver Trend feststellen. Seit 1993 steigt ihre Zahl kontinuierlich. Besteht nun also kein Grund mehr zur Sorge? Ganz so ist es nicht. Die OECD bescheinigt Deutschland einen großen Nachholbedarf.

    Diese positiven Bewegungen, die man jetzt beobachten kann, müssen sich noch lange fortsetzen, um nur annähernd in die Leistungsspitze wieder zurückzukommen.

    Hinzu kommt: Die Reform des Systems löst nicht automatisch alle Probleme, die heutzutage den Erfolg eines Studiums gefährden. Denn die schlechte Betreuung, an der so viele Studenten scheitern, lässt sich allein durch die Einführung von Bachelor und Master nicht beheben, betont Professor Peter Gaethgens, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz:


    Die Hochschulen werden in ihrer derzeitigen finanziellen Lage an diesen Stellen nicht sehr viel mehr tun können als was sie tun, nicht sehr viel mehr Beratung und Betreuung anbieten als sie es de facto tun. Das wird nur gelingen, wenn wir endlich begreifen, dass wir diese Chancen selbst boykottieren, wenn wir den Hochschulen, wie es im Moment geschieht, überall diese finanziellen Daumenschrauben anziehen.

    Doch die Kassen der Bundesländer sind leer. Und trotz aller Beteuerungen, der Bildung Vorrang einzuräumen, sparen sie auch an den Hochschulen. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn ist das ein Dorn im Auge. Sie schlug den Ländern deshalb einen Pakt für die Hochschulen vor, für den sie im kommenden Jahr 32 Millionen Euro zur Verfügung stellen will. Mit dem Geld sollen Hochschulen mit besonders niedriger Abbrecherquote und einer reformierten Studienstruktur belohnt werden.

    So hofft die Ministerin, Anreize für eine bessere Betreuung der Studenten zu setzen. Doch bei den Ländern stößt dieses Angebot auf wenig Gegenliebe. Die Hochschulpolitik sei Länderangelegenheit, betont die CDU-Politikerin Karin Wolff und gibt den Schwarzen Peter zurück an den Bund:

    Der Bund gibt in einigen Bereichen in der Tat Geld für die Hochschulen. Allerdings muss ich auch feststellen, dass nicht nur in den Ländern in einigen Bereichen, sondern im Hochschulausbau und bei den Bundeszuschüssen der Bund es ist, der kürzt und zwar schon mehrere Jahre hintereinander, als die Länder noch gesteigert haben. Insofern - zu einem Pakt gehört immer die Verlässlichkeit von beiden Seiten.

    Weder die Länder noch der Bund, so scheint es, sind derzeit in der Lage, die Hochschulen mit den notwendigen finanziellen Mitteln auszustatten. Die Zeichen mehren sich, dass die Einführung von Studiengebühren nur noch eine Frage der Zeit ist. Bislang gingen die Ansichten dazu quer durch die Parteien auseinander. Doch zumindest in der Union scheint sich nun eine Linie durchzusetzen.

    CDU-Chefin Angela Merkel sprach sich Anfang Dezember entschieden für Studiengebühren aus und kritisierte, dass sie den Ländern bislang gesetzlich untersagt seien. Doch möglicherweise nicht mehr lange. Derzeit klagen sechs unions-regierte Länder vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Verbot. Auch die Präsidentin der Kultusministerkonferenz hält Studiengebühren unter gewissen Voraussetzungen für vertretbar:

    Alles was an Studiengebühren erwirtschaftet würde, bleibt in der Hochschule, und die anderen Mittel können darüber nicht gekürzt werden. Zum zweiten ist absolute Bedingung, dass sie sozial ausgewogen sind. Das bedeutet, wir bräuchten entsprechende Darlehens- und Stipendiensysteme, die es ermöglichen, dass jeder der es geistig kann, auch studieren kann, sein Studium aufnehmen kann.

    Kritiker führen an, dass durch Studiengebühren die Zahl der Akademiker weiter sinken werde. Denn vor allem Jugendliche aus einkommensschwachen Elternhäusern würden so von einem Studium abgeschreckt. Volkswirt Dirk Werner glaubt hingegen, dass genau das Gegenteil der Fall sein wird:

    Wenn wir den internationalen Vergleich machen, sind Studiengebühren ein probates Mittel, siehe Australien oder siehe andere Länder, die das sehr erfolgreich und auch sozialverträglich umsetzen und sogar die Studierendenzahlen sehr stark gesteigert haben. Hätte auch noch den anderen Vorteil, dass eben die Studenten für die Hochschule eine andere Rolle bekommen, also eher den Status des Kunden, um den man sich zu kümmern hat, wo man eben den so intensiv und so gut begleiten muss, dass er eben erfolgreich zum Abschluss kommt, weil daran dann entsprechend die Finanzmittel gekoppelt sein sollten.

    In der Bonner Universität, der sechstgrößten deutschen Hochschule, blättert an vielen Stellen der Putz von den Wänden. In den Bibliotheken der einzelnen Seminare können schon lange nicht mehr alle wichtigen Zeitschriften und Bücher für die rund 38.000 Studierenden angeschafft werden. Mangelwirtschaft gehört zum Alltag an deutschen Hochschulen. Schlechte Voraussetzungen für ein Land, das in Zukunft dringend mehr Akademiker braucht. Deshalb sehen auch die Hochschulen nur einen Ausweg:

    Ich halte einen finanziellen Beitrag der Studierenden zum Studium für unabdingbar notwendig. Und ich bin auch der Meinung, dass es nicht lange dauern wird, und dann haben wir es. Denn so fortschreiben - die Situation, wie sie jetzt sich andeutet, können wir auf gar keinen Fall. Dann werden wir keines der bildungspolitischen Ziele erreichen, die wir so oft in den Zeitungen lesen können und die die Politik so oft formuliert. Weder die Internationalisierung noch die Bekämpfung von Abbruchquoten noch eine Steigerung der Akademikerquote. Das werden wir alles nicht hinkriegen, wenn wir nicht eine ganz neue Finanzierungsquelle erschließen.