Dienstag, 21. Mai 2024

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Studentenproteste in Berlin

Schulz: Protest in Berlin. Studierende besetzen immer noch das Büro von Wissenschaftssenator Thomas Flierl. Sie protestieren gegen die Sparpläne des Berliner Senats. Flierl hatte bereits gestern Abend damit gedroht, die Polizei zu rufen; er wollte die Studierenden notfalls heraustragen lassen. Markus Rimmele war bis gerade dort vor Ort, wie ist denn die Lage im Büro des Senators?

Friederike Schulz im Gespräch mit Markus Rimmele | 26.11.2003
    Rimmele: Im Senatorenbüro ist die Lage im Moment sehr entspannt, aber ich habe jetzt gerade eine neue Information bekommen, demnach soll inzwischen die PDS-Bundeszentrale von rund 70 Studierenden auch besetzt sein, es ist noch nicht bestätigt, aber so hat mir eine recht verlässliche Quelle, eine Studentin eben gesagt, mal sehen, wie es da weitergeht. Im Büro des Wissenschaftssenators Thomas Flierl ist die Lage recht entspannt, dort haben sich die Studierenden entschlossen, eine Entscheidung, wie es nun weitergehen soll, auf heute Abend zu verschieben. Man möchte die Vollversammlungen abwarten und auch Flierl macht im Moment noch keinen Gebrauch von seinem Hausrecht, er hat noch nichts unternommen, lässt noch nicht die Polizei kommen, insofern ist noch unklar, wie es da weitergeht. Die Besetzung ist also schon am zweiten Tag angelangt, das Ganze ging gestern Nachmittag als spontane Idee los, 40 Leute haben sich einfach im Büro eingenistet, die Möbel etwas umgeräumt, sich in den Schreibtischsessel gesetzt und Kekse gegessen, es sich also wirklich recht gemütlich gemacht, so war zumindest das Bild. Wenn man das bewerten möchte, ist da natürlich viel Medienaufmerksamkeit für die Sache der Studierenden, aber man muss sagen, sie sprechen in erster Linie nur für sich, es ist keine offizielle Delegation der Studierendenschaft in Berlin, sondern das sind nur diese 40, die sich dort im Büro festgesetzt haben. Draußen vor dem Gebäude aber hat eine kleine Solidaritätsdemonstration stattgefunden, sie finden also schon Unterstützung in der Berliner Studierendenschaft.

    Schulz: Was sind denn genau ihre Forderungen, die sie mit dieser Besetzung durchsetzen wollen?

    Rimmele: Sie richten sich vor allem gegen die Sparvorgaben des rot-roten Senates. Es sind dort 75 Millionen Euro geplant, die die Universitäten in den Jahren 2006 bis 2009, nach den neuen Hochschulverträgen jährlich nicht mehr haben sollen und das, obwohl die drei Universitäten seit der Wende rund ein Drittel ihrer Etats verloren haben. Ein Sprecher der Studierenden:

    Diese Einsparungen, wenn sie so kommen, bedeuten mehr oder weniger der Tod für die Lehre und Forschung hier in Berlin. Genau aus diesem Grund sind wir hier und akzeptieren keine weiteren Einsparungen. Wir können sie nicht akzeptieren, weil wir uns damit unserer Zukunft berauben.

    Die Studierenden wollen bleiben, bis Thomas Flierl einen Schritt auf sie zu macht. Natürlich kann niemand erwarten, dass die geplanten Einsparungen per Federstrich wieder rückgängig gemacht werden, aber zumindest wollen die Studierenden ein Zeichen setzen, und das ist ihnen sicherlich gelungen.

    Auf den ersten Blick ist es eigentlich erstaunlich, dass erst jetzt der Protest so hoch kocht, denn die Zahlen sind eigentlich schon lange bekannt. Blankes Entsetzen ist aber jetzt erst so richtig aufgekommen, weil die Universitäten angefangen haben, diese Sparvorgaben in konkrete Streichungen umzusetzen. Demnach will die Freie Universität 82 Professuren abschaffen, Musikwissenschaften soll ganz wegfallen. An der Humboldt-Universität ist es ähnlich: Dort will man sogar die landwirtschaftlich-gärtnerische Fakultät schließen, und in der Technischen Universität sind gar alle Geisteswissenschaften in Gefahr. Außerdem richtet sich der Protest gegen die zu geringe Ausfinanzierung von Studienplätzen und auch gegen geplante Studienkonten und -gebühren. Neu ist: Morgen soll es eine Demonstration der drei Universitäten geben, zu der auch andere Gruppen, die, so wie die Studierenden sagen, auch von Sozial- und Bildungsabbau betroffen sind und ganz explizit mit eingeladen sind.

    Schulz: Wie sieht es denn aus, in Berlin wird ja jetzt an allen drei Universitäten gestreikt, wie ist denn da die Stimmung?

    Rimmele: Sie kocht tatsächlich erst jetzt hoch, es hat eine ganze Weile gedauert, bis dieser Protest so richtig ins Laufen kam. Es liegt vor allem daran, dass jetzt erst konkret erfahrbar wird, was es für Auswirkungen haben könnte, wenn es wirklich so weit kommt. Jetzt finden am Nachmittag noch zwei Vollversammlungen statt, und da wird es dann spannend, wie das Ganze weitergehen soll. An der TU und HU beraten gerade die Studierenden und dann wird man sehen, ob weitergestreikt wird oder ob es gar eine gemeinsame Erklärung der Berliner Studierenden gibt. Davon wird es Thomas Flierl wahrscheinlich auch abhängig machen, vom Ergebnis dieses Nachmittags, wie er jetzt weiter mit der Besetzung seines Büros verfährt, aber fest steht auf jeden Fall: Der Protest intensiviert sich zur Zeit noch, und das wird sicherlich nicht die letzte Aktion bleiben, die wir hier in Berlin erlebt haben, und wenn stimmt, was ich zu Beginn gesagt habe, ist die nächste Aktion schon im Gange, nämlich die Besetzung der PDS-Zentrale, doch das ist noch nicht ganz bestätigt.