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Studentenunruhen als Ausdruck eine Generationenkonfliktes

Der Konflikt zwischen Gewerkschaften und Studenten- und Schülerverbänden auf der einen Seite und Frankreichs Premier Dominique de Villepin auf der anderen Seite spitzt sich zu: Aus Protest gegen die geplante Lockerung des Kündigungsschutzes für Berufsanfänger wird bereits mit einem Generalstreik gedroht. Michaela Wiegel, Frankreich-Korrespondentin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", sieht die Proteste als Frühindikator für den aufkommenden Generationenkonflikt in Europa.

    Frankreichs Jugend probt den Aufstand. Nach der blinden Gewalt einer perspektivlosen Vorstadtjugend im vergangenen Spätherbst sieht sich die rechtsbürgerliche Regierung unter Premierminister Dominique de Villepin schon wieder mit aufgebrachten Jugendlichen konfrontiert, die dieses Mal überwiegend aus den besseren Wohnvierteln kommen. Den Anstoß für die wachsende Protestlust der Studenten und Oberschüler lieferte die im Alleingang beschlossene Lockerung des Kündigungsschutzes für Berufsanfänger. Der Einstieg in den Arbeitsmarkt sollte den unter 27-Jährigen erleichtert werden, indem den Arbeitgebern eine auf zwei Jahre ausgedehnte "Probephase" des unbegründeten "Heuerns und Feuerns" zugebilligt wurde.

    Hinter der Reform des Arbeitsrechts wittern die aufbegehrenden jungen Leute den Versuch einer zutiefst ungerechten Lastenverteilung. Ihrer Generation solle nicht nur der von Eltern und Großeltern angehäufte Schuldenberg und die Rentenfinanzierung in einer überalterten Gesellschaft aufgebürdet werden. Nein, sie sollen auch in jungen Jahren jene Wettbewerbsfähigkeit in prekären Arbeitsverhältnissen vorführen, welche die davon verschonten Politikergenerationen in Sonntagsreden immer einfordern.

    Unerwartet zeichnet der Aufruhr in der französischen Jugend den kommenden Generationenkonflikt vor, der sich auf die Frage konzentriert, wen die Spar- und Wettbewerbszwänge im Globalisierungszeitalter treffen: die Alten, die Jungen, oder alle gleichermaßen? Wohin eine einseitige Belastung der nachfolgenden Generationen führt, demonstriert Frankreich in einer Art unrühmlichen Vorreiterrolle. Aus der Malaise der um ihre Zukunft bangenden Jugend wird offener Protest, der teils gar in Gewalt umschlägt.

    Spezifisch französisch ist dabei nur die Tatsache, dass "die Älteren" in ihrer Vorbildrolle versagt haben. Die Besitzstandswahrer setzten sich durch und ließen Reformen zu Reförmchen schrumpfen, was französischen Rentnern bislang schmerzliche Kürzungen erspart hat. Die junge Generation aber weiß nur zu gut, dass die Reformen nur aufgeschoben wurden. Ihre Revolte richtet sich gegen die selbstvergessenen Entscheider von heute, die sich von den Veränderungen ausnehmen, die sie den Jungen zumuten wollen. Ihre Risikobereitschaft kennt da Grenzen, wo sie sich als Versuchsobjekte einer Entwicklung sehen, der sich ihre Eltern mit Flucht in öffentliche Beschäftigungsverhältnisse oder in eine mit Versicherungsverträgen erkaufte Stabilität entzogen haben.

    Da darf es nicht verwundern, wenn auch unter jungen Leuten die Angst vor Sozialabbau stärker ausgeprägt ist als die Hoffnung auf neue Chancen. Frankreich wird sich wie alle europäischen Gesellschaften einer aufrichtigen Debatte über einen neuen Generationenvertrag nicht entziehen können.