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Studentische Informationsbeschaffer
Spielanalysen an der DSHS sollen zum EM-Erfolg beitragen

An der Deutschen Sporthochschule leisten Studierende wertvolle Hintergrundarbeiten für die deutsche Fußballnationalmannschaft. Zugleich werden sie zu begehrten Mitarbeitern für die Profiklubs ausgebildet.

Von Daniel Theweleit | 31.01.2021
Der Eingangsbereich am Hauptgebäude der Deutschen Sporthochschule Köln
Der Eingangsbereich am Hauptgebäude der Deutschen Sporthochschule Köln (imago sportfotodienst)
Der Erfolg der Fußballnationalmannschaft im Elfmeterschießen gegen Argentinien im Viertelfinale gehört zu den denkwürdigsten Momenten der Heim-WM von 2006. Deutschland lag sich in den Armen. Und als der Jubel verklungen war, wurde zum ersten Mal öffentlich über eine Gruppe von im Verborgenen arbeitenden Helfern diskutiert, die an diesem Sieg mitgewirkt hatten. Studierende von der Deutschen Sporthochschule Köln hatten Informationen über die argentinischen Schützen zusammengetragen, die Torhüter Jens Lehmann zwischen den Schüssen von einem Zettel ablas. Der Zettel liegt mittlerweile im Haus der Geschichte in Bonn, und das sogenannte "Team Köln" ist zu einer fest etablierten Instanz im Umfeld der Nationalmannschaft geworden.

Die Anfänge des "Team Köln"

"Damals startete das Projekt ganz klein mit 15 Studenten, und wir hatten sechs Monate Zeit, um zu gucken wie das Team Köln die A-Nationalmannschaft unterstützen kann," erinnert sich Alexander Otto von der Deutschen Sporthochschule.
"Seitdem ist das Projekt von Turnier zu Turnier gewachsen. Und wir befinden uns jetzt gerade zum zweiten Mal in der Phase Vorbereitung Europameisterschaft 2020/ 2021."

Zertifikatsstudiengang wird vom DFB finanziell unterstützt

Derzeit sind 60 Studierende dabei, die neuesten Informationen über die Spieler aus Frankreich, Portugal und Ungarn zu sammeln, auf die die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw im Sommer treffen soll. Allerdings erledigen sie nicht mehr nur einen besonders interessanten Nebenjob. Aus dem Projekt ist der Zertifikatsstudiengang "Spielanalyse Team-Köln" geworden, den der DFB finanziert. Gerade hat die vierte Kohorte von diesmal sogar 80 Studierenden mit der zweijährigen Spezialausbildung begonnen. Während der vorige Jahrgang noch die angefangene Arbeit zur 2020 abgesagten EM zu Ende bringt. Der Höhepunkt der Ausbildung in diesen zwei Jahren ist immer eine Turniervorbereitung für die A-Nationalmannschaft.
"Der Zertifikatsstudiengang ist immer so angelegt, dass ein großes Turnier der A-Nationalmannschaft in diesen zwei Jahren stattfinden wird. Und unsere Aufgabe ist es, die Analysten so vorzubereiten, dass wir dann auf einem hohen Niveau die Nationalmannschaft unterstützen können", sagt Alexander Otto. Und die Absolventen sind mittlerweile gefragte Spezialisten im professionellen Fußball. Der Studiengang ist so populär, dass die Teilnehmer unter den vielen Bewerbern mit Hilfe einer Aufnahmeprüfung ausgewählt werden müssen. Einer, der es geschafft hat, ist der 23 Jahre alte Thomas Hasemann.
"Als aktiver Fußballer war für mich dieses Themenfeld Spielanalyse und Scouting schon immer von Interesse und ich habe mit Start meines Studiums hier an der Sporthochschule angefangen, mich zu informieren, welche Möglichkeiten ich habe, was ich in dem Bereich machen kann, um mich weiterzubilden. Ich bin dann relativ schnell aufs Team Köln gestoßen und habe mich dann hier beworben und eben den Zertifikatsstudiengang so durchlaufen."

Menschliche Beobachtungsgabe ist gefragt

Nun hilft Hasemann bei der Vorbereitung der EM im kommenden Sommer. Seine Arbeit sieht aber ganz anders aus als das Werk seiner Vorgänger von 2006. Die Flut der verfügbaren Daten über Mannschaften und Spieler ist enorm gewachsen, während zugleich immer klarer wurde, dass die Aussagekraft von Quoten und Statistiken zu Pässen, Vorlagen, Sprints, Zweikämpfen oder gelaufenen Kilometern beschränkt ist. Nach einer Phase, in der Analysten darauf hofften, das Spiel mit Daten, Algorithmen und Softwaretools auf ein neues Niveau heben zu können, steht derzeit wieder die menschliche Beobachtung im Vordergrund. Akribisch inspizieren die Studierenden Stärken, Schwächen, Angewohnheiten und Verhaltensweisen gegnerischer Spieler.
"Wenn ich mal als Beispiel die Einzelspieleranalyse rausnehmen würde, sieht das dann so aus, dass man einfach sehr konsequent diesen Spieler im Verlauf des Spiels beobachtet und schaut, was er macht und wie er es macht und wie er gewisse Dinge umsetzt. Und daraus versucht man eben, seine Schlüsse zu ziehen. Und das anschließend aufs Papier zu bringen und mit Timecodes zu hinterlegen, um das Ganze bestmöglich an den DFB vermitteln zu können."

Relevanz der Spielanalysten steigt

Es geht um die berühmten Details – darum zu wissen, dass beispielsweise ein gegnerischer Innenverteidiger zu Fehlern beim Spieleröffnungspass mit einem bestimmten Fuß neigt. So kann ein Stürmer sein Anlaufverhalten besser einstellen. Die Informationen aus Köln werden dann im Analystenstab der Nationalmannschaft gefiltert und in verträglichen Dosen an die Nationalspieler weiter gereicht. Am Ende soll die DFB-Elf einen kleinen entscheidenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz haben. Die Studierenden erhalten unterdessen eine gefragte Ausbildung. Und den professionellen Vereinen stehen immer mehr potenzielle Mitarbeiter für ihre wachsenden Analyseabteilungen zur Verfügung.
"Das Arbeitsfeld an Spielanalysten ist mehr und mehr gewachsen in den letzten Jahren und wächst auch noch weiter. Zuerst gab es gar keine Spielanalysten und dann gab es einen Trainer und einen Co-Trainer, und der war dann auch für die Spielanalyse zuständig", stellt Alexander Otto die Entwicklung dar.
"Dann ist irgendwann ein Spielanalyst dazu gekommen, und der nächste Schritt war, dass der Spielanalyst mit zum Trainerteam gekommen ist, das gibt es heutzutage auch, und dann auch ein anderes Standing von den Spielern hat. Und dann ist die Anzahl der Spielanalysten enorm gestiegen. "
An einer erfolgreichen EM mitgearbeitet zu haben, ist sicher eine gute Referenz für eine solche Karriere. Dazu müssen die Nationalspieler ihre besonderen Informationen allerdings auch in Siege verwandeln. Wie einst Jens Lehmann mit seinem Elfmeterzettel.