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Studie
Bildungserfolg von Migrantenkindern

Welche Faktoren können dazu beitragen, dass Kinder aus Arbeiter- und Einwandererfamilien beruflich erfolgreich werden? Dazu befragte in einem Projekt das Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien an der Universität in Osnabrück 70 Personen aus unterschiedlichen Bereichen zu ihren Werdegängen im Bildungssystem und im Beruf.

Von Kemal Hür | 11.02.2015
    Die Medizinisch-technische Assistentin Betül Caliscan bei ihrer Arbeit in einem Krankenhaus.
    Ein Migrationshintergrund kann die Suche nach einem Ausbildungsplatz erschweren. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Hanife Altinsoy ist Familienrichterin in Berlin. Für sie ist es etwas Selbstverständliches, dass sie als Kind von türkischen Einwanderern diesen Beruf ausübt. Und ihren beruflichen Weg dorthin beschreibt sie als einen leichten, ohne große Hindernisse. Beim genauen Hinhören lassen sich aber doch Zufälle erkennen, die ihr dabei geholfen haben. Schon beim Erlernen der deutschen Sprache hatte sie Menschen, die ihr geholfen haben.
    "Ich hatte das große Glück, in einem Haus groß zu werden, wo halt auch sehr viele deutsche Familien waren - ältere Bergarbeiter auch, die keine Kinder hatten und die sich meiner etwas angenommen haben."
    Ihre Eltern kamen 1970 nach Deutschland. Der Vater arbeitete Untertage im Ruhrgebiet, die Mutter in der Landwirtschaft. Hanife Altinsoy wurde in Deutschland geboren. Nach der Grundschule hatte sie einen sehr guten Notendurchschnitt und eine Gymnasialempfehlung. Aber ihr Klassenlehrer versuchte, ihre Eltern davon zu überzeugen, Hanife auf eine Realschule zu schicken. Auch bei dieser Entscheidung halfen die deutschen Nachbarn, sagt die heute 36-jährige Richterin Altinsoy.
    "Für meine Eltern hat die Institution Gymnasium nicht so die Rolle gespielt. Ich glaube, die hätten mich auch auf die Realschule geschickt."
    Auch bei der Wahl des Studienfachs hatten die Eltern eine andere Vorstellung. Sie wollten zwar, dass ihre Tochter es im Leben leichter haben sollte als sie selbst, aber ein Studium war dafür aus ihrer Sicht nicht erforderlich.
    "Ich glaube, die hätten's schon präferiert, wenn ich eine Bankausbildung begonnen hätte. Studium war für sie nicht die erste Wahl."
    Im Studium und auch jetzt in ihrem Amt, sagt Altinsoy, werde sie als gleichwertige Kollegin angesehen. Dass sie aus einer Einwandererfamilie stamme, spiele keine Rolle.
    Studie befragte 70 erfolgreiche türkeistämmige Personen
    Das Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien an der Universität Osnabrück hat 70 erfolgreiche türkeistämmige Personen in der Wirtschaft, Justiz und öffentlicher Verwaltung zu ihrem Bildungsweg befragt. Bei ihrem Erfolg spielen oft nicht nur die Eltern eine entscheidende Rolle, sagt Jens Schneider, einer der Autoren der Studie.
    "Was wir festgestellt haben, dass es ganz oft auch Schlüsselpersonen braucht, Lehrkräfte, die besonders förderlich sind, oder Nachbarn oder die Eltern von Schulkameraden, die dann das Quäntchen dazu geben, dass dann tatsächlich der Übergang in die richtige Schule, dass der Übergang in die Oberstufe klappt. "
    Genauso wie bei Hanife Altinsoy, der auch die Nachbarn geholfen haben. Die Studie zeigt, dass zur Schulzeit von Hanife Altinsoy, also vor über 20 Jahren, das Bildungswesen nicht auf das Talent geschaut hat und der Erfolg damals stärker von der Bildung der Eltern abhing als heute, sagt Jens Schneider. Es habe sich mittlerweile einiges verändert, aber noch nicht genug. Auch heute werde - vor allem vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels - auf solche Potenziale verzichtet, wenn Einwandererkinder auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt würden. Im europäischen Vergleich schneide Deutschland in diesem Punkt schlecht ab, sagt Schneider.
    "Der augenfälligste Unterschied ist strukturell, dass die Bildungsabschlüsse in den europäischen Nachbarländern überall außerhalb Deutschlands in Westeuropa in der gleichen Gruppe der türkeistämmigen Nachkommen der Gastarbeiter viel höher sind als in Deutschland und damit wir etwa in den Niederlanden oder in Schweden schon von einer relativ breiten Mittelschichtsbildung in der Generation der Nachkommen der sogenannten Gastarbeiter feststellen können, beobachten können."
    Die Erkenntnisse und Ergebnisse der Studie werden zur Stunde in Berlin diskutiert. Migrationsforscher Jens Schneider empfiehlt, in der Integrationsdebatte endlich auf den Begriff "Migrationshintergrund" zu verzichten.
    "Das funktioniert alles nicht mehr. Diese ethnischen Einteilungen haben überhaupt keinen Bezug zur Bevölkerungsrealität bei uns."