Biologie
Studie: Einzelkinder kommen offenbar früher in die Pubertät

Die familiäre Situation von Kindern hat offenbar Auswirkungen auf deren körperliche Entwicklung. Eine internationale Studie zeigt, dass bei Einzelkindern die Pubertät etwas früher einsetzt.

    Ein Junge schaut aus dem Fenster. Er sieht traurig aus.
    Einzelkinder kommen offenbar früher in die Pubertät. (Imago)
    Das Forschungsteam von der Uni Aarhus und dem Max-Planck-Institut hat Daten von mehr als 10.000 dänischen Kindern ab 11 Jahren ausgewertet, die durch die gesamte Zeit ihrer Pubertät begleitet wurden. Dokumentiert wurde unter anderem, wann Scham- und Achselhaare wuchsen, wie sich Brust und Genitalien entwickelten und auch der Zeitpunkt der ersten Menstruation und Ejakulation sowie das Einsetzen von Stimmbruch und Akne.
    Beim Abgleich der Daten mit der Familiensituation der Kinder stellten die Forschenden fest, dass Einzelkinder im Schnitt fünf Monate früher in die Pubertät kamen als Kinder mit leiblichen Geschwistern. Bei Kindern mit Stief- oder Halbgeschwistern setzte die Pubertät ebenfalls früher ein, aber längst nicht so deutlich wie bei Einzelkindern.
    Bei Mädchen mit ausschließlich Halb- oder Stiefgeschwistern begann die Pubertät demnach durchschnittlich 2,2 Monate früher, bei Jungen rund 1,2 Monate früher. Bei dieser Konstellation war der Effekt demnach weniger stark ausgeprägt als bei Einzelkindern. Ebenfalls schwächer war er, wenn die Kinder sowohl leibliche als auch nicht-leibliche Geschwister hatten. Mädchen kamen dann 1,2 und Jungen 1,4 Monate früher in die Pubertät.

    Familien-Dynamik als Auslöser?

    Studienleiterin Katrine Andersen und ihre Kollegen führen dies auf die Dynamik innerhalb der Familien zurück, die sich je nach Anzahl und Beziehung der Kinder unterscheidet. Allerdings scheint dabei die reine Zahl der Geschwister nicht den Ausschlag zu geben – denn dann müssten Halb- und Stiefgeschwister denselben Effekt auf die Pubertät haben wie Vollgeschwister.
    Das Team vermutet deshalb, dass Veränderungen der Familienzusammensetzung, beispielsweise durch Trennung der Eltern und Bildung von Patchworkfamilien, einen ähnlichen Effekt haben wie das Aufwachsen als Einzelkind. Sollte dies zutreffen, könnte innerfamiliärer Stress ein Auslöser für die frühere Geschlechtsreife sein. Allerdings wurde der Zeitpunkt, an dem die "neuen" Geschwister in die jeweiligen Familien kamen, in der Studie nicht erfasst. Daher lässt sich diese Annahme nicht eindeutig belegen.

    Möglicherweise auch genetische Ursachen

    Doch es gibt auch eine mögliche genetische Erklärung für das Geschwisterphänomen. "Wenn Kinder Vollgeschwister haben, kann es für sie evolutionär vorteilhaft sein, in deren Gesundheit zu investieren, damit sie ihre gemeinsamen Gene weitergeben können", erklärt Koautorin Cecilia Ramlau-Hansen, ebenfalls von der Universität Aarhus. Dieser tief in der Biologie verankerte, nicht bewusste Effekt könnte demnach über noch nicht geklärte Mechanismen das Einsetzen der Geschlechtsreife bei Vollgeschwistern verzögern.
    "Wenn sie jedoch- Halb- oder Stiefgeschwister haben, ist die genetische Verwandtschaft schwächer. Dann kann es vorteilhafter sein, durch einen früheren Eintritt in die Pubertät ihre eigene Fortpflanzung zu sichern", erklärt Ramlau-Hansen.

    Ergebnisse gelten nicht nur für Dänemark

    Die Analyse zeigt zwar nur Trends in der dänischen Bevölkerung auf, deckt sich aber teils mit früheren Erkenntnissen zum Pubertätsbeginn bei Mädchen aus den USA, Großbritannien und Tschechien.
    Grundsätzlich haben Wissenschaftler festgestellt, dass die Pubertät im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte im Schnitt immer früher begonnen hat. Als Gründe werden verschiedene Faktoren angeführt, darunter veränderte Ernährung, Gesundheit und Familienkonstellationen.
    Diese Nachricht wurde am 12.09.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.