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Studie "Exzellenz braucht Existenz"
Nachwuchswissenschaftler in der Sackgasse

Forscher hangeln sich in der Regel von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, sie arbeiten oft prekär und mit diffusen Zukunftsaussichten. 1.700 Jungwissenschaftler hat Sebastian Raupach befragt. Im Deutschlandfunk fordert er, die Befristungsanteile der Lehrverträge gesetzlich zu begrenzen, denn "Wissenschaftler sind auch nur Menschen".

Sebastian Raupach im Gespräch mit Manfred Götzke | 12.12.2014
    Studenten gehen am 14.10.2014 auf dem Campus Westend der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main (Hessen) durch die glasumfasste Rotunde, die auch als Cafe dient.
    Studierende der Goethe-Universität in Frankfurt am Main: Nicht alle von ihnen werden an der Uni arbeiten können (picture alliance/dpa - Frank Rumpenhorst)
    Manfred Götzke: Forschen, lehren, die Suche nach Wahrheit. Die Wissenschaft könnte ein Traumjob sein, wenn die äußeren Bedingungen nicht so wären, wie sie sind, nämlich mies! Wer an einer deutschen Uni arbeitet und nicht gerade Professor ist, der wird in der Regel schlecht bezahlt und hangelt sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag. Wie Jungwissenschaftler mit dieser prekären Lage umgehen, das hat Sebastian Raupach in seiner Studie "Exzellenz braucht Existenz" untersucht. 1700 Nachwuchskräfte hat er befragt und herausgefunden: Das System führt zu Selbstausbeutung und verführt zu Betrug. Um irgendwie weiterzukommen, machen manche Forscher passend, was nicht passt. Herr Raupach, Sie selbst haben acht Jahre lang auf Fristverträgen geforscht, seit drei Monaten haben Sie mit 38 Jahren zum ersten Mal eine feste Stelle. Wann haben Sie das letzte Mal darüber nachgedacht, hinzuschmeißen?
    Sebastian Raupach: Im Grunde Weihnachten letzten Jahres. Das war so der Zeitpunkt, zu dem ich auch die Petition "Perspektive statt Befristung" gestartet habe. Ich habe mich entschlossen, nicht hinzuschmeißen, sondern das Problem anzugehen, aus der Erkenntnis heraus, dass es ein Problem ist, das nicht nur mich betrifft, sondern Tausende, Zehntausende. Das ist quasi ein Systemfehler, der behoben werden muss und behoben werden kann.
    Götzke: Wie groß muss der Idealismus sein, um heute noch Nachwuchswissenschaftler zu werden, also sich für die Wissenschaft zu entscheiden?
    Raupach: Zu verschiedenen Stadien der Karriere muss der Idealismus immer größer werden. Ich glaube, am Anfang reicht nur jugendlicher Tatendrang, doch je weiter man in seiner Karriere fortschreitet, desto mehr Idealismus ist nötig.
    Götzke: Am meisten hat mich in Ihrer Untersuchung überrascht, dass 80 Prozent sagen, dass die unsichere Lage Fehlverhalten begünstigen würde. 40 Prozent hätten es selbst schon erlebt. Wie rechtfertigen die jungen Wissenschaftler dieses Fehlverhalten?
    Randbedingungen, die "Fehlverhalten" wahrscheinlicher machen
    Raupach: Ja, nach Rechtfertigung wird nicht gefragt und Fehlverhalten ist auch nicht zu rechtfertigen, das ist völlig klar. Aber es scheint so zu sein, dass die Randbedingungen so sind, dass Fehlverhalten wahrscheinlicher wird. Die Ergebnisse der Studie können ein Hinweis darauf sein, dass es hier ein, ja, dass es ein unentdecktes Problem gibt. Und auch das muss dringend angegangen werden und das ist auch mit ein Grund dafür, warum das Wissenschaftszeitvertragsgesetz dringend geändert werden muss.
    Götzke: Auf die Reform möchte ich gleich noch mal zu sprechen kommen. Aber kann man sagen, ein Großteil der Nachwuchskräfte hat die Suche nach der Wahrheit schon aufgegeben, um irgendwie weiterzukommen im Wissenschaftsbetrieb?
    Raupach: Nein, auf keinen Fall, so weit würde ich nicht gehen. Wenn man zum Beispiel die Ergebnisse genau ansieht, dann sieht man, dass – nicht nur, aber auch das ist schon viel zu viel – vier Prozent aller Teilnehmenden sagen, sie hätten tatsächlich das Fälschen von Daten schon erlebt. Also, auch das ist viel zu viel, aber es ist ganz klar: Die ganz große Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeitet unter widrigen Beschäftigungsbedingungen, mit großem Idealismus, großem Einsatz und hohen Ansprüchen an sich selbst und die Qualität ihrer Arbeit.
    Götzke: Trotzdem, wie konnte es so weit kommen?
    Raupach: Auch Wissenschaftler sind Menschen, keine Forschungsmaschinen und Roboter. Das sind natürlich die äußeren Bedingungen. Und wenn Menschen unter starkem Druck stehen, dann wird die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie Dinge machen, die sie eigentlich nicht gutheißen würden, auch nicht machen möchten, einfach nur, weil sie existenzielle Sorgen haben darum, wie sie ihr Leben weiterführen oder gestalten können.
    Götzke: Ihre Studie kommt zu dem Ergebnis, dass vor allem Frauen durch das aktuelle System benachteiligt werden. Warum, woran liegt das?
    Raupach: Für Frauen ist natürlich stärker noch als für Männer die Vereinbarkeit von Familie und ihrer Tätigkeit wichtig für ihr Leben, auch für ein selbstbestimmtes Leben. An diesem Punkt scheint es so zu sein, dass viele Frauen aus der Wissenschaft ausscheiden, weil sie eben nicht bereit sind, dieses Spiel der Wissenschaft unter den Regeln, die bestehen, mitzuspielen. Das ist nämlich ein wahnsinniger Potenzialverlust für die Wissenschaft, wenn so viele hervorragende Wissenschaftlerinnen völlig unnötig dem System verloren gehen.
    Götzke: Lassen Sie uns über die Reformen sprechen, was muss sich jetzt ändern?
    "Befristungsanteile müssen gesetzlich begrenzt werden"
    Raupach: Ich denke, ein wichtiger Punkt ist, dass die Befristungsanteile gesetzlich begrenzt werden müssen. Das heißt, die Wissenschaftseinrichtungen werden hervorragend gefördert, das System ist gut finanziert, da ist die Bundesregierung vorbildlich auch im europäischen Vergleich. Was fehlt, ist das Fordern. Das könnte einerseits sein eine Begrenzung der Befristungsanteile. Was auch sehr deutlich wird in der Studie, ist, dass die sogenannte Zwölfjahresregel von den Teilnehmenden abgelehnt wird; ein Vorschlag ist die Einführung einer Mindestlaufzeit, um dem Problem von Kurz- und Kürzestlaufzeiten von Verträgen zu begegnen.
    Götzke: Das heißt aber, diese Zwölfjahresregel, um das noch mal kurz zu erläutern, nach zwölf Jahren ist in der Wissenschaft Schluss mit Fristverträgen, also entweder Professor oder gar nichts, da wünschen sich viele, dass das aufgehoben wird?
    Raupach: Genau. Natürlich nicht ersatzlos, sondern eben ersetzt durch eine Begrenzung des Befristungsanteils. Das Problem bei der Zwölfjahresregel, also bei dieser starren Zwölfjahresregel ist, dass hier der einzelne Wissenschaftler, die einzelne Wissenschaftlerin das volle Risiko trägt. Entweder hat sie Glück – auch das gehört im heutigen System dazu –, eine feste Stelle zu erlangen, oder sie kann bundesweit an keiner Universität oder Forschungseinrichtung mehr befristet beschäftigt werden, was faktisch heißt, sie wird gar nicht mehr beschäftigt.
    Götzke: Sie haben es vorhin schon angedeutet, es wird über eine Änderung im Wissenschaftszeitvertragsgesetz geredet, debattiert. Hoffen Sie, dass sich das zugunsten der Nachwuchswissenschaftler tatsächlich verbessert?
    Raupach: Ja, unbedingt. Also, die Bedingung, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Reform sind so gut wie nie. Wir haben eine Große Koalition, in der beide Koalitionspartner ihre eigenen Schwerpunkte einbringen, gerade auch dieses Spannungsfeld von Verbindlichkeit und Flexibilität wird da sicherlich gut ausgelotet werden. Und ich bin sehr, sehr zuversichtlich, dass die verantwortlichen Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker vielleicht auch vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Studie – das soll ja auch eine Hilfestellung sein für die Reform – zu einem guten Ergebnis kommen werden!
    Götzke: Sagt Sebastian Raupach. Der Physiker hat 1700 Nachwuchswissenschaftler über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen befragt. Geld ist also nicht unbedingt das Problem, sagen viele Jungforscher, wichtiger wäre, dass die Hochschulen sich an Mindeststandards für Fristverträge halten müssen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.