Donnerstag, 18. April 2024

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Studie
"Gefühlt will im Prenzlauer Berg jeder Zweite aufs Land"

Immer mehr Städter zieht es aufs Land. Die Menschen kämen mit sehr vielen Ideen, sagte Silvia Hennig vom Institut Neuland 21 im Dlf, darunter neue Wohn- und Arbeitsmodelle. Ländliche Kommunen könnten davon profitieren, wenn sie sich offen für Neues zeigten - und vor allem für schnellers Internet sorgten.

Silvia Hennig im Gespräch mit Birgid Becker | 12.08.2019
Das brandenburgische Friedersdorf mit Dorfkirche aus dem 13. Jahrhundert. Umbau ab 1702 unter Hans Georg von der Marwitz).
Ländliche Kommunen müssten noch aktiver um neue Einwohner werben, meinte Silvia Hennig im Dlf (picture alliance/dpa/akg)
Birgid Becker: In der vergangenen Woche machte das Institut der deutschen Wirtschaft Schlagzeilen mit einer Studie, nach der 19 Regionen in Ost und West Gefahr laufen, abgehängt zu werden. Am Vormittag wurde eine Untersuchung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung vorgestellt, die einen Rettungsvorschlag für solche Schattenregionen macht.
Vor der Sendung habe ich mit Silvia Hennig vom Think Tank "Neuland 21", einer der Autoren der Studie, gesprochen und ich habe sie gefragt, was helfen kann, abgehängte Regionen wieder auf Vordermann zu bringen.
Silvia Hennig: Im Prinzip geht es bei uns darum, dass stadtmüde Städter den Weg aufs Land finden. Wir haben in unserer Studie untersucht, wie ein junges städtisches Klientel dieses Landleben für sich entdeckt, dass tatsächlich dieses digitale Arbeiten inzwischen Menschen ermöglicht, in den ländlichen Raum zu ziehen. Das ist etwas, was man immer gerne sagt und viel hört, aber das bisher noch nicht so häufig wirklich beobachtet wurde.
Und wir haben jetzt festgestellt, dass das tatsächlich passiert. Und das Schöne daran ist, dass die selten allein rausgehen, sondern oft auch in größeren Gruppen und an der Stelle dann auch tatsächlich für einzelne Dörfer eine auch demographische und wirtschaftliche Trendwende auslösen können.
"Die Menschen kommen mit sehr vielen Ideen aufs Land"
Becker: Konkret: Was für Leute mit was für Ideen waren das?
Hennig: Da kaufen beispielsweise in genossenschaftlichen Formen Gruppen von 50 bis 100 Erwachsenen alte Vierseithöfe oder auch mal ein altes Berufsschulgebäude, manche sogar Plattenbauten aus LPG-Zeiten, die dann neu bewohnt werden. Und das Interessante an den Projekten ist, dass die Menschen dort nicht nur wohnen wollen, sondern auch arbeiten wollen. Das heißt, die kommen mit sehr vielen Ideen aufs Land.
Das sind sehr urbane Ideen teilweise. Gerade die, die im Home Office dort tätig sind, richten sich manchmal Coworking Spaces ein. Oder wenn den Leuten die morgendliche Latte fehlt, dann wird auch mal ein Café eröffnet. Und wenn vielleicht die Busverbindung tatsächlich viel, viel schlechter ist, als man dachte, dann setzt sich da schon auch mal ein Programmierer hin und programmiert eine Mitfahr-App für die Gemeinschaft. Diese Projekte sind sehr lebendig und machen viel mehr Furore auf den Dörfern als die herkömmlichen jungen Familien, die vielleicht rausziehen, vielleicht ins Eigenheim mit Garten und dann zur Arbeit in die Stadt pendeln. Da haben die eine ganz andere Wirkung und können an der Stelle sehr viel fortbewegen.
Becker: Und das Zusammenleben funktioniert? Ein bisschen hat man ja den Eindruck, als würden diese stadtmüden Städter versuchen, die Städte einfach aufs Dorf zu ziehen.
Hennig: Das machen sie auch tatsächlich ein bisschen. In den Interviews, die wir geführt haben, wurde uns das oft beschrieben, dass man versucht, das Beste aus beiden Welten zu vereinigen.
Becker: Was müssen denn umgekehrt die Dörfer mitbringen, damit sie, wenn sie das wollen, für stadtmüde Städter auch attraktiv sind?
Hennig: Eine ganz große Frage, die viele Projekte am Anfang umtreibt, ist die, wo sie sich niederlassen können. Gerade wenn es so große Projekte sind, brauchen die natürlich auch sehr viel Platz, einmal für den Wohnraum, aber dann auch, um vielleicht Geschäftsideen zu verwirklichen. Deshalb suchen die oft nach sehr großen Liegenschaften. Die sind gerade im ländlichen Raum oft auch in kommunaler Hand und schwer auffindbar an vielen Stellen. Das heißt, Initiativen, die sich gerade darum bemühen, diesen Leerstand besser zu bewerben – da gibt es auch schon einige Plattformen; die haben dann so klingende Namen wie "Luxus der Leere" oder auch "Gentrifizierung, ja bitte!". Da werden nun solche leerstehenden großen Immobilien oder auch fast Areale beworben und auch mit Erfolg.
Becker: Nun ist es ja so, dass die Projekte, die Sie untersucht haben, vor allem im Osten waren und besonders häufig im erweiterten Umland von Berlin.
Hennig: Genau.
Nähe zur Stadt ist ein wichtiger Faktor
Becker: Auf dem noch sehr viel platteren Land, würde das denn auch funktionieren?
Hennig: Das kommt ganz darauf an. Es ist tatsächlich so, dass die Nähe zur Stadt gerade am Anfang für viele, die da rausziehen, ein wichtiger Faktor ist. Deshalb liegt die Schmerzgrenze, die uns ganz oft genannt wurde, bei ein bis anderthalb Stunden Fahrzeit und damit sind meistens die öffentlichen Verkehrsmittel gemeint. Das heißt, die große Frage dazu, wo sich solche Projekte ansiedeln, ist tatsächlich eine Frage der Anbindung verkehrstechnischer Art, und deshalb massieren die sich auch so sehr in Brandenburg.
Wir beobachten das aber auch langsam um Leipzig herum, wo ja auch der Wohnraum in der Stadt knapp wird und die Mieten teurer.
Dünn gesät sind die Projekte bislang noch in beispielsweise Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg und vor allem auch Thüringen. Da sind ja auch die Städte ländlich. Da werden viele solcher Projekte tatsächlich dann auch noch in den Städten realisiert. Da gibt es noch nicht diesen Druck nach außen.
Becker: Im März des Jahres hatte ja eine Studie des Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle für viel Empörung gesorgt. Da gab es nämlich die Empfehlung, der Staat solle gar nicht versuchen, die Landfluchtprobleme zu lösen, und soll die betroffenen Regionen besser gleich ganz aufgeben. So einen Weg würden Sie nicht sehen?
Hennig: Wir sind ein Think Tank "Neuland 21", der sich damit beschäftigt, wie man das Landleben im 21. Jahrhundert neu erfinden kann. Deshalb würden wir dieses Aufgeben des ländlichen Raums auf keinen Fall unterschreiben, zumal am Ende wir auch merken, dass gerade in dieser urbanen Klientel, wo die Mieten wirklich steigen, wo die Stadt zu eng wird, eine große Sehnsucht nach dem Leben auf dem Land entsteht. Gefühlt will in Prenzlauer Berg inzwischen jeder Zweite aufs Land ziehen und vor dem Hintergrund halten wir das für verfrüht.
"Digital arbeiten auf dem Land geht eben nur mit Internet"
Becker: Aber ohne ein vernünftiges Internet geht gar nichts?
Hennig: Das stimmt! Wir haben auch tatsächlich Projekte gesehen, die da an der Stelle sich gegen bestimmte Standorte entschieden haben. Solange man einfach von zuhause arbeiten will, ist das Internet noch ausreichend, aber sobald dann vielleicht auch ein kommerzieller Coworking Space eröffnet werden soll oder ein Seminarbetrieb oder ein Gästebetrieb, da ist dann natürlich ein Glasfaser-Anschluss die Anbindung der Wahl. Regionen, die da noch nicht die Voraussetzungen mitbringen, haben dann wirklich das Nachsehen. Digital arbeiten auf dem Land geht eben nur mit Internet.
Ländliche Kommunen sollten offen für Neues sein
Becker: Was für eine Empfehlung hätten Sie ganz konkret an Bürgermeister, deren Orte immer menschenleerer werden und die gerne solche stadtmüden Städter hätten?
Hennig: Es macht, glaube ich, ganz viel Sinn, sich mit dieser Bewegung ein bisschen näher zu beschäftigen, zu verstehen, wie die wohnen möchten, und auch, welche Immobilien für sie attraktiv sind, und sie auch proaktiv anzusprechen. Da gibt es inzwischen genügend Foren und auch Plattformen im Internet, die einem das erleichtern. Man muss dann natürlich, wenn sie kommen, auch wirklich offen für Neues sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.