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Studie
Lehrkräfte im Nationalsozialismus

Die Berliner Landeszentrale für politische Bildung hat jetzt eine Publikation angekauft, die sich mit dem Berufsstand der Lehrer während der Zeit des Nationalsozialismus befasst. Gedacht ist diese Studie über die damalige Zeit für die Lehrer von heute.

Von Anja Nehls | 14.12.2016
    Die rechte Hand zum Hitlergruß erhoben gehen Erstklässler 1933 in Viererreihen an zwei ebenfalls grüßenden Erwachsenen (vermutlich Lehrpersonal) vorbei.
    Die rechte Hand zum Hitlergruß erhoben gehen Erstklässler 1933 in Viererreihen an zwei ebenfalls grüßenden Erwachsenen vorbei - vermutlich handelt es sich um Lehrpersonal. (picture alliance /dpa /Diener)
    Trotzdem: Die große Mehrheit will damals von politischer Indoktrination durch die Lehrer nicht viel mitbekommen haben. Wolfgang Weinert war 1940 neun Jahre alt:
    "Wir wurden auch nicht in dem Sinne erzogen, sondern es stand eigentlich der Unterricht im Vordergrund. Die Erziehung zum Nationalsozialisten wurde meiner Meinung nach in der Hitlerjugend gemacht, so dass das praktisch zweigeteilt war. Insofern glaube ich nicht, jedenfalls in meiner Zeit, dass die Lehrer besonders geschult waren, uns im Sinne der Nazis zu unterrichten."
    Nicht alleine auf Zeitzeugen verlassen
    Das bezweifeln Historiker heute. An der Forschungsstelle NS-Pädagogik der Universität Frankfurt am Main ist eine Studie zum Zentralorgan des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, kurz NSLB, erschienen. Über 90 Prozent der Lehrer waren darin organisiert. Die Studie weist nach, dass der NSLB keine harmlose Berufsorganisation war, sondern ein fester Bestandteil des NS-Systems, der mit Rassismus, Judenfeindschaft und Hetze gegen Verfolgte das Mordprogramm begleitete. Noch dazu sei die überwiegende Mehrheit der Lehrer keineswegs zwangsweise, sondern freiwillig und gerne in die Organisation eingetreten, so der Autor Benjamin Ortmeyer. Allein auf die Erinnerung von Zeitzeugen hat er sich beim Erstellen der Studie nicht verlassen:
    "Wir haben ja auch eine Fülle von Schulheften, Lehrbüchern, Konferenzbüchern, Schulchroniken, in denen klar war, dass tagtäglich Naziideologie mal subtil, mal mit feiern, mal direkt, mal indirekt in die Köpfe der Schülerinnen und Schüler reingehämmert, so nannten die Nazis das, reingehämmert wurde. Also die Frage der Realität der NS-Zeit in den Schulen ist eigentlich weitgehend geklärt. Es war eine systematische Indoktrination, natürlich gibt es auch hier die Tendenz zu sagen, so schlimm war es gar nicht."
    Weitere Probleme nach Kriegsende
    Ausgerechnet die Lehrer selbst haben bis jetzt ihre Vergangenheit aber nicht systematisch aufgearbeitet, kritisiert Benjamin Ortmeyer. Andere Institutionen, Berufsgruppen, Unternehmen und Ministerien, zuletzt das Bundesministerium für Justiz, seien da schon weiter.
    Und auch nach Kriegsende gab es der Studie zufolge weitere Probleme.
    Die 1949 gegründete Lehrergewerkschaft GEW habe einigen Nazi-Lehrern später wieder zurück in den Job geholfen. Die Alliierten hatten sie vorher wegen ihrer Nazi-Vergangenheit aus dem Dienst entfernt, sagt Ortmeyer:
    "Und so ist natürlich die Frage, warum sich die Lehrerschaft als Ganzes nicht die Frage stellt, was sie von 1933 bis 45 eigentlich verbrecherisches gemacht haben. Das wirkt natürlich so in der Richtung einer gewissen Verharmlosung der NS-Zeit bis heute."
    Dem widerspricht die GEW. Für die von Ortmeyer erhobenen Vorwürfe gebe es keine wissenschaftlichen Belege. Trotzdem will sich die Lehrergewerkschaft jetzt nochmal gründlich mit der eigenen Vergangenheit beschäftigen, sagt Ulf Rödde von der GEW:
    "Das hat ja eine Auseinandersetzung mit der Geschichte gegeben, nur nicht systematisch und wissenschaftlich abgesichert. Und da wollen wir uns jetzt dranmachen, das heißt, wir sind dabei, unabhängige Historiker und Historikerinnen zu suchen, die das als spannendes Thema empfinden und eine entsprechende große Untersuchung zur Geschichte der GEW in Angriff nehmen würden."
    Ideologische Ausrichtung
    Um jeden einzelnen Lehrer stärker zu sensibilisieren hat die Berliner Landeszentrale für politische Bildung hat jetzt Ortmeyers Publikation: "Die ideologische Ausrichtung der Lehrkräfte 1933 – 1945" angekauft. Lehrkräfte hatten und haben immer eine wichtige Funktion und damit eine große Verantwortung, sagt Thomas Gill :
    "Das war ein starker Fokus drauf, wir schaffen die künftige Welt, wir schaffen die künftigen Menschen, wir schaffen die künftige Generation und die These wäre schon, dass das auch weiter gewirkt hat. Das soll eine Einladung an die Berliner Lehrerschaft sein, da einfach mal reinzugucken, drüber nachzudenken, welche Handreichungen wurden da Lehrern gegeben, welches Bild sollten sie ihren Schülern vermitteln. Stellt auch die Frage, was wird eigentlich heute vermittelt und welche Handreichung erhalten heute Lehrer. Ist die Frage, ob man sich drauf einlassen will."
    Die Publikation aus dem Beltz-Verlag wird gegen eine Bearbeitungsgebühr von fünf Euro von der Berliner Landeszentrale für politische Bildung abgegeben. Adresse: Hardenbergstraße 22-24, 10623 Berlin.