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Studie
Schon mäßiger Alkoholkonsum kann das Leben verkürzen

Eine aktuelle Studie zeigt: Wer mehr als 100 Gramm reinen Alkohol pro Woche trinkt, kann damit seine Lebenserwartung verkürzen. Das entspricht etwa zweieinhalb Litern Bier. Wäre eine Kennzeichnung auf Getränken sinnvoll? Cornelia Lange vom Robert-Koch-Institut sagte im Dlf: Ja, enorm.

Cornelia Lange im Gespräch mit Uli Blumenthal | 13.04.2018
    Zwei Bierflaschen
    Wer über 100 Gramm reinen Alkohol in der Woche trinkt, hat ein erhöhtes Risiko für Herzkreislaufkrankheiten (dpa)
    Uli Blumenthal: Weniger ist besser – die Richtwerte für den Konsum von Alkohol sind in vielen Ländern einer Untersuchung zufolge zu hoch, auch in Deutschland. Eine Übersichtsstudie, die heute im Fachjournal "The Lancet" zeigt, dass der Konsum von mehr als 100 Gramm reinem Alkohol pro Woche – das entspricht etwa fünfeinhalb Gläsern Wein oder zweieinhalb Litern Bier –, die Lebenserwartung verkürzt und das Risiko für Herzkreislauferkrankungen steigert. Ein internationales Forscherteam analysierte 83 Studien aus 19 wohlhabenden Ländern, an denen fast 600.000 Menschen teilgenommen haben. Ich bin jetzt verbunden mit Doktor Cornelia Lange, Leiterin des Fachgebiets Gesundheitsverhalten beim Robert-Koch-Institut RKI in Berlin. Frau Doktor Lange, wie viel Alkohol darf man trinken, ohne langfristige gesundheitliche Schäden davonzutragen?
    Cornelia Lange: Nun, das können wir natürlich nicht jetzt absolut sagen, und das hängt ja auch individuell von Vorbedingungen bei den einzelnen Personen ab. Aber diese Studie, Sie haben sie bereits erwähnt, die sehr substanziell durchgeführt worden ist mit einem sehr renommierten Team, mit guten Methoden, weist ja darauf hin, dass bei einem Konsum unter 100 Gramm pro Woche das Risiko offensichtlich für Herzkreislaufkrankheiten und auch für Gesamtmortalität nicht so hoch ist, und dass über diesen Betrag von 100 Gramm pro Woche das Risiko für Herzkreislaufkrankheiten, aber auch für Gesamtmortalität steigt. Aber wie gesagt, es ist immer zu unterscheiden zwischen einem auf eine ganze große Bevölkerung bezogenem Risiko und natürlich individuellen Einzelfällen.
    Blumenthal: Wie ist diese Zahl 100 Gramm pro Woche eigentlich zustande gekommen? Wer hat diesen Richtwert oder diesen Grenzwert, wenn man es so nennen will, definiert, und in welchem Verfahren?
    Lange: In der Studie hat man ja prospektiv, das heißt, über Langzeitstudien beobachtet, was haben Menschen am Anfang des Studienzeitpunkts getrunken, was an weiteren Zeitpunkten. Und man kann dort bestimmte Endpunkte kontrollieren. Das heißt, man sieht, wann Personen gestorben sind beziehungsweise an bestimmten Krankheiten auch litten oder wann diese Krankheiten eingetreten sind. Und das lässt sich natürlich am Ende mit sehr ausgeklügelten statistischen Methoden berechnen, und da gibt es ja in dieser Studie klare Angaben. Das heißt, wenn man im Durchschnitt über 100 Gramm pro Woche trinkt – sie unterscheiden ja dann noch mal zwischen Werten 100 bis 200 Gramm und 200 bis 350 Gramm, steigt eben das Risiko, vorzeitig zu versterben.
    "Es ist notwendig, weitere Studienergebnisse einzubeziehen"
    Blumenthal: Diese Studie hat gezeigt, dass der Konsum von Alkohol als Menge, die als sicher galt, tatsächlich mit einer geringeren Lebenserwartung verbunden ist. Wie tief müsste der wöchentliche Konsum von reinem Alkohol sinken, um sozusagen wieder auf die sichere Seite zu kommen, was die gesundheitlichen Auswirkungen anbetrifft?
    Lange: Ich denke, dass dieser Wert von 100 Gramm, der in dieser Studie jetzt angegeben wurde oder über statistische Methoden identifiziert wurde, durchaus ein Wert ist, der als Richtwert dann sehr gut dienen könnte. Aber es ist eine sehr große, eine renommierte, aber erst mal eine einzelne Studie, das heißt, es ist sicher notwendig, noch weitere Studienergebnisse einzubeziehen, insbesondere auch zum Unterschied von Männern und Frauen, das noch mal klarer zu beleuchten, da hat ja die Studie keinen relevanten Unterschied gefunden, bevor man dann auch zum Beispiel landesspezifische neue Richtlinien ausgibt. Aber diese 100 Gramm dienen sicher als Wert oder als Vorgabe, an der man sich orientieren könnte.
    Blumenthal: Die Studie, die heute im Fachjournal "Lancet" erscheint, hat aber auch gezeigt, dass Alkohol schon in geringen Mengen einen positiven Einfluss auf Herzinfarkterkrankungen haben kann. Also relativiert das ein bisschen die Ergebnisse, die Gesamtergebnisse, was den Richtwert von 100 Gramm reinem Alkohol pro Woche anbetrifft?
    Lange: Na, was ich schon sagte. Das kommt natürlich individuell auf die Vorerkrankungen an. Es gilt aber auch eher dieser gewisse positive Effekt für ältere Altersgruppen auch mit bestimmten kardiovaskulären Vorerkrankungen. Das kann man nicht generalisieren, sondern ich denke, wir sollten uns eher darauf konzentrieren, noch mal zu schauen, was sind Richtwerte, die über die Bevölkerung gesehen wahrscheinlich eher unkritisch sind. Und wir haben jetzt gesehen, dass eben insbesondere für Männer, das ist vielleicht hervorzuheben, die Richtwerte, die wir bisher in Deutschland haben, abgesenkt werden müssten. Gerade da sprechen wir ja von 20 bis 24 Gramm. Diese 100 Gramm über die Woche gerechnet wären 14 Gramm pro Tag. Daran wird deutlich, dass eben gerade für Männer deutlich diskutiert werden müsste, die Richtlinien abzusenken.
    Lange: Klare Kennzeichnung würde helfen
    Blumenthal: Beim Tabak hat man diese abschreckenden Aufkleber auf den Tabakschachteln. Würde so etwas auch bei Wein, Bier und anderen alkoholischen Getränken helfen?
    Lange: Ich wäre erst mal der Meinung, dass es enorm helfen würde – und das ist in manchen Ländern der Fall –, dass auf den Getränken nicht nur steht, wie viel Volumenprozent Alkohol enthalten ist, sondern das in einer klaren und verständlichen Art und Weise deutlich wird, wie viel reine Gramm Alkohol nehme ich zu mir, wenn ich das trinke. Es gibt Länder, die stellen das eindeutig mit Gläsern dar und zeigen auch Bilder, wo man sieht, dann habe ich das Limit erreicht, wenn ich zum Beispiel zwei Gläser oder ein Glas von diesem Getränk zu mir nehme. Das wäre auf jeden Fall erst mal aus meiner Sicht ein wichtigerer Weg, dass die Menschen erkennen überhaupt und selbst einschätzen, was nehme ich da eigentlich zu mir und wie viel.
    Blumenthal: Es gibt international sehr unterschiedliche wöchentliche Richtwerte für den Konsum von Alkohol. In den USA 196 Gramm für Männer, 98 Gramm bei Frauen. Kanada, Italien, Portugal, Spanien liegen bei den Werten ebenfalls auch höher als in Deutschland, wo es dann 140 Gramm für Männer und 70 Gramm für Frauen sind. Welche Möglichkeiten gibt es denn, die Richtwerte wirklich international zu vereinheitlichen?
    Lange: Ich weiß nicht, ob das sinnvoll ist, weil natürlich auch zum Teil nationale Gegebenheiten eine Rolle spielen. Meine Ansicht ist, dass Richtwerte jeweils auf der besten wissenschaftlichen Evidenz basieren sollten. In Deutschland hat man sich damals, 2000, 2004 auf ein großes systematisches Review bezogen nach damaligem Stand und bestem Stand der Wissenschaft kam es zu diesen Vorschlägen. Mittlerweile liegen eben weitere Ergebnisse vor. So ist die Wissenschaft, und es verändert sich. Wir sind aber der Ansicht, dass eben jeweils die beste wissenschaftliche Evidenz herangezogen werden sollte.
    Es mag in dem einen oder anderen Land andere Umgangsweisen geben, das können wir auch nicht bewerten. Aber auch unsere bisherigen Richtlinien, die wir haben, beruhen eben nicht auf mal eben einem Bauchgefühl, sondern auf wirklich systematischen Reviews. Damals hat man eben diesen Unterschied zwischen Frauen und Männern deutlicher gesehen. Und wie gesagt, wenn es jetzt neue Erkenntnisse gibt, dann sollten wir das mit den Fachgesellschaften und den entsprechenden fachlich relevanten Akteuren – in diesem Kreis sollte das diskutiert werden. Und ich denke auch, dass das stattfinden wird. Und dann wird man sehen, wenn wir alle Erkenntnisse damit zusammenstellen, was das Ergebnis sein wird. Aber wie gesagt, diese Studie ist schon sehr stichhaltig.
    Blumenthal: Welche Empfehlung geben die Studienautoren der "Lancet"-Studie eigentlich für einen akzeptablen internationalen oder auch national anwendbaren Richtwert für den Alkoholkonsum pro Woche an reinem Alkohol?
    Lange: Die Studienautoren dort beziehen sich tatsächlich auf diese 100 Gramm. Dazu muss man sagen, dass auch in anderen Richtlinien mittlerweile eher Grammwerte pro Woche genannt werden und nicht, wie bei uns noch üblich oder in anderen Ländern, Grammwerte pro Tag. Damit soll hervorgehoben werden, dass zum Beispiel auch ein täglicher Konsum eher nicht zu empfehlen ist. Dass natürlich es sein kann, dass man an einem Tag, zum Beispiel am Wochenende eine etwas höhere Menge Alkohol getrunken wird, dass aber insgesamt über eine Woche das dann auch natürlich wieder ausgeglichen werden muss. Und auch die englischen Richtlinien sprechen sich deswegen, das wurde dort breit diskutiert, für wöchentliche Richtlinien aus, und nicht für tägliche.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.