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Studie
Smartphone-Benachrichtigungen verursachen Hyperaktivität

Menschen, die oft auf ihr Smartphone schauen, wirken oft abwesend. Wer ständig Benachrichtigungen aufs Handy bekommt, kann sich nicht so gut auf andere Dinge konzentrieren. Ein Team aus Psychologen aus den USA und Kanada hat diesen negativen Einfluss der digitalen Welt nun systematisch untersucht - und warnt vor Folgen für Produktivität und Wohlbefinden.

Von Piotr Heller | 30.05.2016
    Auf einem iPhone werden im E-Mail Posteingang 3.250 ungelesene E-Mails angezeigt
    Smartphones überfordern den Menschen: Manchmal sind es einfach zu viele Benachrichtigungen. (dpa-Zentralbild / Arno Burgi)
    Smartphones versorgen uns ständig mit Nachrichten von Bekannten, Updates aus sozialen Netzwerken, E-Mails, Sportergebnissen, Infos von Twitter, Erinnerungen zu Kalendereinträgen, Eilmeldungen oder Anfragen aus Spielen. Und jedes Mal schicken sie eine Benachrichtigung.
    "Wenn jemand eine solche Benachrichtigung als Ton oder Vibrationssignal bekommt, kann das die Person manchmal verwirren. Es gibt viele Spekulationen, aber nur wenig Forschung, die genau zeigt, wie Smartphones uns beeinflussen und wie sich das auf unser Wohlbefinden auswirkt."
    Genau das wollte Jason Proulx aber herausfinden. Er forscht als Psychologe an der University of British Columbia. Um der Frage nachzugehen, was die vielen Benachrichtigungen mit uns anstellen, hat er mit Kollegen ein Experiment an gut 220 Studenten durchgeführt.
    "Eine Woche lang sollten die Testpersonen die Benachrichtigungen auf ihren Smartphones ausschalten. Auch baten wir sie, die Geräte so oft wie möglich außer Reichweite zu legen. Und dann, für eine weitere Woche, sollten sie alle ihre Benachrichtigungen anschalten, sodass sie all diese Hinweistöne hören und Vibrationssignale spüren."
    "Nachgelagerte Folgen für Produktivität und Wohlbefinden"
    Während dieser zwei Wochen füllten die Teilnehmer standardisierte Fragebögen zu ihrem Wohlbefinden aus. Das Ergebnis: Wer ständig Benachrichtigungen erhielt, berichtete von Unaufmerksamkeit und Symptomen von Hyperaktivität. Dazu zählen etwa Schwierigkeiten bei stillen Aufgaben oder ein Gefühl von innerer Unruhe. Bei den Testpersonen, die ihre Benachrichtigungen ausgeschaltet hatten, war das nicht der Fall.
    "Es ist kaum überraschend, dass man unaufmerksamer ist und sich hyperaktiv fühlt, wenn man viele Nachrichten erhält. Aber viele verstehen nicht, dass das nachgelagerte Folgen für ihre Produktivität und ihr Wohlbefinden hat. Unsere Untersuchung zeigt, dass die Leute, die ständig durch ihr Handy abgelenkt werden, unproduktiver sind, sich weniger mit anderen verbunden fühlen und sogar weniger Sinn in ihrem Leben verspüren."
    Smartphones psychologisch "smarter" machen
    Hier hat Jason Proulx mit seinen Kollegen in einem Experiment gezeigt, was viele vermuten: Smartphones, die eigentlich dafür gemacht sind, uns produktiver zu machen und mit anderen zu verbinden, können unsere Produktivität hemmen und Verbindungen mit anderen Menschen schwächen. Man könnte natürlich die Benachrichtigungen ausschalten, um dieses Problem zu umgehen. Doch ist es wirklich ein schwerwiegendes Problem? Man könnte nämlich sagen: Wer ständig auf dem neuesten Stand sein will und Informationen erhalten möchte, der muss eben solche Einschränkungen in Kauf nehmen. Die Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität, die die Forscher festgestellt haben, sind der Preis, den man dafür zahlt, im digitalen Zeitalter zu leben.
    "Das sehe ich nicht so. Wenn Smartphones uns in einer schlechten Weise beeinflussen, gibt es Wege, die Technologie zu verbessern. Smartphones könnten zum Beispiel so entworfen werden, dass sie den Kontext, in dem sie benutzt werden, besser verstehen. Sie müssten also verstehen, wann Menschen nicht von ihrem Handy unterbrochen werden wollen."
    Für Jason Proulx ist eine Lösung also, Smartphones psychologisch "smarter" zu machen. Denn bisher können sie hauptsächlich Informationen präsentieren. Als nächstes sollten sie lernen, sie in bestimmten Momenten zurückzuhalten. Doch eins muss man bedenken: Dafür müssten sie noch mehr Informationen über unser Verhalten sammeln. Die Frage ist, ob wir sie ihnen geben wollen.