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Studie zu Eisschwund
Gletscherschmelze trägt stark zu Meeresspiegelanstieg bei

Mehr als 9.000 Milliarden Tonnen Eis haben Gletscher weltweit seit 1961 verloren und den Meeresspiegel um 27 Millimeter ansteigen lassen, das zeigt eine Studie der Universität Zürich. Besonders die arktischen Regionen hätten viel Eis verloren, sagt Studienleiter Michael Zemp.

Michael Zemp im Gespräch mit Monika Seynsche | 09.04.2019
Gletscher in Alaska: Ein Eisbrocken bricht ab und stürzt krachend in den Ozean.
Der Meeresspiegelanstieg durch die Gletscher verursacht rund einen Millimeter (imago/Anka Agency International)
Monika Seynsche: Wenn man sich in den Alpen umschaut, ist der massive Gletscherschwund unübersehbar. Dutzende, zum Teil hunderte von Metern haben sich viele Gletscherzungen in nur wenigen Jahrzehnten zurückgezogen und leere Täler hinterlassen. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Zürich hat jetzt untersucht, wie viel Eis die Gletscher der Welt zwischen 1961 und 2016 verloren haben und wie stark dieses Eis den Meeresspiegel hat ansteigen lassen. Ich habe den Leiter der Studie, Michael Zemp gefragt, was dabei herausgekommen ist.
Michael Zemp: Dabei herausgefunden haben wir, dass über 9.000 Milliarden Tonnen Eis Verlust gegangen sind. Das entspricht einem Meeresspiegelanstieg von 27 Millimetern. Nun, 9.000 Milliarden ist eine große Zahl. Ich habe das mal umgerechnet. Also der Eiswürfel, der da verloren ging, hat eine Größe von ganz Deutschland und das mit einer Dicke von gerade mal 30 Metern. Das ist das Eis, das von 1961 bis heute verloren ging.
Eisdicke von 19.000 Gletscher vermessen
Seynsche: Und von welchen Gletschern ging es in erster Linie verloren, kann man das sagen?
Zemp: Ja, wir haben deutlich gesehen, dass die Regionen, die am meisten dazu beigetragen haben, vor allem die arktischen Regionen sind, wo sehr viel Eis noch liegt, also Alaska, andere Arktisregionen wie die russische Arktis, Svalbard, aber auch die peripheren Gletscher rund um den grönländischen Eisschild herum, also ohne den Eisschild, aber die vielen kleinen Gletscher darum herum, aber auch auf der Südhemisphäre, die patagonischen Eisfelder gehören zu den Regionen, wo sehr viel Eis verloren ging.
Seynsche: Das sind ja alles Regionen, die sehr abgelegen sind und wahrscheinlich auch sehr schwer zu untersuchen sind. Wie haben Sie diesen Eisverlust feststellen können in diesen Regionen?
Zemp: Was wir gemacht haben, ist, wir haben die rund 500 Gletscher mit direkten Feldmessungen ergänzt mit Satellitenmessungen. Wir haben sogenannte geodätische Messungen von Satelliten verwendet. Dabei wird die Erdoberfläche digital vermessen und damit können wir dann die Volumenänderung, die Dickenänderung der Gletscher feststellen. Und so konnten wir zusätzliche 19.000 Gletscher mit Messdaten versehen und haben dann die kombiniert mit den Feldmessungen analysiert, und das hat uns zu diesem Resultat gebracht.
Meeresspiegel steigt aktuell um 3,5 Millimeter an
Seynsche: Sie sagten anfangs, dieser Gletscherverlust, der Eisverlust entspricht 27 Millimetern Meeresspiegelanstieg. Was bedeutet das denn jetzt für den globalen Meeresspiegel? Da sind ja nicht nur die Gletscher als Quelle dabei.
Zemp: Das ist richtig. Wenn wir jetzt die aktuelle Situation, also über die letzten zehn Jahre gemittelt anschauen, dann beträgt der Meeresspiegelanstieg durch die Gletscher verursacht rund einen Millimeter. Jetzt beobachtet, auch wieder von Satelliten, wissen wir, dass der Meeresspiegel im Moment etwa 3,5 Millimeter ansteigt. Ein Drittel davon kommt von der Erwärmung des Meerwassers alleine, dann kommen die Gletscher mit eben dem besagten einen Millimeter, das ist rund ein Viertel des beobachteten Anstiegs, gefolgt vom grönländischen Eisschild, der etwa gleich viel beiträgt wie die Gletscher, und dann der antarktische Eisschild, der ebenfalls im Westen abschmilzt und etwa zehn Prozent dazu beiträgt.
Seynsche: Was bedeutet das denn, wenn Sie sagen, die Gletscher tragen viel, viel stärker zum Meeresspiegelanstieg bei, als man das bislang vermutet hat? Was bedeutet das generell für den Meeresspiegelanstieg? Steigt der dann wesentlich stärker an, als man es vermutet hat?
Zemp: Ja, wir sprechen hier eigentlich vom Budget des Meeresspiegels. Also man kann einerseits das direkt messen, wie viel der Meeresspiegel ansteigt, und dann kann man eben durch die verschiedenen Komponenten, die dazu beitragen, zusammenrechnen, und dann sieht man, ob diese Zahlen zusammen schön aufgehen. Und das tun sie eben nicht ganz genau. Und da ist immer die große Frage, wo ist die Lücke, wo wissen wir es noch am ungenausten? Und da ist sicher unsere neue Gletscherstudie ein Beitrag dazu, besser zu verstehen, woher das ganze Wasser kommt, was die Meeresspiegel ansteigen lässt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.