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Studie zu Jobchancen
Unternehmen suchen Geisteswissenschaftler

Germanistik, Philosophie, Geschichte: Wer glaubt, dass Geisteswissenschaftlern nach dem Studium nur der Taxischein zum Geldverdienen bleibt, irrt. Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft stellt fest: Auch als Geisteswissenschaftler hat man gute Jobchancen, sie müssen sie nur nutzen.

Von Katrin Sanders | 03.09.2019
Taxistand am Hauptmarkt in Nürnberg
Taxifahren als Job ist eher Notlösung als Berufsziel für Absolventinnen und Absolventen der Geisteswissenschaften (dpa / picture alliance / Helmut Meyer zur Capellen)
Wer Germanistik, Theologie oder alte Geschichte studiert, kann kein Spitzeneinkommen erwarten. Der Einstieg in den ersten Job dauert bis zu einem Jahr. Deutlich länger also als bei den Ingenieuren oder Wirtschaftsleuten. Und den Beruf muss man auch erst mal finden, der zum studierten Fach passen könnte. Das sind drei Ergebnisse einer aktuellen Studie zu den Beschäftigungschancen von Geisteswissenschaftlern. Erstellt wurde sie vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Die gute Nachricht: die Wirtschaft ist grundsätzlich interessiert an Geisteswissenschaftlern im Team, sagt Studienleiterin Christiane Konegen-Grenier.
"Wir sehen - wir habe mehr als 1000 Unternehmen befragt - dass die Unternehmen Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit als besonders ausgeprägt wahrnehmen bei den Geisteswissenschaftler und zwar als besser ausgeprägt im Vergleich zu den Wirtschaftswissenschaftlern und Technikern. Das ist also ein Pfund, mit dem die Geisteswissenschaftler gut wuchern könnten. Aber: Sie müssen den Weg in die Unternehmen erstmal finden."
Quereinstieg ist Normalität
Für etwa die Hälfte der Geisteswissenschaftler, die nicht ins Lehramt gehen, gilt: Sie müssen in Branchen Fuß fassen, die zum Studium auf den ersten Blick nicht passen: Theologe bei McKinsey, Soziologin in der Bertelsmann Gruppe oder Ethikexperte bei Daimler. Es gibt sie durchaus, Geisteswissenschaftler, die quer einsteigen. Die gesucht und gebraucht werden, sagt Christiane Konegen-Grenier:
"In dem Maße, wie die Digitalisierung Einzug hält in die Unternehmen und Produktionsprozesse und organisatorische Entscheidungen stark automatisiert ablaufen, braucht man mehr und mehr Leute, die diese technischen Prozesse abteilungsübergreifend erklären können. Die bei ethischen Fragen - denken Sie nur an selbstfahrende Autos - Reflexion reinbringen, die so ein bisschen über den rein technischen und kaufmännischen Horizont blicken können."
Frühzeitig Kontakte knüpfen hilft
Doch dafür ist die Unternehmensgröße entscheidend. Kleine und mittlere Unternehmen halten sich zurück. Auch in der IT-Branche sind kaum neue Jobs für Geisteswissenschaftler in Sicht. Das ändert sich lt. Studie aber in dem Moment, wenn man erste Erfahrungen miteinander macht. Studierende, die sich früh umschauen in der Wirtschaft, sind deshalb später beim Berufseinstieg im Vorteil. So wie die Soziologin Marie-Fee Taube:
"Ich hab in jeden Semesterferien ein Praktikum gemacht und dadurch hab ich mir mein kleines Fundament gebaut, wodurch man sich dann sein eigenes Netzwerk spannt und wodurch sich dann Anschlusspositionen sich aufbauen. Weil das kennt man ja von anderen: Jetzt hab ich meine Abschlussarbeit, wo ich viel Liebe reingesteckt hab und "was jetzt?". Und sich da ein Netzwerk aufzubauen, wo man nicht völlig ins Leere rennt, wo man auch mit Leuten spricht und Mentoren sucht, wo man so ein bisschen den Weg challenget, wohin es gehen könnte."
Mit diesen Voraussetzungen, dem zweifach Bachelor mit Nebenfach Rechtswissenschaften sowie dem Master in Kommunikation und Management, war sie genau die richtige für ein spezielles Trainee-Programm der Bertelsmann Gruppe. Judith Gördes erklärt, worum es in der hauseigenen Weiterbildung für Geisteswissenschaftler geht:
"Das sind tatsächlich die harten BWL Kenntnisse. Das ist tatsächlich genau die Lücke, die wir hier schließen wollen und in dem Creative Management Programm suchen wir die Geistes- und Sozialwissenschaftler, die sich bewusst in einem wirtschaftlichen Bereich entwickeln wollen, die sich in Managementaufgaben weiterentwickeln wollen. Und eine große Leidenschaft für Inhalt und Menschen mitbringen und dieses dann mit der Wirtschaft verknüpfen."
Bessere Chancen bei großen Firmen
Nach wie vor sind es aber wenige und vor allem große Unternehmen, die auf gemischte Teams setzen. Dass sie heute bei der Bertelsmann Tochter RTL im Team "Produkt und Verkauf" tätig ist, erklärt die studierte Soziologin Marie-Fee Taube so:
"Gerade in der Medienbranche braucht es Generalisten, die erstmal einen weiten Blick haben. Lösungen auch nicht als Gesetz ansetzen. Menschen miteinander vernetzen. Sachen hinterfragen. Braucht es jemanden, der noch mal auf breitere Modelle zurückgreift und nicht direkt mit einem hardcore klassischen Ideenset aus der BWL rauskommt, aber ganz viel mit gedanklichen Mustern und wie man menschlich an die Leute herantritt."
Schwieriger Berufseinstieg, weniger Geld
Das steht bei den Geisteswissenschaftlern auf der Habenseite. Doch der Berufseinstieg und ihr Risiko arbeitslos zu sein, liegt über dem der anderen Akademiker. Das gilt einmal mehr für die Frauen. Laut der IW-Studie erreicht jede vierte Geisteswissenschaftlerin beruflich nur eine Position, für die es ein Studium nicht gebraucht hätte. Christiane Konegen-Grenier empfiehlt hier:
"Ich finde zwei Dinge sind ganz wichtig: Teilzeitbeschäftigung kann als erste Stelle eine Sackgasse sein. Da sollte man sich sehr gut überlegen ob man das macht. Das zweite, was man sich überlegen sollte ist, ob das Anspruchsniveau der Stelle tatsächlich dem Abschluss entspricht. Man sollte sich immer der Gefahr bewusst sein, dass man da vielleicht stehen bleibt und irgendwann nicht mehr weiterkommt."
Viele unterschiedliche Wege möglich
Eine feste Regel für den Jobeinstieg, sei das aber nicht in ihrem Fall, findet dagegen Hanna von Sigriz. Sie hat sich nach dem Studium der Kunstgeschichte für eine Ausbildung im Kunsthandel entschieden. Das Kaufmännische nämlich lag ihr - kommt im Studium aber nicht vor.
"Ich war einfach bereit dazu, weil ich wusste, das ist genau das, was ich machen möchte und ich halt wusste, aufgrund der Bewerbungen, die dann halt ins Leere gelaufen sind, und dann ist man das einfach bereit auch zu tun. Manchmal muss man einen Schritt zurück tun, um dann nach vorne wieder richtig weiterzukommen."
Robert van Valentyn, ihr Chef im Kunsthaus Vanham in Köln setzt gern auf solche Brücken in den Beruf. Auf die Arbeit im Kunsthandel sei ein Bachelor der Kunstgeschichte nun mal nicht vorbereitet: Auf dem Weg eines Volontariats aber seien viele der heute angestellten Kunsthistoriker für das Unternehmen gewonnen worden. Und auch die kaufmännische Auszubildende des letzten Jahres wurde noch im ersten Lehrjahr fest eingestellt:
"Ja, das ist richtig. Das war eine glückliche Fügung, ich hoffe, für beide. Also für uns war es auf jeden Fall so. Die Hanna von Sigriz hat sich einfach hier so gut entwickelt, und wir hatten eine Vakanz hier im Haus und haben sie gefragt ob sie aus ihrer Ausbildung heraus direkt in diese Stelle wechseln möchte und glücklicherweise hat sie ja gesagt."
Von Sigriz: "Ja, auf jeden Fall zu meinem Glück! Die Stelle, die ich jetzt bekommen habe, die hätte ich ohne dass das Haus mich auf diesem Weg hätte kennenlernen können gar nicht bekommen. Und ich bin sehr froh, dass ich jetzt eine unbefristete Stelle habe."