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Studie zu Protestberichten
Journalisten fixieren sich auf Gewaltdarstellungen

Der G20-Gipfel in Hamburg hat noch nicht begonnen, aber die Medien laufen schon über. Welchen Gesetzen die mediale Berichterstattung bei solch großen Protesten folgt, das hat das Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung ermittelt. Ihre Schlagzeile: "Gewaltfixierung als Wiederholungszwang".

Von Claudia van Laak | 04.07.2017
    Teilnehmer der Demonstration "G20-Protestwelle" fahren in Hamburg mit einem Floß auf der Binnenalster.
    "Protestwelle" gegen den G20-Gipfel: Teilnehmer fahren in Hamburg mit einem Floß auf der Binnenalster. (dpa / Markus Scholz)
    Agenda 2010, Pegida, G8-Gipfel in Heiligendamm - die Berichterstattung über diese Demonstrationen - so unterschiedlich sie auch war, eines eint: Sobald Gewalt ins Spiel kommt, rücken die Inhalte der Proteste in den Hintergrund. Dann berichtet niemand mehr über die Motive des Protestes, geschweige denn über die gesellschaftlichen Konflikte dahinter.
    Simon Teune, Autor der Studie: "Also das Problem ist, dass diese Beschäftigung mit Gewalt so übermächtig ist, dass das eine self-fulfilling prophecy ist, dass das immer wieder die Berichterstattung beherrscht. Es gibt da in den Redaktionen wenig Spielraum. Das ist ein Thema und man kann sich dem Thema nicht entziehen."
    Neue Themen werden berichtet - alte nicht
    Ein weiterer Befund der Studie: die Berichterstattung über eine Großdemonstration führt nur in bestimmten Fällen dazu, dass sich Medien auch weiter mit dem dahinterliegenden Thema beschäftigen. Und zwar nur dann, wenn der Sachverhalt neu und gerade gesellschaftlich und parlamentarisch relevant ist. So wurde vor und nach den großen TTIP-Demonstrationen sehr in die Tiefe gehend berichtet, bei der Fukushima-Demonstration dagegen nicht.
    Moritz Sommer, Ko-Autor der Studie: "Denn in diesem Fall, das zeigt der Kontext der Berichterstattung, wurde diese weitergehende Forderung der Demonstrierenden, alle deutschen Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen, kaum aufgegriffen und kaum thematisiert. Das Demonstrationsgeschehen selbst wird aber in allen Medien wohlwollend betrachtet und steht klar im Fokus."
    Die Studie kritisiert, dass Demonstrationen in vielen Fällen als lediglich folkloristisch beschrieben würden, es fehlten Hinweise darauf, welche wichtige Rolle Demonstrationen für eine funktionierende Demokratie hätten.
    Rolle der Polizei kritischer hinterfragen
    In Bezug auf den G20-Gipfel in Hamburg appelliert Protestforscher Simon Teune an die Journalistinnen und Journalisten, die Rolle der Polizei kritischer zu hinterfragen als bislang. Gerade bei dieser weltpolitisch bedeutsamen Großveranstaltung sei die Polizei kein neutraler Akteur, sondern eine Konfliktpartei.
    "Das heißt, sie muss das Sicherheitskonzept gegen die Protestierenden durchsetzen, sie macht Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, eben das eigene Handeln zu legitimieren und den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Das heißt, die Polizei ist Teil der Auseinandersetzung."
    Journalistinnen und Journalisten sollten trotz des hohen Zeitdrucks raus aus der Deutungsroutine, wünschen sich die Protestforscher. Stereotype verstellten oftmals den Blick auf die gesellschaftliche Rolle von Protest.