In der Hamburger KiTa Schmuddelkinder e.V. ist gerade die Frühstückszeit um. Vorn im kleinen Bürobereich sitzt die Pädagogin Claudia Schatz. Dass die Zahl der Corona-Infektionen wieder ansteigen, sieht sie mit Sorge – gerade im Rückblick auf die wochenlangen Kitaschließungen im Frühjahr. Damals durften nur Eltern in so genannten systemrelevanten Berufen ihre Kinder in die Notbetreuung schicken.
"Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Kinder in der Notbetreuung das erstaunlich gut mitgemacht haben, auch nach langer Abwesenheit wieder hier in die KiTa gekommen sind. Das war eine große Überraschung. Aber man hat ihnen natürlich schon angemerkt. Und man merkt es jetzt auch an der Gruppenstruktur, dass viele Regeln verloren gegangen sind, dass eine Verunsicherung herrscht und dass alle sich so ein bisschen neu sortieren müssen."
Ganz unterschiedlich haben die Familien und ihre Kinder die Krise erlebt, sagt die Erzieherin.
"Einige haben es genossen. Die haben dann auch gesagt: ‚Ich erlebe meine Kinder zum ersten Mal seit der Elternzeit wieder komplett und erfahre ganz viel und wie genießen das hier total!‘ Und dann gab es aber auch die Fälle, die gesagt haben: ‚Wir können nicht mehr! Wir gehen am Stock! Das wird hier gerade blöd!"
Einige haben die Zeit genossen, andere konnten nicht mehr
Die Erfahrungen des KiTa-Personals spiegeln die Ergebnisse der so genannten COPSY-Studie. "COPSY" steht für "Corona und Psyche". Zwischen Mai und Juni wurden bundesweit 1.000 Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren danach gefragt, wie sie die Corona-Krise und den Teil-Lockdown erlebt haben. Auch 1.500 Eltern von 7- bis 17jährigen wurden befragt. Geleitet wurde die Studie von der Professorin am Hamburger Uni-Klinikum Ulrike Ravens-Sieberer.
"Wenn man sich das anschaut, dann sieht man, dass eben auch deutlich mehr Kinder und Jugendliche als vor der Pandemie eine psychische Belastung, also vermehrte Ängste und auch depressive Symptome angeben."
Viele Kinder und Jugendliche hätten in der Hochzeit der Kontaktbeschränkungen vor allem ihre Freunde vermisst, sich aber Sorgen wegen der Schulschließungen gemacht, sagt Ursula Ravens-Sieberer.
"Weil sie ja nicht zur Schule gehen konnten, auf das Homeschooling angewiesen waren, das ja erst anfing, sich zu organisieren. Und dass sie sich Sorgen gemacht haben um ihre Zukunft, ob sie die Ausbildung erreichen könnten, die sie sich vorgenommen haben und auch den Beruf, den sie sich vorgenommen haben. Das waren die Hauptängste."
Belastungen von den sozialen Verhältnissen abhängig
Und wie so oft seien die Belastungen für die jeweiligen Familien stark von den sozialen Verhältnissen abhängig, in denen sie leben.
"Auf der einen Seite sehen wir das Risiko, dass Familien, die besonders belastet sind durch vielleicht Arbeitslosigkeit oder niedrigeren sozialen Status, dass die uns signalisiert haben: Das hat dieser Lockdown nochmal verstärkt. Und Familien, die über Ressourcen verfügen, die in der Lage sind, sich ein gutes Familienklima zu schaffen, die es schaffen, mit ihrem Kind viel Zeit zu verbringen und das auch zu nutzen, dass ihre Kinder diese Einschränkungen im psychischen Bereich nicht so angegeben haben."
Auch angesichts der gerade wieder steigenden Infektionszahlen warnt Ravens-Sieberer aber vor Panikmache. Die COPSY-Studie hätte zwar gezeigt, wie hoch die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen sei. Das habe aber nicht dazu geführt, dass die Praxen von Psychotherapeutinnen und -therapeuten nun viele neue, junge Patienten bekommen hätten.
Angst der Eltern wird oft übertragen
Der Hamburger Kinder- und Jugendpsychologe Professor Michael Schulte-Markwort sieht das ähnlich. Und weist wie seine Kollegin auf einen entscheidenden Faktor der Belastung von Kindern hin: "Kinder sind ja sowieso sehr anpassungsfähig und flexibel, die haben sich gut an die Situation adaptiert. Deren Angstpegel steht und fällt mit Angstpegel der Eltern."
Schulte-Markwort nennt ein Beispiel: "Es kann sein, dass ein siebenjähriger Junge an meiner Praxistür hier steht und sehnsüchtig auf meine Autos guckt und von sich aus sagt: ‚Ach, das ist aber schade, dass ich damit jetzt nicht spielen kann wegen Corona!‘ Was mit mir überhaupt nichts zu tun hat. Er hätte selbstverständlich reinkommen können und spielen können. Das hatte was mit den Vorsichtsmaßnahmen zu tun, die ihm von zuhause aus mitgegeben wurden."
Kitas offenhalten, mehr Hilfe im häuslichen Umfeld
Die Wartelisten für seine Praxis seien schon vor der Corona-Krise viel zu lang gewesen, sagt Schulte-Markwort. Daran habe sich nichts geändert. Er kritisiert, dass im Frühjahr die aufsuchenden Hilfen durch die Jugendämter in allzu vielen Fällen zunächst heruntergefahren wurden. Also Besuche, die Mitarbeiter der Ämter direkt im Umfeld der Familien machen – und dabei auch psychosoziale Unterstützung leisten. Problematisch gerade bei den Kindern und Jugendlichen, die auf diese Hilfen in ihrem direkten Lebensumfeld auch schon ohne die Kontaktbeschränkungen angewiesen waren.
"Im Prinzip ist das das, was viel mehr gebracht wird: aufsuchende Hilfen!"
Aus der Hamburger Sozialbehörde heißt es, dass aufsuchenden Hilfen auch bei einer zweiten Infektionswelle weiterlaufen würden. Dann vielleicht eher draußen an der frischen Luft als zuhause bei den Kindern und Jugendlichen. Natürlich wäre eine Ausweitung dieser aufsuchenden Hilfen zu begrüßen, findet auch die Leiterin der COPSY-Studie Ursula Ravens-Sieberer. Für Familien mit Beratungsbedarf seien jetzt aber schon zumindest mehr Informationen darüber verfügbar, wo es welche Hilfen überhaupt gibt.
"Ich weiß, dass die Sozialbehörden jetzt online Hilfsmöglichkeiten geben und überhaupt mal zusammengetragen haben, wo sich die Familien Hilfe suchen können."
Zunächst einmal hofft Ursula Ravend-Sieberer aber, dass die einschneidenden Maßnahmen aus dem Frühjahr in Zukunft gar nicht mehr nötig sind.