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Studien mehrfach missinterpretiert
Deutsche Medien nicht "links-grün"

Zu links, zu grün – so lautet ein Vorurteil gegenüber deutschen Medien. Als Beweis für einseitige Berichterstattung werden immer wieder Studien herangezogen. Doch die Macher kritisieren, dass ihre Ergebnisse nicht richtig zitiert und teils vorsätzlich fehlinterpretiert würden.

Von Christopher Ophoven | 30.01.2020
Mikrofone verschiedener Fernsehsender stehen vor dem Raum einer Sondersitzung des Innenausschuss des Bundestags zur Bamf-Affäre.
Vor allem den öffentlich-rechtlichen Medien war unterstellt worden, sie seien einseitig links orientiert - was Studienergebnisse gar nicht belegten (Jens Büttner/dpa-Zentralbild/ZB)
Das Herz des deutschen Journalisten schlägt links. So titelte vor etwas mehr als einem Jahr die "Neue Zürcher Zeitung". Neutralen Journalismus gibt es kaum, heißt es da weiter. Für den "NZZ"-Redakteur ist das Problem klar: Die deutschen Journalisten sind zu links und berichten auch dementsprechend.
Ähnliche Aussagen finden sich nicht nur in rechtspopulistischen Medien, sondern auch in Artikeln des "Cicero". Auch Springer-Chef Mathias Döpfner und Ex-"Spiegel"-, jetzt "Focus"-Kolumnist Jan Fleischhauer argumentierten schon so.
Fehlschlüsse und Fehlinterpretationen
Einige von ihnen stützen sich dabei auf eine Befragung, die zehn Jahre alt ist, und genau dieses Ergebnis gar nicht hergibt. Die Journalismusforscherin Margreth Lünenborg von der Freien Universität Berlin ist Mitautorin der Studie. Sie sagt: "Das Ergebnis zeigt, dass die größte Gruppe, mehr als ein Drittel, sich keiner Partei zuneigend beschreibt."
Die Studie wird also oft nicht richtig zitiert. Fehlschlüsse und Fehlinterpretationen sind keine Seltenheit. Nicht nur die AfD bezeichnet Journalisten gerne und häufig als politisch links, auch aus der Union hört man das mitunter: CSU-Mann Alexander Dobrindt wetterte beispielsweise einst gegen eine linke Meinungsvorherrschaft.
"Lügen-Medien!" steht in Grafitti auf einer Wand vor einer Wohnanlage in Berlin im Bezirk Tiergarten.
"Starke Polarisierung" - Studie zum Vertrauen in Medien
Die Deutschen haben ein gleichbleibend hohes Vertrauen in die Medien – so ein Ergebnis einer Studie der Uni Mainz. Doch gebe es vielfach das Gefühl, die Mediendebatten hätten nichts mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu tun.
Von der politischen Einstellung lasse sich aber gar nicht auf die Berichterstattung schließen, argumentiert Journalismusforscherin Lünenborg: "Das ist ein Kurzschluss, so funktioniert Journalismus nicht, in Strukturen, in denen eben nicht jeder einzelne Journalist oder Journalistin nur das schreibt, was er oder sie selber denkt."
Chefredakteure sind oft konservativer als ihre Mitarbeiter
Ein Ergebnis der Studie: Viele Journalisten halten das Haus, für das sie arbeiten, für deutlich konservativer als sie sich selber einschätzen würden.
Zum selben Ergebnis kommt auch eine Studie aus der Schweiz, auf die Sebastian Haupt verweist. Er arbeitet für "Katapult", einem Magazin für Sozialwissenschaften.
Haupt nennt noch einen weiteren wichtigen Punkt: "Eine Chefredaktion oder die Blattlinie ist durchaus darüber entscheidend, wie die Berichterstattung aussieht. Und die scheinen zumindest dieser Umfrage zufolge, und ich halte das für glaubhaft, durchaus eher konservativer zu sein als Teile ihrer Journalisten, die sie beschäftigen."
Und das wird durch Lünenborgs Befragung bestätigt, denn Chefredakteure sind oft konservativer als ihre Mitarbeiter. In vielen Artikeln wird das aber nicht erwähnt.
Studienergebnisse vorsätzlich falsch wiedergegeben?
Als im vergangenen Jahr der Reuters Digital News Report - dort ging es um die Nachrichtennutzung im internationalen Vergleich - veröffentlicht wurde, hieß es unter anderem dazu in der "Welt am Sonntag", die politische Mitte werde in der "Tagesschau" und bei "ZDF heute" nur minimal gestreift. Eine Fehlinterpretation, die an vielen Stellen zu lesen war.
Die deutschen Autoren der Studie haben wegen der anhaltenden Diskussionen deshalb eine Erklärung veröffentlicht. Darin heißt es: "Der wichtigste Befund besteht darin, dass alle hier berücksichtigten Nachrichtenformate Menschen im gesamten Spektrum politischer Orientierungen erreichen."
Dabei war vor allem der "Tagesschau" unterstellt worden, sie sei einseitig links orientiert. Tatsächlich zeigen die Ergebnisse das Gegenteil, wie aus der Erklärung der Forscher hervorgeht: "Die Tagesschau ist bei allen anderen politischen Orientierungen das Angebot mit der höchsten Reichweite. Also auch Menschen, die sich etwas rechts oder weit rechts von der Mitte ansiedeln, sehen eher die 'Tagesschau' als 'RTL aktuell'."
"Tagesschau"-Chef: "Wir haben uns nicht auf eine Seite geschlagen"
ARD-Aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke hält den Vorwurf, Journalisten seien zu sehr Volkserzieher und zu wenig Berichterstatter, für ungerechtfertigt. Die Auswahl der Nachrichten bei der ARD erfolge nach Relevanzkriterien.
Einzige Ausnahme: Personen am äußersten linken und rechten Rand bevorzugen "RTL aktuell". Eine weitere Untersuchung, die also mehrfach missinterpretiert worden ist.
Haupt vermutet, dass solche Studienergebnisse manchmal vorsätzlich falsch wiedergegeben werden: "Wir haben eine ganze Menge eher rechtspopulistischer Medien, die versuchen, eine Frontstellung zwischen Elite und sich selbst zu ziehen. Das heißt, auf einmal werden ganz viele demokratische Selbstverständlichkeiten zu linken Projekten verklärt, um sich eben den Ruch des Freiheitskämpfers zu geben."
"Manipulative Fälschung der Daten"
Eine solche Erfahrung hat auch Journalismusforscherin Lünenborg mit ihrer Studie machen müssen: "Eine manipulative Fälschung der Daten. Bei der Darstellung der politischen Zuneigung zu bestimmten Parteien haben wir mehrfach Daten, die nachvollziehbar von AfD-Akteuren über Social-Media-Kanäle zirkuliert wurden."

Nach Meinung von Sebastian Haupt gelten die Angriffe vor allem einer Mediengruppe: "Die Öffentlich-Rechtlichen sind eigentlich so der Hauptgegner dieser Behauptungen. Das heißt, sie sind permanent diesen Angriffen auch ausgesetzt, regierungstreu zu berichten, links-grün durchsetzt zu sein, Fake-News zu betreiben, Klimahysterie zu betreiben."
Anmerkung (14.02.2020): Auf Anregung von Nutzern haben wir den Text durch weitere Links ergänzt.